Die Veröffentlichung aus dem Buch „Kompaß für Leben und Sterben“      

von Alban Stolz wurde mir vom Herder –Verlag genehmigt.

 

Ich danke Frau  Claudia Moeller für  Rechte & Lizenzen

vom

VERLAG HERDER GmbH.

www.herder.de

*

Ich danke auch dem Verlag Traugott Bautz GmbH für die Genehmigung die Bibliographie von „Alban Stolz“ auf meiner Seite zu veröffentlichen.

 

Biographisches - Bibliographisches

Kirchenlexikon

Verlag Traugott Bautz   

 www.bautz.de

STOLZ, Alban Isidor, Professor der Theologie und kath. Volksschriftsteller, * 3.2. 1808 in Bühl, + 16.10. 1883 in Freiburg/Br. - St. ist der Sohn des örtlichen Apothekers. Bei der sehr kinderreichen Familie kam eine Übernahme der Apotheke für ihn nicht in Frage. Er begann daher nach dem Abitur in Rastatt das Studium der Rechtswissenschaft in Freiburg, wechselte aber schon nach wenigen Monaten zur kath. Theologie. Das Fach war damals stark von Rationalismus geprägt. Einige Professoren bezweifelten die Autorität des Papstes oder die Notwendigkeit des Zölibats. Im Glauben unsicher geworden, ging er Ende 1830 an die evangelisch geprägte Universität Heidelberg und studierte Philologie, Pädagogik und Literatur. Ein Gottesdienst in der Weihnachtszeit 1831 führte zu einem Bekehrungserlebnis. Er faßte den Entschluß Priester zu werden, kehrte nach Freiburg zurück, trat in das Priesterseminar ein und empfing im August 1833 die Priesterweihe. Er wurde Vikar in Rotenfels und später in Neusatz. Nach der 2. Prüfung im Herbst 1841 wurde er 1842-43 Religionslehrer am Gymnasium in Bruchsal. Hier erschien der erste von ihm verfaßte Kalender der Reihe »Für Zeit und Ewigkeit« mit dem Titel »Mixtur gegen Todesangst«. Im Jahr 1842 wurde er Repetitor am Collegium Theologicum in Freiburg, 1845 dessen Direktor. Im gleichen Jahr promoviert er mit einer Arbeit über die katechetische Auslegung des Freiburger Diözesankatechismus. Zwei Jahre später erhielt er den Lehrstuhl für Pastoraltheologie und Pädagogik ander Universität und wurde 1848 ordentlicher Professor. Er war 1859-60 Prorektor der Universität, erhielt 1865 die Ehrendoktorwürde der Universität Wien und 1868 den Titel geistlicher Rat. Mehr als seine Lehrtätigkeit machten ihn seine zahlreichen Bücher, Kalender und Einzelartikel bekannt. Sein fünfzigjähriges Priesterjubiläum wurde noch groß gefeiert, doch verstarb St. zwei Monate später an den Folgen einer Lungenentzündung. Er wurde in Brühl bestattet. - Die Bedeutung von St. liegt weniger in seiner Lehrtätigkeit als Professor an der Universität Freiburg als an seinem großen Erfolg als volkstümlicher katholischer Schriftsteller. Im Jahr 1843 erschien anonym ein »Kalender für Zeit und Ewigkeit für das gemeine Volk und nebenher für geistliche und weltliche Herrenleute«, den der Verleger Villinger zunächst wieder zurückziehen wollte, da er heftige Kritik auslöste. Der Kalender wurde später ein Riesenerfolg; er erzielte über 30 Auflagen und wurde von anderen Verlagen nachgedruckt und auch in evangelischen Gebieten vertrieben. Neben den illustrierten Ausgaben kamen auch billige Volksausgaben der Kalender heraus, manche Werke erschienen als Einzelausgaben und im Rahmen des Kalenders, so St. bekanntestes Buch »Die hl. Elisabeth«. Die schriftstellerische Produktion von St. war sehr groß. Seine weiten Reisen fanden ihren Niederschlag in entsprechenden Büchern etwa über Spanien, die Türkei und das Heilige Land. Viele seiner Werke wurden auch in fremde Sprachen übersetzt. Er führte umfangreiche Briefwechsel und ein Tagebuch. Schon ein Jahr nach seinem Tode erschien eine erste Biographie; sein Name ist in den wichtigsten biographischen Sammelwerken verzeichnet. Mehrere Dissertationen beschäftigen sich mit seinem Werk. Sein Nachruhm reicht bis in die Mitte ds 20. Jahrhunderts. Erst ein nach dem 2. Weltkrieg aufkommendes gewandeltes Verständnis von Glauben und Religion ließ die Publikationen nach 1960 langsam versiegen.

Werke: Gesammelte Werke, 21 Bde., Freiburg 1910-132; Gesammelte Werke, Volksausgabe, 14 Bde., Freiburg 1920-272; Zusammenstellung aller Werke von St. bei Julius Mayer, Alban Stolz, Freiburg 1921, 605-615.

Gerhard Kaller

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Alban Stolz

Gesammelte Werke

Billige Volksausgabe

Erster Band

 

 

 

 Herdersche-Verlagshandlung Freiburg im Breisgau

 

Alban Stolz

Kompaß für Leben und Sterben

 

Mit einer Einführung von Dr. Julius Mayer

Professor an der Universität zu Freiburg i. B.

 

 

 

 

 

 

 Herdersche Verlagshandlung

Freiburg im Breisgau

 

 

 

 

 Imprimatur

 

Friburgi Brisgoviae, die 17 Decembris 1919

Fritz Vic. gen

 

 

 Alle Rechte vorbehalten

 

 

Buchdruckerei der Herderschen Verlagshandlung in Freiburg. 1920

 

 Die Rechtschreibung, der damaligen Zeit, wurde beibehalten.

 

 Einführung.

Alban Stolz erzählt uns selbst, wie er dazu gekommen, seinen ersten Kalender zu schreiben. „Im Jahre 1840 erblickte beim Aufwachen meine Seele in sich eine eigentümliche Forderung, fast wie mit Worten geschrieben. Es war am Tag von Maria Empfängnis. Der Inhalt war ganz präzis: ich solle einen Kalender für das Volk schreiben. Mit dem Gedanken war auch der Antrieb und Wille dazu gegeben." Alsbald machte sich Alban Stolz an die Ausführung dieses Gedankens, er schrieb seinen ersten Kalender, dessen Inhalt nach seinen eigenen Worten bildet „der Gedanke an den Tod und das Verhältnis der Sünde und der Tugend zu demselben".

„Ich selbst", berichtet Stolz, „war in meinen Vikarsjahren ungewöhnlich viel mit Gedanken an den Tod beschäftigt, oder um es genauer zu sagen, Sie fielen mir vorzugsweise häufig ein, ohne mich gerade zu verdüstern. Deshalb war es mir nicht schwer, so manchfache Variationen mit Todesgedanken auszuführen."

Was Alban Stolz in den Jahren 1840 und 1841 ersonnen, führte er, nachdem er als geistlicher Lehrer an das Gymnasium nach Bruchsal berufen worden, zu Ende. Er gab den Kalender heraus auf das Jahr 1843 mit dem Titel: „Kalender für Zeit und Ewigkeit für das gemeine Volk und nebenher für geistliche und weltliche Herrenleute, von einem badischen Jesuit."

Ohne Bilder, auf schlechtes Papier gedruckt und zu einem für damalige Verhältnisse hohen Preise wurde der Kalender von einem Villinger Verleger in die Welt gesandt. Nach einiger Zeit kam von diesem ein „böser Brief", er hätte wegen des Kalenders von vielen Seiten, selbst von katholischen Geistlichen, so viele Unannehmlichkeiten zu erfahren, daß er entweder den Namen des Verfassers nennen oder den Kalender auf dessen Kosten zurückziehen müsse.

Schon war Stolz auf den Rat des Professors Hirscher hin, an den er sich in dieser Angelegenheit gewandt, geneigt, ihn Zurückzuziehen und „gereinigt" nochmals herauszugeben, als vom Verleger „eine ganz fröhliche Friedensbotschaft" eintraf, nämlich alsbald eine zweite Auflage zu veranstalten. Alban Stolz tat dies, und weil er nun „die unerträglichsten Anstößigkeiten nicht mehr aufnahm", gab er demselben auf dem Titelblatt die Empfehlung: „Geschlachter".

Alban Stolz hatte in seinem Kalender einen Ton angeschlagen, der in ganz Deutschland und darüber hinaus lauten Widerhall fand. Wenige Volks Schriftsteller haben es vermocht, so mächtig die Saiten im deutschen Gemüte zu berühren, wie er.

