Aus dem Trostbuch:

"OB BERGE WEICHEN"

von Adolf Maurer.

Friedrich Reinhardt Verlag Basel 1967

 

Das Kreuz

Ostern

Auf dem Friedhof

 Die Bibel

Dies ist ein Brief, welchen mein Gott mir hat schreiben lassen, wonach ich mich richten soll und wonach mein Gott mich richten wird ... Ein jeder muß damit umgehen, als ob es nur ihn allein anginge.      Bengel.

 In einem Berliner Museum liegt Luthers Hausbibel, in der der Reformator vorn hineinschrieb: «So dein Wort mich tröstet, so verzage ich nicht. Martin Luther 1542.»Pestalozzi stand in Yverdon am Sarg seiner Frau, die ihn 45 Jahre still und tapfer durch alle Hoffnungen und Enttäuschungen hindurch begleitet hatte, und sprach die Worte: «Wir waren von allen geflohen und verspottet; Krankheit und Armut beugte uns nieder, und wir aßen unser trocken Brot mit Tränen. Was gab Dir und mir in jenen schweren Tagen Kraft, auszudauern und unser Vertrauen nicht wegzuwerfen?» Dann ergriff er eine in der Nähe liegende Bibel, drückte sie der Toten an die Brust und rief: «Aus dieser Quelle schöpftest du und ich Mut, Stärke und Frieden.»

Livingstone nahm 50 kg Bücher mit nach Afrika, verlor auf dem abenteuerlichen Weg durch den Urwald schier alles. Als er nach unsäglichen Strapazen im Innern anlangte, hatte er nur noch ein einziges Buch gerettet, seine Bibel; die gab er nicht aus den Händen, bis er die Augen schloß.

Dostojewskij nahm nichts mit sich in seine Gefangenschaft nach Sibirien als ein Neues Testament. Darin las er täglich, legte es des Nachts unter sein Kissen und schlief darauf.

Goethe gesteht, aus keinem Buch so viel gelernt zu ha­ben wie aus der Bibel, und W. von Humboldt bekennt: «Das Lesen der Bibel ist eine unendliche und wohl die sicherste Quelle des Trostes. Ich wüßte sonst nichts mit ihr zu vergleichen.»

Soll ich fortfahren? Was hilft dir der Aufmarsch der Großen und Größten, die fast, wie Spurgeon empfiehlt, die Hände wuschen, ehe sie dieses Buch aufschlugen, jedenfalls in Ehrfurcht da drin gesucht, geseufzt, gejubelt 'haben und etwas vernommen haben von Gottes Wort und Willen, was hilft es, wenn du die Bibel liegen lässest und den Zugang nicht findest? Du bist gedrückt und ge­schlagen und sinnst: «Gibt es für mich auch noch einen hellen Tag oder scheint die Sonne nur für die andern?», langst nach der Zeitung und bist nachher noch elender dran, nimmst ein Buch zur Hand, das dir eine wohlmeinende Seele zuspielt, um dich zu zerstreuen und froh zu machen, und kannst nichts damit anfangen. Und da liegt die Bibel und wartet und wartet, wie ein Brünnlein, das quillt und rinnt, ob einer trinken kommt oder nicht. Setz dich an dieses Wasser und laß dich erfrischen! Wenn Millionen und aber Millionen daran sich erquickt und das Leben getrunken haben, wirst du nicht anders sein als diese vielen, vielen, wirst auch du an diesem Wasser genesen.

Die Bibel ist dein Lebens- und Trostbuch. Schlägt uns die Welt Stück um Stück unserer Ideale und Hoffnungen aus der Hand, leuchten da drin Verheißungen auf wie Himmelslichter, die kein Sturm wegfegt; nicht hundert Hoffnungen, aber eine Hoffnung, die Welt, Tod und Teufel trotzt. Wer in der Bibel daheim ist, gehört zu der stillen, weit über die Erde verstreuten Gemeinde derer, die mit einer zähen Zuversicht und herrlichen Erwartung in allem Durcheinander um und an ihren Weg schreiten, tief innen und all Tag auch auf den Lippen den getrosten Seufzer: Dein Reich komme!