In der Tat ist es ganz wundersam, wie Alban Stolz es versteht, die ernstesten Gegenstände, zumal die über Tugend und Sunde, Tod und Ewigkeit in einem Kalender zu behandeln, und zwar so, daß weder der Herzensheiterkeit des Lesers, noch der heilvollen und ernstgemeinten Tendenz des Verfassers der mindeste Abtrag geschieht. „Man möchte das Ganze mit einer Galerie der niederländischen Schule vergleichen: neben dem Erhabensten und Rührendsten, das aus der Region des Himmels herabgeholt wurde, steht auch das Niedere und Gemeine der menschlichen Torheiten und Laster, mit erschütternder Wahrheit nach dem Leben gemalt. "

Gleich nach Erscheinen des Kalenders wurde gesagt, daß man fast glauben möchte, es sei in der Person des Kalendermachers Abraham a Sankta Klara wieder auferstanden, um auch den Weichlingen unserer Zeit die Wahrheit kräftig und derb bis tief in die Seele hinein zuzurufen.

Joseph von Eichendorff sieht in Alban Stolz den Daniel des 19. Jahrhunderts, der den Weltmenschen und ihren erdhaften, sinnlichen und sündigen Anschauungen die düster flammende Schrift des mahnenden und strafenden, Fingers Gottes getreu, tiefsinnig und unerschrocken deutet, der gleichsam mit feurigen Lettern den rechten Sinn zwischen die verworrenen, lügenhaften Zeilen des Zeitgeistes schreibe, auf daß jeder wisse, was ihm not tue. „Dazwischen erzählt er ihnen dann vom Tode,, der überall wie ein Handwerksbursch oder Büblein, das erst schreiben gelernt hat, seinen Namen hingeschrieben', von dem scharfen Licht Vom Jenseits, vom Gericht und End' der Welt, dem prachtvollen. schrecklichen Schluß des großen und langen Schauspiels, das wir Menschen vor Gott und den unsichtbaren Geistern aufführen, und wo im furchtbarsten Ernst  um Himmel und Hölle, um Seele und Ewigkeiten gespielt wird. "

Diesem ersten Kalender ließ Alban Stolz mit kürzeren oder längeren Unterbrechungen eine Reihe anderer folgen; im ganzen verfaßte er bis zu seinem Tode 18 Kalender, die in vier Sammelbänden erschienen sind.

Der hier vorliegende erste Band umfaßt unter dem Titel „Kompaß für Leben und Sterben" außer dem ersten "Kalender „Mixtur gegen die Todesangst" die Kalender der Jahre 1844, 1859 und 1864.

Im Kalender vom Jahr 1844: „Das Menschengewächs", will der Verfasser lehren, „wie der Mensch sich und andere erziehen soll", und will jedem, der guten Willens ist, behilflich sein, „den Lebenswandel in ein rechtes Geleis zu bringen, damit das Leben nicht zum zeitlichen und ewigen Verderbnis gereiche".

In kerniger und ungemein faßlicher Weise führt er dem Leser die wahren und echten Erziehungsgrundsätze für Zeit und Ewigkeit vor Augen, um schließlich zu dem Resultat zu gelangen: „Stirb wohl!   Und damit du wohl sterben könnest, so leb auch wohl, das heißt: lebe fromm, tugendhaft und christlich!" Während Alban Stolz im „Bilderbuch Gottes" (1859) die Herrlichkeit der Gottesnatur schildert und zeigt, wie die Menschenseele doch noch unvergleichlich größer und wertvoller ist und deshalb der Mensch vor allem für seine unsterbliche Seele sorgen und das Wort des Apostels beherzigen soll: „Die Welt vergeht mit ihrer Lust, wer aber den Willen Gottes tut, der bleibt in Ewigkeit", wählt er sich im Kalender für 1864, „A B C für große Leute", 25 Schlagwörter aus (Aufklärung, Bildung, Freimaurer, Gewissensfreiheit, Ordenspersonen, Ultramontan ec. ), um die Lügen und Heuchelei der Gegner Jesu Christi und des christlichen Glaubens mit so tiefem Ernst und bitterem Sarkasmus, mit solcher Klarheit und Schärfe zu beleuchten, daß es, wie er selbst sagt, aussieht, als ob er diesen Kalender „in einem gelinden Zorn" geschrieben habe; aber, meint er, „es kann Umstände geben, wo es sogar eine Sünde und ein böses Zeichen ist, wenn man keinen Zorn kriegt". Der Kalender schließt mit einer scharfen Warnung vor schlechten Blättern und Schriften. „Auf Papier und mit Buchstaben kämpfen in unserer Zeit Him­mel und Hölle miteinander; willst du Christus angehören, so halte dich an christliche Lesung; mit jedem Zehner, den du für schlechte Blätter ausgibst, gibst du dem Teufel Haftgeld auf deine Seele.“

Das „A B C für große Leute" fand einen solch mächtigen Anklang, daß im Januar 1864 schon 25000 Exemplare verbreitet waren.

Ein furchtbarer Sturm erhob sich gegen diesen Kalender und seinen Verfasser; seine Gegner wüteten geradezu gegen ihn in Zeitungen und Versammlungen und verlangten von der Regierung die Absetzung des  „ultramontanen" Professors. Aber auch die Freunde blieben nicht untätig. Die Theologiestudierenden überreichten  ihrem Lehrer  im Januar  1864 eine von allen 154 Theologen unterzeichnete Adresse, die mit den Worten schloß: „Wir  erklären laut und  feierlich: wir  wollen  keine Lehrer, die durch ihre Lehrweise die Zufriedenheit jener Organe und ihres Anhangs sich erwerben! Wir schätzen uns glücklich, uns Ihres gediegenen Unterrichts erfreuen zu können"

In einer von den Bürgern Freiburgs unterzeichneten Adresse sprechen diese „ihre stärkste Mißbilligung und ihren Abscheu aus gegen die Verdächtigungen, Schmähungen und Verleumdungen", die gegen Alban Stolz und seine Schriften von den Gegnern geschleudert wurden. „Zur Steuer der Wahrheit" geben sie ihrer Überzeugung also Ausdruck: „Wir kennen Alban Stolz als einen Mann, welcher sich ernstlich und mit Erfolg bemüht, seine Pflichten als Christ, Priester und Lehrer zu erfüllen. Wir wissen, daß sein Herz für Recht und Wahrheit lebhaft fühlt, wie nicht minder für das Wohl des Volkes und für die Leiden seiner Mitmenschen. Dieses Gefühl und diese Gesinnungen betätigt er im Leben, und sie sind es, welche ihn als Schriftsteller beseelen. Wenn er daher das, was er als Laster, Unrecht, Verkehrtheit und Torheit der Zeit erkennt, freimütig und unumwunden mit dem Schwert des strafenden Ernstes oder mit der Geißel der Satire bekämpft, wenn er die christliche Sitte und den christlichen Glauben, wenn er die Rechte der Kirche gegen Angriffe und Gefahren verteidigt, so geschieht dies aus den edelsten  sittlichen Beweggründen. "

Anfechtungen irgend welcher Art konnten Alban Stolz nie abhalten, für Wahrheit und Recht einzutreten. „Das Wort des Herrn" will er hinausrufen in die Welt, „hell und manchmal auch grell". Und mögen manche darüber „knurren oder hellauf bellen", des freut er sich noch. „Hat mein hoher Meister  gesprochen:, Ich bin gekommen, Feuer auf die Erde zu werfen; wie sehr wünsche ich, daß es brenne!' — so scheue auch ich das Feuerlegen nicht. Mein Panier und Wappen ist Gott und Jesus Christus, und seiner schäme ich mich ewiglich nicht. "

In der Tat Ist es einzig Gott und seine Sache, die Alban Stolz im Auge hat, ist es stets das ewige Heil der Seele, das er anstrebt.

Der eigentümliche Charakter des „Kalenders für Zeit und Ewigkeit" läßt sich kaum besser ausdrücken, als wenn man ihn bezeichnet mit dem Titel: Eine unmittelbar an das Menschenherz gehaltene Missionspredigt. Mögen die Gedanken, die Alban Stolz in seinen Kalendern durchführt, noch so verschiedenartig sein, stets befaßt er sich mit dem ganzen Menschen und dem ganzen Menschenwesen, bezieht alles auf die Seele und ihr Schicksal in Zeit und Ewigkeit, auf ihr Verhältnis zu Gott, ihre Wiedergeburt in Jesus Christus.

Ihm ist der Mensch und das Menschenleben „etwas furchtbar Ernstes und Bedenksames". Darum wollen seine Kalender vor allem „ansagen, welche Zeit es bei Gott ist und wie es seinen Lauf mit der unsterblichen Seele nimmt".