Zweierlei Anrufe wollen uns die Richtung geben: «Kommt!» und «Geht!». Kommt, ihr Armen und Ver­lorenen, ihr Mühseligen und Beladenen, ich will euch helfen, will euch ein neues Leben geben. Und geht, ihr Erweckten und Getrösteten, zieht als meine Zeugen fröh­lich eure Straße! Die Bibel lesen heißt Gottes «Kommt!» und Gottes «Geht!» hören. Wer in diesem Buche liest und diese Stimme von oben vernimmt, wird ein anderer.

Daß in diesem Palaste des Höchsten alle Armen den Vortritt haben und die innersten Türen nur den Demüti­gen und Aufrichtigen aufgetan werden, ist die Besonder­heit dieses Königs, der da einladet. Darum ist die Bibel die Herberge «Zur guten Zuflucht» für alle, die kämpfen, weinen und tragen. Die Bibel ist die Eichstätte unserer Begriffe: groß und klein, gut und bös, wichtig und nichtig. Unbekümmert um den Wandel der Zeiten wird hier der heilige Wille dessen kund, der der Erste und der Letzte ist. Immer wie­der überwältigt uns dieses Buches unbestechliche Sachlichkeit. «Vor Gott gibt es kein Ansehen der Person.» Vor ihm liegt der König David auf den Knien, die Hände vor dem Gesicht, und schluchzt wie ein Kind. Priester und Könige, Machthaber und Gewaltige - wenn sie einen Ruhm haben, ist es der, daß sie Gottes Kinder heißen dürfen.

Aber ein schweres Buch ist und bleibt die Bibel. Es braucht nicht nur Mut und Demut, es braucht heiligen Durst und Hunger, bis einer da drin heimisch wird. Unterwegs hilft ihm allerdings jedes Wort und jede Zeile zum Verständnis des übrigen Inhalts. Es gibt auch herr­lich einfache Stücke, in den Psalmen, in den Sprüchen, in  der Apostelgeschichte, bei Markus und Lukas. Von da aus findet man allmählich auch den Zugang zu den Pro­pheten, zu Paulus und Johannes. Aber ob wir vorn oder hinten aufschlagen, von Jeremia oder Matthäus lesen, er, der da drin redet, muß uns Herz und Sinn auftun, damit wir ihn, ihn selber hören.

Es geht ein Schrei nach Erlösung durch die Bibel. Die Welt in uns und um uns steht vor uns im Flammenschein des Gerichts. Aber der da richtet, ist der, der nicht hinrichtet, sondern aufrichtet, wie Blumhardt sagt, seine Türe auftut in eine neue Welt hinein. Christus ist diese offene Türe. Vor ihm stehen wir mit unserem armen Leben. Sieh ihm in die Augen und vernimm, wie er dich und mich und alle, die es hören wollen, einlädt: Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch Ruhe geben! Und bist du bis jetzt durchgekommen ohne Bibel, sie hat dich ja doch begleitet und mitbestimmt, ohne daß du es merktest. Es wäre diese böse, arme Welt wahrhaftig noch böser und ärmer, wenn nicht dieses Buch bald 2000 Jahre der Menschen Denken und Tun beeinflußt und umgebogen hätte im Sinne dessen, der Himmel und Erde gemacht hat. So nimm dieses «Windlicht Gottes» in allen Stürmen unserer Zeit in deine Hand. Brauch es, dein Weg wird heller, sinnvoller, gesegneter.

 

Das Kreuz

Lang oder kurz, gradaus oder auf Umweg: jeder Weg ist recht, wenn er zu den Füßen des Kreuzes führt.

Vinet

 

Das Kreuz auf Golgatha ist die Mitte der Weltgeschichte. Ob das in den Büchern so steht oder nicht, ist Nebensache. Alles aber, was auf Erden gelebt und gelitten wird, gedacht, getan, gewollt, gehofft - es bekommt seinen Sinn oder seine Sinnlosigkeit von dorther. Darum mußt du dein Leben und deine Sorgen auch in das Licht dieses Kreuzes stellen. Da oben hängt einer in Martern und stirbt, um einer ganzen Welt die Augen aufzutun für eine andere Welt. Er leidet nicht um seinetwillen, sondern um der Bosheit der Menschen willen, die ihn nicht ertragen hat. Sein Sterben offenbart unsere Sünde, unser Wesen. Es gibt keinen Spiegel, in dem wir uns in unserer grundverkehrten Art schauen, wie Christi Sterben. Aber das ist nur das eine.

Ohne diesen Gekreuzigten bleiben wir, was wir sind, unselige und hoffnungslose Geschöpfe, der Finsternis und dem Tod preisgegeben. Denkst du dir das in seiner furchtbaren Realität aus oder machst du dir darüber lieber keine Gedanken? Höre:

Er stirbt, auf daß wir Frieden haben. Zum Frieden, zum rechten Trost in allem Elend dieser Welt kommen wir durch ihn, weil er stirbt, für uns stirbt.

Darum geht von diesem Kreuz Christi zweierlei aus: ein Gericht über unsere Gedanken, unsere Wege und Werke - und ein neues Leben voll Vergebung, voll Frieden und Hoffnung. Ich sage es so einfach und so trocken, als ich kann, weil dieses heilige Geschehen so groß ist, daß mir jedes überschwengliche Wort wie eine Verkleinerung vorkommt. Der ewige Gott wirft in seiner Liebe die Weiche herum, daß fortan das Schicksal der Menschen anders verläuft, als es folgerichtig verlaufen müßte. Warum er's tut? Aus Liebe. Warum er's so tut, durch den Kreuzestod Christi, das kann uns niemand sagen. Es bleibt das Holz, daran der Heiland hängt, von viel Geheimnis umgeben. Aber das darf nicht Geheimnis bleiben, sondern ist dir und mir und jedem, der eine Bibel hat, offenbar gemacht: Dieser Tod vollzieht sich durch unsere Schuld und uns zugut. Wegen uns und für uns.

Für uns. Ich will einen reden lassen, der es besser sagen kann. Luther schreibt: «Nun ist das Leiden Christi so mächtig und so stark, daß es füllt Himmel und Erden und zerreißt des Teufels und der Hölle, Tod und Sünde Gewalt und Macht. Wenn du nun solchen Schatz zu deiner Anfechtung und Leiden hältst, so wird dich's denn ein geringer Schaden dünken gegen solch Gut, daß du ein wenig Guts, Ehre, Gesundheit, Weib, Kind, dein eigen Leib und Leben verlierst. Wirst du aber solchen großen Schatz nicht achten und nichts drum leiden, wohlan, so fahr immer hin und laß es! Wer nicht glaubt, dem wird auch nichts von solchen unaussprechlichen Gütern und Gaben.»

Solche Worte muß man zweimal und zehnmal lesen; denn darin fahren ganze Fuder von Trost, Kraft und Freude vor. Ein ganzer Himmel tut sich auf. Ja - das ist der christliche Himmel, einen andern kennt die Bibel nicht, und einen andern finden wir nirgends. Die Niedrigkeit und Schande Christi ist der Weg der Majestät und Herrlichkeit Gottes, der Weg der Erlösung unserer armen Welt.

Darum ist es ganz in Ordnung, wenn das große, stille Volk der Leidenden und an sich oder der Welt Irregewordenen, ob Kirchenglocken läuten oder nicht, in ihrem Herzen wallfahren nach Golgatha und an diesem Ort und an keinem andern der Welt finden, was sie suchen:

 

O Jesus Christ, mein Leben,

mein Trost in aller Not,

dir hab ich mich ergeben

im Leben und im Tod.

Ich will dein eigen sein,

Erlöser meiner Seele,

und ewig bist du mein.

Sei getrost!

Sei getrost, du würdest mich nicht suchen, wenn du reich nicht gefunden hättest. Ich dachte an dich in meinem Todeskampf. Ich habe diese Blutstropfen für dich ergossen. Pascal 1662.