„Anders wie alle andern" — so waren seine Kalender, so wollten sie, so sollten sie sein. Auch die besten bisherigen Kalender wollten zunächst unterhalten und unter  der Hülle mannigfaltiger Geschichten und Schilderungen, in Ernst und Scherz belehren. Solcher Kunstgriffe bedient Sich Alban Stolz nicht. Unmittelbar und mit heiligem Ernst, gleich dem eifrigsten Volksmissionär, dem einzig nur die Rettung der Seelen am Herzen liegt, zielt er immer nur auf das eine Notwendige ab, und zu diesem kehrt er immer wieder zurück.

Ebendeshalb hatten die Kalender von Alban Stolz nicht eine nur vorübergehende Bedeutung. Wie die christliche Wahrheit, der Sie einzig dienen wollten, tragen sie ihren Wert in sich selbst und werden ihre Wirksamkeit üben noch in fernen Zeiten.

 

Freiburg i. Br., im Januar 1913.

Dr Julius Mayer,

o. Professor an der Universität.

 

 

 

 

 

Kompaß für Leben und Sterben.

Von

Alban Stolz.

Es gibt viele Leute, die in keine Predigt gehen, in keinen christlichen Büchern lesen, nichts vom öftern Beichten wissen wollen, denen es gleichgültig ist, ob der Ehegatte und die Kinder den nämlich Glauben haben oder nicht. Sie sagend Lasset mich in Ruh mit euren Gewissensängsten und eurer Betschwesterei; ich bin zufrieden und mag mir das Leben nicht verderben mit Scrupel und trübseligen Bedenken; es macht mir schon das Grimmen, wenn ich nur von Missionen, Fastenpredigten und Bruderschaften und So Sachen höre, und lieber will ich zwölf Mark für Cigarren ausgeben, als fünf Pfennig für ein Andachtsbuch.

Wir wollen nun sehen ob denn solche Weltweise auch gesunden Menschenverstand haben, oder ob sie bei all ihrer Gescheitheit unmenschlich blödsinnig sind. Gib jetzt einmal acht. Denk dir, es sei dir nicht mehr gut genug in der Heimat, und du wanderst aus nach Amerika. Du sitzest schon ein paar Tage auf dem Schiff, und das Schiff ist schon so weit im Meer, daß man nichts als Wasser und Himmel sieht. Das Schiff hat guten Wind und lauft frisch und rasch vorwärts. Da bekommt der Schiffskapitän eine Anwandlung von Narrheit, Schlagt den Kompaß Zusammen und wirft die Magnetnadel ins Meer und sagt, man brauche das Ding nicht, da das Schiff schön laufe. Der Kompaß ist nämlich eine kleine Scheibe unter Glas, worauf die Erdgegenden verzeichnet sind, und mitten darüber lauft wie ein Zeiger die Magnetnadel, die von Selber immer gegen Norden oder gegen den Polarstern hinzeigt. Daran müssen nun die Schiffsleute absehen und ausrechnen, was sie dem Schiff für eine Richtung geben müssen, denn sonst wären sie noch viel rathloser auf dem Meer, als wenn du mitten in einem ungeheuer großen Wald stündest ohne Weg und Steg.

Wie wird es nun auf einem solchen Schiff gehen, das keinen Kompaß mehr hat und wo der Kapitän ein Narr ist? — Das Schiff lauft jetzt auf dem Meer wie ein Blinder; es kann so lang auf dem Meer umherirren, bis ihm die Nahrungsmittel und die Kohlen ausgehen, oder es stoßt auf Klippen und Un­tiefen, oder es kommt in ganz andere Gegenden, wohin es nicht bestimmt war. Und da es unter Millionen Richtungen nur eine einzige gibt, welche die rechte ist, und nur der Kompaß die richtige Zeigt, so ist es gerade so unwahrscheinlich, daß man auf einem solchen Schiff an den Ort seiner Bestimmung kommt, als daß du das große Los in einer Lotterie gewinnst, wo unter Mil­lionen Fehlnummern nur ein einziger Gewinner ist.

Gerade so ist es mit dem Menschenleben. Hier auf Erden sind wir wie auf weitem Meer; unser Lebensschifflein lauft schnell alle Tage weiter. Jeder möchte am End an einem guten Ort anlanden; das kommt aber nicht von selber, sondern nur wenn man seinem Leben die rechte Richtung gibt. Wenn man blindlings darauf los lebt, so fahrt man an einem bösen Ort an. Der Herr sagt: „Der Weg ins Verderben ist breit und viele gehen darauf. " Kein Mensch kann sich trösten, daß er beim Anlanden seines Schiffleins, d. h. wenn die Seele beim Tod aus dem Leib aussteigen muß, an den rechten Ort komme, wohin er gewollt hat, außer wenn er einen Kompaß hat und sich in seinem Leben danach richtet. Der Kompaß fürs Menschen leben ist aber nichts anderes als das Christenthum. Ich habe nun hier meine vier Kalender auch einen Kompaß genannt, weil eben alle Unterweisung darin darauf hinausgeht, wie man christlich leben müsse, um christlich zu sterben. Gott geb' es uns allen!

 

 Mixtur gegen Todesangst

 

Kalender für Zeit und Ewigkeit 1843

 

Von

Alban Stolz

 

Für das gemeine Volk und nebenher für geistliche und weltliche Herrenleute

 

 

Zweiunddreißigste Auflage

 

 

Freiburg im Breisgau

Herdersche Verlagsbuchhandlung

Berlin, Karlsruhe, Köln, München und Wien

 

 

Inhalt:

 J e n n e r.

Hornung.

 März.

April.

 Mai.

Juni.

Julius.

August.

September.

O c t o b e r.

November.

D e c e m b e r.

 *

Ansatz.

 Es kam einmal zum hl. Philippus Neri ein Jüngling und erzählte ihm ganz rosenroth vor Freude, daß die Eltern durch vieles Bitten endlich erlaubt hätten, daß er Juristerei studire. Der heilige Philippus machte nicht gern viel Geschwätz, und was man mit drei Worten sagen kann, das sagte er lieber mit anderthalben. Er hörte dem Jüngling ganz gelassen zu und fragte zuletzt nur: „Was dann?" Der fröhliche Student erwiderte: „Dann werde ich Advocat. " „Und dann?" fragte der Heilige weiter. „Dann werde ich mir schon Ruf und Ansehen Zu verschaffen wissen; die Leute werden, mir stark zulaufen, um ihre Processe zu führen. " „Und dann?" „Dann, " fuhr der junge Mensch fort, „dann werde ich ein hübsches Geld mir verdienen, ein schönes Haus an der Hauptstraße kaufen, Pferde und Kutsche anschaffen, eine schöne reiche Person heiraten, und ein herrliches, vergnügtes Leben führen. " Ganz zäh und trocken fragte der alte Patriarch noch einmal: „Und dann?"

„Dann?" sagte der Jüngling langsam - und es ging wie bei einem Fäßlein, das leer wird: es will  nicht mehr recht laufen, und lüpft und rüttelt man es von hinten, so lauft es trüb und es kommt der Satz. So war nun auch der Kopf des Studenten wie ein leeres Fäßlein geworden (was auch sonst hie und da einem Studenten passiert, daß nämlich sein Kopf wie ein leeres Fäßlein inwendig ist und bleibt) — der Fromme Priester hatte mit seinen einfältigen Fragen dem schwindelhaften Studenten alle Fröhlichen Hoffnungen und Plane abgezapft. Der Jüngling bedachte sich, und es stiegen ernste, dunkle Wolken auf in Seiner Seele, Gedanken von Tod und Sarg und Grab und von dem großen Stillen Meer hinter dem Grab, von der Ewigkeit.

So kann in der Frühe ein schönes Morgenroth am Himmel seine Flügel ausspannen, aber bald wird es grau und grauer, und es gibt einen trüben, traurigen Regentag. Wie das Morgenroth, so zerfloß dem Jüngling Lust und Liebe an Processen und Heiraten und Landgütern, und er wurde schwermüthig ob der Aussicht auf das End, sehr schwermütig; und sieh, er entschloß sich, in ein Kloster zu gehen, um allda lebenslänglich zu sorgen für seine unsterbliche Seele.

Lieber Leser, ich bin kein Heiliger, und du bist vielleicht schon lang fein Jüngling mehr, oder du bist deiner Lebtag noch keiner gewesen, weil du zum weiblichen Geschlecht gehörst; ferner wirst du auch gerade kein Advocat werden wollen, zumal da man bis jetzt noch seinen Mangel an Advocaten in unserem Land verspürt hat, sondern  das Gegentheil von Mangel. Auch will ich dich nicht durch allerlei melancholische Betrachtungen über die Welt in ein Kloster hinein ängstigen. Es ist ohnedies bei uns heutigen Tags leichter in einer Kaserne oder Fabrik Unterkunft zu finden als in einem Kloster. Aber darum will ich doch so ein Gespräch von der Art führen, wie der hl. Philippus mit dem Student verführt hat. Schau einmal inwendig in dich hinein, und schau, was deine leibeigene Seele treibt; da wirst du leichtlich sehen, daß sie wie ein Huhn sitzt und brütet über einem ganzen Nest voll Sorgen, Wünschen und Plänen, und meint: Wenn nur das weg wäre und jenes noch geschähe, dann wollte ich gern nichts mehr Sorgen und nichts mehr wünschen. Schlag oder blas einmal und commandir sie hervor, und laß alle General- und gemeinen Wünsche, alle schweren  und leichten Bekümmernisse, die bei dir im Quartier liegen, aufreiten und vorbeimarschieren vor deinem Geist in ihren grünen Uniformen der Hoffnung und ihrer grauen Montur der Sorgen Wir wollen den Fall setzen, es gehe und komme alles, wie du nur wünschest, eine Sorge um die andere schmelze hinweg wie Schnee und Eis im Frühjahr, und. es sprosse, blühe und grüne dir nichts als Freude und Glück auf Erden — was aber dann? was zuletzt? Besinn dich und vertief dich einmal recht in das letzte Dann --

Kommt's dir nicht in den Ohren, wie wenn du so etwas zunageln hörtest als wie einen Sarg? und sehen die Augen deiner Seele nicht von weitem ein Kreuz mit einem Dächlein darüber, und dein eigener Name steht auf dem Kreuz? und witterst du nicht Erdgeruch von einem frisch aufgeworfenen Grab? Oder, daß ich's kurz sage, erinnert es dich nicht, daß du sterben mußt? Du hast freilich das Sterben noch nicht erlebt, und darum thut auch mancher, wie wenn er gar nicht an seinen eigenen Tod glaube und der Tod nur für andere Leute auf der Welt wäre, z. B. für reiche Basen und ledige Geschwister, die er erben will. Aber läugnen kann's doch keiner, daß er sterben muß; und daß er es nicht läugnen kann, so gern er auch möchte, das macht manchem reichen Herrn, aber auch manchem habsüchtigen Handwerksmann und geizigen Bauern bittern Verdruß, und es kommen ihm darüber zu Zeiten rabenschwarze Gedanken. Denn der Tod ist gewaltthätig gar sehr, und laßt sich durch keine Polizei, durch keinen Nachtwächter, durch keine Schildwache, nicht einmal durch einen Physikus oder Leibarzt abhalten, ebenso arg in Städten und Palästen zu rumoren und Tag und Nacht Menschen ums Leben zu bringen wie auf dem armen Dorf.

Sich den Tod aber aus dem Sinn schlagen, auch das will nicht immer gehen. Du kannst nicht allemal die Ohren zuhalten, wenn das Scheidzeichen läutet; du kannst nicht allemal vorher schon das Gesicht wegwenden, wenn der Schreiner einen leeren, oder ihrer vier einen vollen Sarg an deinem Fenster vorbeitragen; und wenn du über Feld gehst, kannst du nicht allemal einen Umweg nehmen, damit du nicht am Kirchhof vorbei mußt.

Ja auch im Bett lassen dir die Todesgedanken keine Ruhe; wie die Wanzen kriechen sie gerade nächtlicher Weil am liebsten hervor und setzen deiner Seele zu: bald siehst du im Traum einen Todten ins Grab tragen, oder wider alle  Ordnung aus dem Grab herauskriechen und herumgespenstern; bald machen dir beim Aufwachen Sterb- und Gerichtgedanken in ihren schwarzen Mänteln eine Morgenvisite ohne deine Erlaubniß und ohne daß du „Herein!" gesagt hast. Ja, es geht manchen Leuten mit den Todesgedanken wie mit den Mücken im August. Je öfter man sie aus dem Gesicht jagen will, desto öfter und hartnäckiger setzen sie sich wieder darauf. Ohnedies schickt der Tod meistens, wie die hohen Potentaten, seine Kuriere voraus, die ihn ansagen und ihm den Weg bereiten müssen. Und wenn die einmal da sind, da ist es schwer, nicht an den Tod zu denken. Diese Boten des Todes sind Krankheiten und Leibesschwachheiten. Schlag einmal den Tod aus dem Sinn, wenn langwieriger Husten, Engbrüstigkeit, Fieber, übertriebenes Herzklopfen, geschwollene Füße und andere Schäden deinen Leichnam wurm-stichig und baufällig machen, und es braucht einer gerade nicht auf Doctor gestudirt zu haben, um zu merken, daß es auch kein langes Leben mehr bedeute, wenn die Blätter deines Hauptes, die Haare, grau werden und abfallen, so daß der Todtenschädel nur noch mit einer dünnen Haut überzogen ist; und wenn die Glieder zitterig werden, als rüttle der Tod darin, bis sie umstürzen; und wenn deine Zähne hohl sind wie Orgelpfeifen, oder ein Zahn um den andern von seinem Posten desertirt und schon im voraus den Weg alles Beinwerks gegangen ist. Wenn aber der furchtbare Exequent des ewigen Richters, wenn der Tod stärker und gröber anklopft an dem morschen Häuschen der Seele, so daß die arme Seele handgreiflich merkt, wer vor der Thüre steht; wenn eine schwere Todeskrankheit einen packt, da geht es manchem wie dem Vögelein, wenn es eine. Klapperschlange sieht. Wenn dieses schreckliche Thier mit seinen feurigen Stechaugen funkelt, seinen Rachen, aufsperrt und mit seiner gespaltenen Gabelzunge dem Vögelein gierig entgegenzüngelt, da kommt ein solcher Schrecken und Verwirrung über das Thierchen, daß es der Schlange selber noch in den Rachen fliegt. — Mancher möcht sich selber noch in den Tod stürzen, nur um der Last der Todesangst los zu werden.

Darum wäre es viel werth, wenn man  alle  Angst  vor dem Tod auf rechtmäßige Art abtreiben könnte. Diese Kunst will ich dich aber gerade lehren. Darum stehen in diesem Kalender keine Historien, Mordthaten und Gespäße; keine Mittel gegen die Feldmäuse und Maikäfer; nichts von einem neuen Pflug und neumodischen Dung und dergleichen Unrath, sondern nur Hausmittel und Recepte gegen die Todesangst; es ist auch Sympathie und Wahrsagen dabei. Die Mittel sind alle wohlfeil, ganz wohlfeil, und helfen ganz gewiß; es hat noch keinen gereut, der sie gebraucht hat. Die meisten und besten darunter sind von einem Schäfer, der vor vielen hundert Jahren weit über dem Meer in Asia gelebt hat, und der mehr gewußt hat als alle Dokter, Amtmänner und Pfarrer zusammen genommen, obschon er nie studirt hat. Ich will dir auch seinen Namen sagen: er heißt — Jesus Christus.

Wenn die Mittel aber anschlagen sollen, so darfst du es nicht machen wie ein Kranker, der sich ein Recept verschreiben läßt, die Medicin besieht und daran riecht, wie sie schmeckt, dann aber dieselbe abseits stellt oder zum Fenster hinausschüttet. Du mußt es auch pünktlich so machen, wie die  Anweisung im Kalender vorschreibt: sonst geb' ich dir um dein Geles keinen falschen Heller. Zum andern darfst du auch die Arznei nicht auf einmal hinunterschütten und verschlingen, sonst kann sie sich nicht gehörig im Leib setzen und vertheilen; nur alle paar Stunden einen Löffel voll: das heißt, du darfst nicht auf einen Sitz und auch nicht auf zwei, den ganzen Kalender durchlesen, weil er sonst kein Gedeihen bei dir hätte, sondern nur Tag  für Tag oder jede Woche ein Stück davon. Und je kleiner du deiner Seele die Bröcklein vorlegst, desto besser kann sie es zu Herzen nehmen und verdauen, und desto lieber ist es mir. Zumal wenn dir ein Artikel oder Spruch aufstoßt, der gerade so aussieht, wie wenn er besonders für dich gemacht wäre und mit dem Finger auf einen Hauptschaden deiner Seele rupfte; und du allerlei Gedanken darob bekommst, das Herz zum erstenmal unruhig wird, oder eine alte Unruhe im Herzen sich wieder regt: da lies nicht weiter, sondern mach das Büchlein zu und merk auf die in­wendigen Gedanken, besonders auf die, welche das ernsthafteste Gesicht machen. Und wenn unter diesem Gewühl von Gedanken etwas sich regen will und das Haupt emporhebt, wie ein guter Vorsatz, dann greif danach, wie wenn du unter dem Sand ein Goldkörnchen sahest, und laß dir selber keine Ruhe, bis der Vorsatz in dir lebendig wird und Gewalt bekommt, so daß du auch danach thuest. Denn ein guter Vorsatz, der nach du paar Tagen nicht wieder elendiglich verwelkt und abstirbt, sondern gesundes Leben und Gedeihen hat, und aus dem etwas wird, ein gutes Werk oder eine gute Gewohnheit, ein solcher Vorsatz ist eine kostbare Errungenschaft, mehr werth, als wenn einer ein paar Morgen Feld und ein Stück Wald von einem alten Vettersmann geerbt hatte. Und zum letzten, merkst du, daß die Arznei wirkt und dir gut bekommt, dann laß sie repetiren, d. h. lies den Kalender noch einmal von vornen an mit solchen Bedacht, wie wenn du ein Heide wärst, der zum erstenmal etwas von Gott hörete. So wollen wir nun anfangen im Namen Gottes.