 

Das Anschlagbrett

Gott hat das Kreuz zu einer Art göttlichem Anschlagbrett gemacht. Was ist da angeschlagen? Angeschlagen da die ganze Rechnung unserer Sünden; angeschlagen ist der Wechsel, den wir mit unserer Sünde dem teuflischen Verkläger in die Hand gespielt haben. Öffentlich angeschlagen ist hier das, was wir für ein verborgenes Geheimnis hielten, daß wir es selbst nicht einmal für wahr haben wollten: daß wir - Mörder sind an der göttlichen Liebe selbst. Aber diese ganze Rechnung, die am Kreuz von Golgatha angeschlagen ist, ist in der Nacht zum Ostermorgen von göttlicher Hand durchgestrichen worden.                                                                                                                                                                                                          Eberhard Müller

                                                                                                                                                                                                                                                                      .

Allein zu dir, Herr Jesu Christ

 

Allein zu dir, Herr Jesu Christ,

mein Hoffnung steht auf Erden,

ich weiß, daß du mein Tröster bist,

kein Trost mag mir sonst werden;

von Anbeginn ist nichts erkorn,

auf Erden ist kein Mensch geborn,

der mir aus Nöten helfen kann;

ich ruf dich an,

zu dem ich mein Vertrauen hab.

Konrad Hubert †1577.

 

Ostern.

Ostern ist uns der Fleisch gewordene Sieg des lebendigen Gottes. Nun ist der Glaube an den Sieg des Guten eine Tatsache, eine gegenwärtige Kraft, das zentrale Ereignis der Geschichte; das Gute wohnt, Fleisch geworden, allmächtig unter uns. Es ist nun sozusagen als ewiges Erdbeben von Gott her in diese Welt der Not und des Todes hineingesenkt, als ewige Sprengkraft gegen jeden Grabstein, der uns erdrücken will. Ragaz.

In der Weltausstellung in New York galt es, nebst einigen Tagesblättern vier für die Gegenwart charakteristische Dinge in eine goldene Kapsel zu versenken und für die Nachwelt aufzubewahren. Was legte man in dieses merkwürdige Archiv als Zeugen unserer Zeit, als Gruß an ein späteres Geschlecht, das einmal diese Kapsel öffnen wird? Einen Reißverschluß, einen Konservenöffner, eine Aspirintablette und eine Gasmaske. Man könnte aus diesen vier Gegenständen eine interessante Philosophie ableiten, etwa unter dem Thema: Untergang des Abendlandes. Die Gasmaske und die Aspirintablette werden unseren Nachfahren Kunde geben, wie einfach und wie elegant wir Anno 1939 mit Teufel und Tod fertig geworden sind.

Aber Anno 1939 lag immerhin auch die Bibel in 20 Millionen Exemplaren in der Welt herum, auch in Amerika in unzähligen Stuben, Sälen, Kirchen, und darin der Bericht von der Auferstehung Christi und dem ewigen Leben, das mit Ostern durchgebrochen ist und das auch in unseren Tagen einen unversieglichen Strom von Kraft, Freude und Frieden in Menschenherzen ergießt.

 

Christ ist erstanden von der Marter alle!

Des solln wir alle froh sein,

Christ will unser Trost sein,

Kyrieleis!