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 J e n n e r.

Gras sind die Menschen alle, und alle ihre

Schönheit ist wie eine Blume auf der Flur.

Isaias der Prophet

Wenn der Tod unversehens neben  dir einen  am Schopf nimmt, wie der Engel den Habakuk, und ihn hinwegreißt vom Erdboden, d. h. wenn ein schneller Sterbfall geschieht im Haus oder in der Nachbarschaft; oder wenn du neben der Bettlade eines Sterbenden stehst und siehst  zu, wie er es macht, nämlich das Sterben; oder wenn dich der Tod selber anblickt, du bekommst eine Brustentzündung, oder es fröstelt dich und ein Nervenfieber setzt an: da wandelt es die Seele gerne an wie ein Schauder, wie Moderluft aus einem alten Todtengewölb, das man nach langen Jahren wieder öffnet. Gibt es nichts gegen solche Todesschrecken? Freilich gibt es Abführmittel dagegen, aber — sie sind schädlich. So fürchtet z. B. mancher den Tod nicht, weil er leichtsinnig ist und dumm, oder weil er nichts glaubt, und ihm dabei übel geht. Wie viele Heiden und wie viele Christenheiden haben Schon Selbst den Tod mit Gewalt citirt, und haben mit einem Strick, oder Messer, oder einer Bleikugel, oder einem Giftrank die eigene Seele unzeitig abgetrieben! Auf derlei Manier Sollst du nicht frech gegen den Tod werden. Denn wenn du Selber, bevor dich Gott von deinem Posten auf Erden rechtmäßig ablösen läßt, durchgehst, und dem Tod mit Gewalt entgegenrennst, so fällst du nicht nur dem Tod in die Spitzigen Finger, Sondern der Tod macht Halbpart mit seinem Gevattersmann, dem Teufel. Der Tod nimmt deinen Leib, deine Seele aber kann er nicht verdauen, die gibt er dem Teufel. Darum sagt auch der Franzos von einem solchen Selbstmörder im Sprichwort: „Er springt von der Pfanne in die Kohlen. " Der Tod wird ihm hintennach schwerlich Tanzmusik und viel Pläsir und ein leichtes Herz machen.

Ferner: der Leichenschauer und Todtengräber hantirt mit einem todten Menschen, wie wenn er nur ein Bund Stroh wäre, kann noch dabei Spaß machen und lachen, weil ihm eben die Todten so oft unter die Augen kommen, daß ihr Anblick keinen Eindruck mehr auf ihm macht. Auch darum geb' ich nichts; im Gegentheil, es ist nicht gut, wenn die Seele eine dicke, rindige Haut bekommt wie ein Wildschwein und gefühllos wird. Wer an todten Menschen sein Brod verdient als Todtengräber oder derart etwas, wird in und nach dem Tod eben doch inne werden, daß der Tod ein scharfes Gebiß hat, und mit seinem Stilet einem ärger zusetzt, als man bei gesunden Gliedern meint. Ich möchte dich etwas Besseres lehren als nur die Todten und den Tod nicht fürchten: ich möchte dir eine Anweisung geben, daß du den Tod gar nicht mehr zu fürchten habest. Wir wollen dem Tod das Gift und den Stachel nehmen, daß er nicht mehr stechen und schaden kann; dann wird auch sein Angesicht nicht mehr so greulich aussehen. Wer weiß, vielleicht finden wir auch etwas Verborgenes darin, das einen tröstlich ansieht, wie das stille Glitzern der Sterne in dunkler Nacht. Du mußt aber ja nicht meinen, ich wollte dir den Tod hellgrün anstreichen, und sein mageres Gebein mit einem geblümelten Vorhang zudecken, und wie es in vielen Andachtsbüchern mit Goldschnitt für Gebildete des männlichen oder weiblichen oder meinethalben auch des ungewissen Geschlechtes Zu lesen ist, allda reden ganz süßiglich und voll Duft "von der Friedenspalme, die der Engel des Todes einem zuwinkt; von der Ruhe, die über den Gräbern weht; von dem Wiedersehen all der Theuern, die vorausgegangen und nachkommen; von dem Vater der ewigen Liebe, der alle Schwachheiten des Erdenthales mit dem Schleier der Liebe bedeckt und jeden Anflug von edeln Gedanken mit ewiger Wonne vergilt". Dergleichen Redensarten riechen stark nach Pomade und Saffianleder; und manches schwache Gehirn bekommt davon Schwindel. Wenn ich dich in die Kur nehmen soll, so ziehen wir den Tod ganz nackt ans Tageslicht, und du mußt ihm ganz fest in die hohlen Augenlöcher und zwischen die Rippen hineinschauen; grauset's dir auch ein wenig, so schadet das nichts. Besser jetzt, als später erst. Darum merk jetzt auf, wie es mit dem Sterben zugeht, und wie man dazu kommt.

Der Leib ist gar so kunstreich zusammen geflochten aus Geäder, Nervenschnüren, Muskeln, Gedärm, Bändern, Häuten, Knochen und Knöchelein; und es sind so vielerlei Säfte und Salben und Spiritus  darin wie in einer Apotheke: z. B. sind da Magensaft, Galle, Menschenschmalz, Speichel, Hirnlatwerg, Thränenwasser, Geblüt, verschiedene Sorten von Lebensgeistern u. s. w. Darin wird nun Tag und Nacht gehämmert vom Herzen, geblasen, gewärmt, gekocht, abgekühlt, destillirt, hin- und her-, auf- und abgelaufen, gestreckt und zusammengezogen und noch vieles darin getrieben, was ich nicht weiß und auch der Doctor nicht. Es ist im Leib kein so kleines Ding, das nicht jedes Sein besonderes Geschäft hätte, und wird dabei kein Lärm und Zank unter so vielen Arbeitern gehört: es geht in stiller Ordnung alles seinen Gang. Wir haben bei dem meisten, was in der Fabrik des Leibes gearbeitet wird, kein Wort dazu zu sagen und müssen es gehen lassen, wie es eben geht; es schafft auf eigene Rechnung^ und ist ein fremder unsichtbarer Meister, der das dirigirt. -Jetzt darf aber in dem inwendigen Triebwerk nur etwas irre werden oder in Unordnung kommen; es darf nur im Hirn oder in den Nerven so ein feiner Saft gerinnen; oder es darf das Blut zu viel oder zu wenig Zusatz beim Bräuen bekommen, oder es darf der Magen überdrüssig werden, immer so viel Essen und Trinken zu verdauen; oder es darf ein alter Schaden von einem offenen Fuß sich auf die Brust ziehen: so ist es gleich um den ganzen Menschen geschehen.

Ich will nicht: einmal davon reden, wie gern dem Leib auch von außen her ein Unglück zustoßt: ein Sturz von einem Baum, auf der Eisenbahn, beim Baden, ein falscher Schuß in der Neujahrsnacht oder sonst zu ungelegener Zeit. Der Leib ist nur eine gar dünne Wand zwischen Leben und Tod, zwischen Zeit und  Ewigkeit, wie von schlechtgeleimtem Postpapier. Ueberhaupt aber, was brauchst du, um eine Mücke, die du zwischen den Fingern hast, abzuthun? Du drückst ein klein bißchen, und alles Fliegen, Regen und Leben der kleinen Creatur hat für immer ein End. So hat dich Gott auch zwischen den Fingern. Er braucht nur ein wenig zu drücken; ist nicht wahr — er braucht nur zu hauchen; auch das ist überflüssig — er braucht nur zu wollen; das nicht einmal — er braucht nur aufzuhören, dir zu helfen und dich zu halten, so löscht dein Leben aus elendiglich, wie ein Lichtlein, das nichts mehr zu zehren, kein Oel mehr hat; und deine Seele stürzt hinab in den Abgrund der Ewigkeit, und zwei Tage darauf tragen sie den Leib in das Grab und räuchern die Kammer aus mit Wacholder oder Essig, wo dein Leichnam gelegen ist, damit auch der hinterlassene Geruch von dannen zieht, und deine sonstigen Habseligkeiten werden vertheilt oder versteigert.                     

So kommt's auf jeden Fall früh oder spät; meistens  früher, als man meint. Wer weiß, vielleicht hast du jetzt schon deine letzten Kleider an, und der, welcher dir den nächsten Rock anmißt, ist kein Schneidermeister, sondern ein Schreiner, und das Zeug zu deinem Kleid holt er nicht beim Krämer in der Stadt, sondern auf der Sägmühle und gibt ihm selber die Farb, gelb oder braun und ein Kreuz darüber gemalt wie an einem Meßgewand. Er nagelt dir nämlich ein langes, ernsthaftes Feierkleid zusammen aus sechs Brettern von Tannenholz — und übers Jahr um diese Zeit wächst schon Gras auf deinem Grab, und das Kreuz wird mürb von vielem Regen und Schneegestöber und Thauwetter. — Wie würdest du erschrecken, wenn du wüßtest, wie nahe schon jetzt der Tod bei dir steht! Vielleicht bist du, der du jetzt in diesem Kalender liesest, der nächste, welcher in deinem Wohnorte sterben muß. Du mußt dir ja nicht einbilden, der Tod werde schon so viele Rücksicht haben, und warten, bis es dir geschickt ist. Er bekümmert sich nicht darum, ob du mit deinem Gewissen in Ordnung bist; er bleibt dir nicht vor dem Haus sitzen, bis du deine Geschäfte und das Testament ins reine gebracht hast; und fragt nichts danach, ob man dich auf der Welt noch, brauchen kann, oder nicht. Der Tod ist hart und ohne Mitleid wie ein alter Scharfrichter. Er sieht nicht auf das Kindlein in der Wiege, das hungrig nach der Brust der sterbenden Mutter schreit; er tödtet die Mutter, und das Kindlein laßt er Schreien. Ihn rührt es nicht, wenn der alte Vater und die Sohnsfrau mit ihren Kindern wehklagen und fast unsinnig vor Jammer werden: der Sohn röchelt im Bett, das Auge erlöscht — und ausgezittert hat das kranke Herz.

Du Mensch, von Erd und Wasser zusammengeleimt, zähle darum nicht auf ein langes Leben und setz dich  nicht da unten fest, wie wenn du in Ewigkeit da sitzen bleiben dürftest. Du hast eine verborgene Zahl, die der Herrgott schon vor der Geburt dir festgesetzt hat, und dein Herz zählt Tag und Nacht an dieser Zahl mit seinem Klopfen, und es pressiert ihm ordentlich, daß es bald fertig werde. Und es zählt sehr schnell, gar sehr schnell; nur wenn es den letzten paar Herzschlägen zugeht, da geht es noch ganz langsam, wie der Eisenhammer, wenn dem Rad das Wasser abgespannt wird — und noch einmal — und jetzt noch einmal -- und jetzt nimmer —, ach, nimmermehr —

Wie wird's aber gehen, wenn dir einmal der Tod das Loschie (die Wohnung) im Leib und über dem Erdboden auf kündet? Wenn einmal der Arzt ein bedenkliches Gesicht macht; wenn du deinen Leuten an den röthlichen Augen ansiehst, daß sie abseits geweint haben; wenn deine Mutter oder die Frau sagt: „Du, Alysi, " oder wie du sonst heißest, „es thät nichts schaden, wenn du dich versehen ließest, man stirbt nicht desto bälder"; wenn die Füße oder eine Hand geschwollen werden, und dein Vetter, mit dem du schon lange verfeindet warst, auf einmal von selber kommt, dir die Hand gibt und sagt: „Lieber Vettermann, verzeih mir, wenn ich dich beleidigt habe, es ist auch alles verziehen"; und wenn es überhaupt aussieht, als dürftest du die Hosen auf dem Stuhl und den Rock am Nagel und die Schuhe unter der Bettlade herzhaft, ohne Vorbehalt und Ratification, jetzt schon versteigern lassen, dieweil du, wie das erste Mal zur Tauf, so desgleichen den nächsten Ausgang aus dem Haus  ohne Schuhe und  ohne Hosen und nicht zu Fuß machen wirst: da steigen Todesgedanken schwer und finster aus der Tiefe der Seele, und sehr bang wird es dem Herzen. Es kommt dich ein gewaltthätiger, grausamer Schrecken zuerst an, und dann möchtest du in dem unermeßlichen Jammer um dich selbst weheklagen, daß du schei­den mußt vom süßen Leben, vom sonnigen Tag unter dem Himmel, von aller Erdenlust und allem Erdengut, von dem Ehe­gemahl und den lieben Kindern. Und wäre das nur das Aergste beim Sterben, der Schmerz der Trennung vom Erdenleben, dann könnte man sich nach und nach darein schicken; denn eine Menschenseele kann viel aushallen, wenn es darauf ankommt: aber es gibt noch Entsetzlicheres, was wie ein gräßliches Gespenst die Seele ängstigt, sobald es gewiß scheint, du müssest sterben. Davon zu reden, ist aber später noch Zeit. Zuerst wollen wir noch sehen, wie der Tod den Leib tractirt.

Wenn ein Mensch ordnungsmäßig stirbt, nicht übereilt oder sonst auf besondere Art, so wird es ihm zuerst gar übel und ärmlich, die Augen werden trüb, daß er meint, die Nacht sei angebrochen; die Fleischbrühe und den alten Wein, den sie ihm einschütten wollen, kann er nicht hinunterbringen, er fließt  auf einer Seite des Mundes wieder heraus; auf das Rufen gibt er kein Zeichen mehr; die Füße sind kalt und die Stirne feucht. Wohl röchelt die Brust schwer und gierig noch nach Lebensluft — aber langsamer und qualvoller von Viertelstunde zu Viertelstunde wird der Athem — die schönen feurigen Augen werden stier und abgestanden, wie von altem Unschlitt; die Nase wird krumm; die Backen fallen tief ein, und der Mund steht unschön offen, wie wenn die arme Seel zwischen den grauen Lippen herausgefahren wäre und hätte Platz gebraucht.

Aber noch hat des Todes Grimm nicht ausgetobt. Je nach Umständen fängt der Leichtnam an pestilenzialisch zu stinken (warum soll ich es hübscher tituliren, als es ist? es röche davon nicht besser), und Medicin, oder schwarzes Blut und anderer Saft rinnt heraus, wo es eben einen Ausweg findet. Manchmal wird der Todte auch blau und schwarz im Gesicht, geschwellt fürchterlich, daß es den Sarg versprengt und man ihn mit Seilern zubinden muß; schon etliche Male weiß ich, daß dieses bei recht unflätigen Sündern vorgekommen ist. Dann tragen sie ihn hinaus, singen und beten etwas, und der Sarg wird hinuntergelassen am Strick. Da heult noch das Waislein und die Wittfrau, und noch ein oder zwei Stück aus der Freundschaft halten das Nastuch vor, manchmal im Ernst, manchmal der Schicklichkeit halber. Wenn dann der Pfarrer oder der Vicar fertig ist mit seinem Gebet, dann thun dir die Leichenbegleiter, wie es eben Gebrauch ist, noch Ehre an und werfen einige Grundschollen auf deinen Sarg, daß es poltert, als wollte es vorläufig die große Trommel schlagen zum Posaunenschall des letzten Gerichtes; und das Volk betet noch ein paar Vaterunser, und sie sagen: „Herr, gib ihm die ewige Ruhe" — und gehen fort. Nur der Todtengräber mit kühlem Herzen nimmt die Schaufel und wirft dich zu — vier, fünf Schuh hoch schwere Erde — das Kreuz darauf — zieht dann seinen Rock an säubert die Schaufel und geht von dannen.

Jetzt ist dein Leib allein, ganz allein, unter lauter Todten und zum erstenmal über Nacht auf dem Kirchhof. Nur der bleiche Wurm im Gedärm wühlt sich heraus, zehrt und verderbt dein Fleisch still und ungesehen, und weil er es nicht allein erzwingen kann, macht er noch Junge dazu. Und das gräßliche Grabesthier, die Verwesung, kriecht an dich heran, packt dich mit seinen Klauen und entstellt dich grausenhaft, so grausig, daß, wenn man dich aufgrübe, viele ob des Anblicks ohnmächtig zusammenstürzten — der Geruch aber, der aus deinem Leibe auf­steigt, kann Menschen tödten, so giftig und voll Pest ist er. Denk dir das abscheulichste, was du kannst: es ist nicht so abscheulich, als du selber sein wirst wenige Wochen nach dem Tod.