                            13 Jahrh.

Dieser Jubel zittert seit dem ersten Ostermorgen durch die Welt und muß auch von uns gehört werden. Ja, wir mit unseren Bürden und Bresten, wir mit unserer Hoffnungslosigkeit sollten nicht ruhen, bis wir auch zu der großen Gemeinde gehören, die so singt und so glaubt. Für keine Ecke dieser Erde brauchen wir mehr die Zuversicht aufzugeben, daß Gottes Sieg und Gottes Leben den Jammer wegfegt und alles anders werden kann. Ob einer im Spital liegt oder im Gefängnis oder sonst in einem Elendswinkel - es kann das Leben Gottes hineinkommen und das dunkelste Loch in einen Vorhof des Himmels wandeln, Fluchen in Beten kehren, Trotzen in Knien, Seufzen in Danken - von dieser wunderbaren Umkehr läuft das Neue Testament über. Die östliche Kirche hat recht und hat die heilige Geschichte am tiefsten verstanden, wenn sie das Osterfest als den Höhepunkt der Botschaft Christi feiert. Was wollen wir mit unseren Taschenlampen des Intellekts, wenn Gottes Sonne über allen Bergen aufsteigt und es Tag wird bis in die Hölle hinunter? Ich weiß dir keinen bessern Trost und weiß keinen aussichtsreicheren Rat, als daß du jetzt und wieder und wieder die letzten Kapitel der Evangelien liesest von Christus und seinen Martern, von den Menschen und ihrer Blindheit und Bosheit, von den Dämonen, die da mitspielen, und der Verzagtheit derer, die zum Herrn gehörten, und darnach vom Ostermorgen, von der Begegnung mit dem Auferstandenen und dem Frieden, der von ihm ausgeht. Da müssen dir die Augen aufgehen für die andere Welt, die unsere Welt durchdringen und umkehren will. Wohin stellst du dich in den paar Jährlein deines Gastspiels hienieden, zu den Satten und Sicheren und Unbelehrbaren, oder aber zu den Demütigen und Empfänglichen, zu den Hungernden und Dürstenden nach wahrem Leben und dann aber auch von Gottes Brunnen Getränkten und Getrösteten?

Ewig dein, Herr Jesus Christ,

o dein Tag kann nicht mehr nachten,

weil ob allen Erdenschlachten

du den göttlich Zepter hebst;

Tod und Höll und ihre Horden

sind wohl übermächtig worden,

aber du, Herr Jesus, lebst.

 

Auf dem Friedhof

Im Kirchhof lauern eine Schar gewaltiger Gedanken auf jeden Leichenzug.

                                                                                                                Gotthelf.

 

Geht man am Sonntag durchs Dorf, kehrt man auch ein auf dem Friedhof und schreitet von Grab zu Grab. Das ist guter alter Brauch. Man lebt auf dem Land noch viel mehr mit den Toten zusammen als in der Stadt. In Grüpplein schreitet man durch die Gräberreihen und gedenkt derer, die da hingelegt wurden.

«Er hat sein Gutes auch gehabt. »

«Schon wieder fünf Jahre her!»

«Wenn die Lina wüßte, wie's jetzt bei ihr daheim zugeht!»

«Dem Heiri ist wohl geschehen; er wäre doch nie mehr zum Werken gekommen. »

So gehen die Gedanken hin und her; manchmal blei­ben sie auch beim Steine hangen:

«Natürlich, das gleicht der Schmidtin; wenn sie dem Fritz schon kein rechtes Wort hat gönnen mögen, jetzt muß der Grabstein den Kopf über alle hinausstrecken. »

«Hast den Spruch bei der Annebäb schon gelesen? Was sagst dazu?»-----------

Die Dörfler haben recht, wenn sie stolz sind auf einen heimeligen, sauber gepflegten Friedhof. Die aus­rangierten Grabsteine sollten wirklich nicht Jahr und Tag an einem Haufen liegen und die Grabbretter von der letzten Beerdigung nicht bis zur nächsten nur hin­geworfen werden, wo's trifft. Kein Grab darf vernach­lässigt bleiben. Ist keine Hand im Dorf, die ein paar Blumen bringt, soll der Friedhofgärtner von der Ge­meinde aus etwas pflanzen und das Plätzlein sauber halten. Oder es machen die Konfirmanden des Dorfe sich's zur Ehrenpflicht, für diese vergessenen Gräber aufzukommen. Ein paar Bänklein zum Absitzen ge­hören auch an diesen Ort.