Ich habe einmal  ein Bild  gesehen, ein ganz erschreckliches, gräßliches Bild; so grausam abscheulich ist noch kein Teufel aus der Hölle abgemalt worden, als dieses Bild, und doch war es keine Abbildung eines Teufels. Was war es denn? — ein gewisser Cardinal hatte eine sehr schöne Leibesgestalt; und wie denn manches Weibsbild gar leichtfertige gelüstige Augen und ein leichtfertiges gelüstiges Herz hat, so faßte eine solche Person eine sinnliche Liebe zu dem schönen Mann und verbarg es wenig, sondern gab es zu erkennen aus verschiedenartige Weise. Der Cardinal hatte ein Mißfallen daran und hätte gern das ungesunde Liebesfeuer in ihrem Herzen ausgetreten; aber das thörichte Weib blieb verrückt und vernarrt. Da geschah es denn, daß der hohe Prälat krank wurde und deutlich den Tod herbeischlorpen hörte. Er machte nun, wie es recht ist, zeitig noch seine letzten Verordnungen. Unter anderem vertestamentirte er ein bestimmtes Geld, damit sechs Wochen nach seinem Absterben der Leichnam ausgegraben werde und ein rechtschaffener Maler das Gesicht, wie es alsdann in der Verwesung dreinsehe, getreu abmale. Das Konterfei solle man dann dem verliebten Weibsbild schicken, um sie von ihrem Schaden zu heilen und zur Besin­nung zu bringen. So geschah es dann, und ich habe das Ab­bild davon gesehen. Du hast gewiß selbst im schrecklichsten Traum noch kein so entsetzliches Gesicht gesehen. Und dennoch wird auch dein Antlitz einmal nicht schöner aussehen, wenn man es einige Wochen nach deinem Tode ausgrübe. Das kommt auch dir, das ist der Herbst deines Fleisches. Der Todtentopf steckt schon hinter der Haut deines Angesichts, und in deinem Bauch wartet jetzt schon der Wurm auf Menschenfleisch.

Gewiß hast du auch schon dein Angesicht mit Wohlgefallen im Spiegel betrachtet; oder hast einen stolzen Schritt verführt wegen deinen schlanken, kräftigen Gliedern; oder warst gar so vergnügt, wenn dich ein junges Mädchen holdselig angelächelt hat: und doch ist Menschenschönheit noch elender als eine Blume. Eine Blume blüht freilich auch nur kurz, und gar bald muß sie verwelken; aber ist ihre Zeit aus und hat sie verblüht, so sieht sie doch auch nicht viel schlechter aus als anderes Heu. Aber der Mensch, ein so schönes Gebild, wenn er jung und gesund ist, wird unerträglich abscheulich, sobald er im Grab abblüht: wie wenn die Natur ihren argsten Grimm an dem auszulassen und den am ungeheuersten zu schanden begehrte, der einige Jahre über sie Meister sein wollte. Wenn die Leute das nur auch zur rechten Zeit bedächten und aus der Verwesung des Leibes wie aus dem Dung Vortheil zögen!

In Spanien war eine Königin, Namens Isabelle. Diese war jung und von so wunderbarer Schönheit, daß der Tod selbst ein Aug auf sie geworfen hat und sie zum Gemahl begehrte; sie starb schnell hinweg im Frühjahr ihres Lebens. Weil nun die Fürstlichen auch gerne im Tode etwas Besseres haben möchten als andere Leute, so haben sie besondere Todtenkammern unter dem Boden; man heißt sie Fürstengruften. Darein werden die königlichen Leichname gestellt, und bekommen keine Erde auf ihren Sarg. So sollte nun auch die todte Isabelle in die Gruft der Könige von Spanien verführt werden. Das geschah mit vieler Pracht, womit man den Tod verzieren wollte, und ein Herzog von Borgia führte den Zug an. Als man nun in die alte prächtige Stadt Granada zum stillen Lager der todten Fürstin gekommen war, wurde der Sarg geöffnet, um den Leichnam noch einmal zu besichtigen. Den hatte aber schon die Fäulniß gräßlich verwüstet, und aus dem Ding, was sonst das schöne Angesicht war, grinste auf die fürchterlichste Weise Todesgrauen und Verwesung. Darüber entsetzte sich der Herzog gar sehr, und seine Seele ward erschüttert bis in die Grundfesten, da er die Königin verwandelt sah in ein von Verwesung geschwollenes und verzerrtes Schreckbild, das Todesgestank aus­hauchte. Und wie wenn seine Seele entzweizerreißen wollte, so zog es inwendig hin und her; und als es wieder ruhiger wurde, da war ihm alle irdische Herrlichkeit verleidet, und freute ihn keine Menschenehre und keine Lustbarkeit mehr. Er legte alle Aemter und Titel ab, theilte sein Vermögen unter die Armen und strengte sich nun an, durch ein ernstes christliches Leben einen guten Tod zu erringen. Dieser Herzog ist der heilige Franciscus von Borgia geworden, und pflegte bann zu sagen:  „Jeder Mensch soll täglich 24 mal an den Tod denken. "

Das könnte nichts schaden, lieber Leser; ich will dir's aber gerade nicht zumuthen. Aber viel wäre es werth, wenn du jeden Tag wenigstens einmal an den Tod dächtest. Das ist kein so schweres Stück, und es ist dafür gesorgt, daß man leicht oft an den Tod denken kann. Denn er hat überall, wie ein Handwerksbursch oder Büblein, das erst schreiben gelernt hat, seinen Namen hingeschrieben. Es kommt nur darauf an, daß einer seine Handschrift lesen kann. — Der Tod hat seinen Namen gezeichnet an das alte Schloß auf dem Berg. Wo sind die Ritter und edlen Fräulein, die hoch dort oben standen und herunterschauten ins weite Land zum Rheinstrom hin? Wie still ist es jetzt geworden! Nur die wilde Taube und der Sperber nisten zwischen den grauen Mauern, und Epheu schlingt sich daran hinauf. Wie seltsam wird es einem zu Muthe, wenn man einsam zwischen solchem alten Mauerwerk steht und vor sich dahinschaut! Es wird einem, als hörte man, wie der Sand an der Sanduhr des Todes leise herabsickert. — Der Tod hat seinen Namen geschrieben an die alte Kirche. Wo ist der Maurer und der Steinhauer, die da um wenig Lohn, mehr um Gottes willen, freudig hohe Bogen und schlanken Thurm er­bauten? Ach, der Thurm und die Bogen stehen noch fest im Sturm und Regen, aber der Werkmeister und seine Gesellen sind schon lang hinabgesunken in die Gräber, und niemand kennt ihr' Gebein und ihre Namen mehr. — Er hat ihn hingeschrieben auf jede welke Blume. Was steht darauf geschrieben? „Es gab eine Zeit wo diese Blume schön war und frisch; jetzt ist sie anders geworden. " Wo ist ihr Leben und ihre Schönheit hingekommen? — So magst auch du und dein Gemahl und dein Kind, und wer dir sonst lieb ist, lebendig und gesund, und schön und fröhlich sein; aber auch an euch wird all das kommen, es wird welken, löschen und sterben.

Ja, die ganze Welt ist ein großes Todtenbuch, habe nur die Augen offen, und wolle auch sehen, was darin steht. Gehst du an einem Bach vorbei, dem es pressirt, so denk an die Zeit, die noch schneller dich und dein Leben fortreißt, dem Tod und der Ewigkeit entgegen, und nimmer wiederkehrt. — Brennt ein Licht vor dir, so bedenk's: so ruhig auch das Licht brennt, so verzehrt es sich doch mehr und mehr und brennt seinem Erlöschen entgegen. Auf gleiche Weise verzehrt sich dein Leben täglich und stündlich, so wenig du es auch merken magst. — Schlagt die Uhr, so versteh ihren Ruf, der Glocke tiefer Ton ruft dir ernst zu: Die Zeit geht schnell und mit der Zeit dein Leben. — Fallt dein Blick auf den Boden, und geht Erdgeruch dir in die Nase, so denk, wie du in der Erde liegen wirst; Erde über dir, Erde um dich, und zu Erde verzehrt und verdaut sie dich in ihrem Bauch. — Wenn es Scheidzeichen läutet, wenn du in der Nähe Weihrauch riechst und singen hörst: „Herr, erbarme dich!" oder wenn eines an dir vorübergeht mit Flor und schwarzem Kleid, o so bedenk es wohl: Bald vielleicht läuten und singen sie auch dir, und tragen auch um dich das schwarze Kleid und den Flor. — Und wenn dir die Glieder anfangen ungelenk zu werden, wenn du nicht mehr dein Lieblingsessen recht vertragen kannst, wenn die Nebel dir auf die Brust sitzen, wenn dich zu­weilen Schwindel befallt und Ohrenbrausen: so braust und raunt es dir zu: „Memento mori", bedenk, du mußt sterben. Das ist aber sehr gesund; die Engbrüstigkeit und das Ohrensausen nicht, aber wohl das Erinnern.