Als Vater Bodelschwingh seine vier ersten Kinder alle innert drei Wochen durch den Tod verlor, zim­merte er selber aus ein paar Brettern eine Bank zurecht, nahe seinen Kindern, und saß mit der Mutter am Sonn­tagnachmittag eine gute Weile dort drüben, auf den Lippen das Lied: «Jerusalem, du hochgebaute Stadt, wollt Gott, ich war in dir. » So sollte das Plätzlein, das wir besuchen, zu einem Ort werden, wo wir unter der Türe der ewigen Welt stehen. Da kann, auch wenn kein Pfarrer neben uns steht und kein Wort geredet wird das Gewaltigste aufgehen und in aller Stille Großes ge­schehen. Neue Entschlüsse, neue Klarheiten drängen sich uns auf wie selbstverständlich, so daß wir gelöster, versöhnter, getroster zurückgehen auf unseren Posten Unsere Toten werden uns Führer zu Christus. Sein Geist umweht uns, Heiliger Geist ist am Werk, und die besten Gedanken und Anstöße nehmen wir von diesen: einsamen und stillen Orte mit. Wenn solches geschieht, bekommt unser Weg auf das Grab eines lieben Weg­genossen Sinn und Segen. Die ersten christlichen Kir­chen wurden auf den Gräbern der Märtyrer erbaut. Das hat seine Bedeutung. Wir dürfen nie vergessen, daß die Kirche ein Ort ist, wo Jesus Christus bekannt werden soll bis in den Tod hinein. Nun glaube ich, daß ein liebes Grab, auch wenn kein Märtyrer daliegt, eine Got­tesstätte werden kann, wo wir mitten in der Vergäng­lichkeit des Ewigen Stimme hören. Was können hier für heilsame Entschlüsse reifen! Nur nicht mit Kerzen und solchem romantischen Firlefanz diesen Anruf von oben und Umbruch in uns drin auflösen in lauter Ge­fühle. Gott will nicht zum Gemüt reden, sondern zum Gewissen. Das muß man vor allem auf dem Friedhof draußen wissen.

Es ist einem auf unsern Friedhöfen, zumal in der Stadt, nicht immer wohl. Wir finden soviel Firlefanz. Mich dünkt, aller Hochmut und alles Scheinenwollen sollte am Friedhoftor haltmachen. Wo der Tod Meister ist und alle Menschenherrlichkeit versinkt, ist das Ein­fache das Schönste und Würdigste. Marmor gehört in den Süden, sagen uns die, die etwas von Kunst ver­stehen; bei uns sollte man auf dem Friedhof nur ein­heimische Gesteinsarten verwenden. Warum nicht Holz? Sind die alten Friedhöfe — etwa in den Bergen — mit ihren Holzkreuzen nicht die malerischsten? Was für schöne Formen haben uns die Fachleute vorgeschlagen! Gutes Lärchenholz, extra imprägniert, hält Jahrzehnte. Muß überhaupt so ein Holzzeichen Jahr und Tag da­stehen wie aus dem Bazar heraus? Grad das bißchen Verwitterung durch Kälte und Nässe, die ein Kreuz im Lauf der Jahre erleiden mag, gibt dem Friedhof das freundliche Gesicht und paßt so gut zur Stätte der Vergänglichkeit. Nur muß das Grab recht unterhalten werden.

Nun aber noch eine Hauptsache. Mir ist immer, der Friedhof sei ein geistiger Spiegel der Gemeinde. Komme ich auf Wanderungen in ein fremdes Dorf, versäume ich nie, die Toten zu besuchen. In einer Viertelstunde schon weiß ich über die Menschen, die um den Fried­hof herum wohnen, allerlei. Am meisten verraten mir die den Namen beigefügten Sprüche. Da schaut uns an Demut und Hochmut, Auflehnung oder stille Ergebung, Wichtigtun auch noch da draußen, wo doch nicht mehr viel Anlaß dazu ist, oder bescheidenes «die Augen erheben zu den Bergen, von denen Hilfe kommt». Ich vergesse den stillen Garten nicht mehr, der hoch überm Genfersee am Hange liegt. Auf Stein und jedem Kreuz ein kräftiges, tröstliches Wort aus der großen Schatzkammer Heiliger Schrift. Wie muß eine solche Gemeinde wurzeln in der biblischen Wahrheit, und wie anders muß Freuen und Weinen, Leben und Sterben sich abspielen, wo die Menschen daheim sind in den treuen, ewigen Gedanken Gottes!

Und weil viele Leidtragende nicht gerne aus dem großen Spruchkatalog der Geschäftsfirmen mit seinen oft unmöglichen Reimereien sich beraten lassen darüber, was sie ihren Lieben aufs Grab schreiben sollen, mag hier gleich aus dem Schatz christlicher Zuversicht eine Liste dienlicher Werke folgen.