Schlage dir solche Gedanken ja nicht aus dem Sinn, sondern wenn sie sich wieder verziehen wollen, so ruf sie zurück und sag sie sollen sich setzen und Platz nehmen; und laß dir noch mehr von ihnen erzählen. Denn das Andenken an den Tod vertreibt unartige Manieren und Gewohnheiten; hilft ungerecht Gut zurücktragen, und zieht einem die Hand zurück, wenn man sie danach ausstreckt; es kühlt unkeusche Begierden ab; schneidet der Rachsucht die Flechsen entzwei, daß sie lahm wird; verderbt dem Geiz seine Freude und dreht der Habsucht den Hals um; führt einen wieder in die Kirche und zum Sacrament; und macht, daß man weniger ins Wirtshaus hinein- und früher hinausgeht. Die rechten Todesgedanken machen den Leichtsinnigen ernsthaft und den Bekümmerten getröstet.

Von dieser Sympathie und den geheimen Kräften der Todesgedanken wissen viele Leute: und hat darum schon mancher zu Lebzeiten seinen Sarg machen lassen und hat ihm in seiner Schlafkammer zum Augenspiegel hinstellen lassen. Der deutsche Kaiser Max ließ ihn selbst auf seinen Reisen mittransportiren, den eigenen Sarg; und Carolus V., ein Herr und Fürst über so weite Länder, daß es hieß, die Sonne gehe nicht unter in seinem Reiche, der ließ ein Todtenamt und die Leichengebete über sich halten und wohnte denselben bei und schaute seiner eigenen Leichenfeier zu, eine Kerze in der Hand. Viele haben auf ihrem Tisch, wo sie lesen und schreiben, einen Todtenkopf liegen; andere gehen fleißig auf den Kirchhof spazieren, ihrer eigenen armen Seele zulieb; und mancher geht allemal hin und schaut zu, wenn eines in seinem Dorfe stirbt.

Du könntest auch so etwas treiben, es wäre viel dabei zu gewinnen: der Leib bleibt zahmer davon und die Begierlichkeit im Leib. Wenn du auch gerade keinen Todtenkopf kriegen kannst und kein Geld hast zu einem vorläufigen Sarg, so kannst du doch zuweilen einem Menschen, an den die Reihe früher kommt, zusehen, wie er stirbt; oder kommst du nicht gerade dazu, wo er daran ist am Sterben, so besieh ihm noch im Tod. So ein Sterbender oder Todter kann gar schon und eindringlich predigen, daß es einem durch Mark und Bein geht, ohne Worte und ohne Gestus; mancher Pfarrer könnt' es nicht so zuwegbringen. Und wenn die stille Predigt in deiner Seele schwere Gedanken auf­rührt, so kannst du dir es gleich ein wenig leichter machen. Geh, bevor du nach Hause gehst, zuerst am Haus des Feindes vorbei, ob du ihm nicht antriffst, und versöhne dich mit ihm; bring dem Herrn Pfarrer das ungerechte Gut, das noch auf deinem Gewissen liegt, er soll es dem Eigenthümer zurückgeben; verschwör für immer die Karten, wenn sie dich schon vielmal zum Sündigen verführt haben, und auf jeden Fall verschwör den Schnaps; gib die Person oder das Haus auf, wo es nicht recht zugeht; gib auch mehr Almosen, und bet auch mehr. Wenn du aber noch mehr wissen willst, um es inwendig leichter zu machen, so frag vorderhand nur dein Gewissen, d. h. besinn dich, in welchen Punkten du dich noch ändern müssest, um trostreich zu sterben. Es gibt gern Antwort, wenn man bei ihm um Rath, fragt. Das kannst du aber auch jetzt gleich thun, ohne daß gerade einer stirbt und du ihm Zusiehst.

Aber über diesen Artikel bekommst du bald noch mehr zu lesen. Nur sei so gut und thue jetzt schon, bevor du weiterliesest, etwas, was deiner armen Seele im Sterben wohl bekommt; oder mach wenigstens Anstalt dazu durch einen guten Vorsatz; ich kann's nicht leiden, wenn man viel liest, und es kommt nichts dabei heraus. Es ist nur die Zeit verdorben. Folg daher und bring vorerst etwas in Ordnung, was dir an deinem Sterbtag das Herzklopfen und den Odem erleichtert. — Behüt dich Gott unterdessen, und sei nicht halsstarrig in alten Gewohnheiten, die nichts nutz sind und das Sterben schwer machen.

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Hornung.

Des Todes Stachel ist die Sünde.

Paulus der Apostel.

 

Der Spruch ist klein, hat aber viel Geist in sich; und man mag ihn betrachten von welcher Seite man will, so leuchtet einem die Wahrheit davon hell in die Augen. Es ließe sich gar vielerlei darüber predigen, und auch ganz gelehrt, daß der gemeine Mann wenig davon verstünde, z. B. wie der Teufel durch die Sünde den Tod auf die Welt gesetzt und den Menschen eingeimpft habe: aber wir wollen nur das hiervon reden, was man für das Haus brauchen kann.

Die Sünde ist das größte Uebel und die Wurzel, der Stachel und das Gift aller Uebel. Selbst der Tod wäre für manchen schier nur ein Spaß, wenn die Sünde nicht wäre: nur so, wie wenn man in einen andern Ort auswanderte, in ein Land, wo es einem besser geht. Es würde manchem mit dem Sterben noch pressiren, und er würde es fast nicht erwarten können, besonders wenn er alt ist und nicht viel hat. — So aber denkt auch mancher, der üble Zeit hat: „Ich wollte gern sterben, wenn ich nur wüßte, wie es einem geht.“ Denn der Mensch fühlt wohl, daß er ein ganzes Pulverfäßlein von Sündenschulden in sich herumtragt und daß es böse Geschichten absetzen wird, wenn die Seele ihre Feuerprobe vor Gericht aushalten muß. Und diese Feuerprobe bleibt eben keinem aus, sobald er stirbt. Die Schrift sagt: „Es ist einem jeden Menschen gesetzt, einmal zu sterben, und nach dem Tod kommt das Gericht. "

Warum kann man so ruhig zusehen, Wenn ein unschuldiges Kind stirbt? Regt sich gerade nicht: der Neid, so regt sich doch Wehmuth bei der Leiche eines Kindes: nicht Wehmuth, weil das Kind gestorben ist, sondern über einen selber, weil man nicht auch als Kind hat sterben dürfen. Warum ist nichts Schreckhaftes am Sarg und Grab eines Kindes? und warum ziemt es sich so wohl, sein Grab und Kreuz mit Blumen zu zieren, wie wenn da etwas Fröhliches geschehen, etwas Hochzeitliches da wäre? Das ist nicht schwer zu ergründen: die Ursache ist, weil der Tod ohne Sünde selbst ein schöner Engel ist, abgesandt von Gott, die Seele aus der Fremde in ihr himmlisches Vaterland heimzuführen.

Ach, wäre man ohne Sünde, wie leicht stürbe es sich! Man erschräke nicht, wenn einem die Umstehenden das Crucifix. in die Hand geben und das Wachslicht anzünden und anfangen zu beten: man sänke in den Tod so inniglich getröstet und vertrauensvoll, wie ein Kind im Schoß der lieben Mutter einschlaft. Das sieht man zuweilen auch beim Sterben eines bessern Christen, als die gewöhnlichen sind. Es ist ihm fast noch wohl dabei, daß es dem Tod zugeht, wenn er zurücksieht, wie nun allem Schweiß, allen Leibesbeschwerden, allem Streiten gegen den Zorn und andere Sünden ein Ende wird für immer. Ja es ist schon passirt, daß, wo die Thüre zur andern Welt halb offen stand und die Seele mit einem Fuß schon aus dem Körper des Leibes herausgeschritten war, es einem unschuldigen Jungfräulein und einem gottesfürchtigen Greis vorgekommen ist, als hörten sie süßes Singen, und als schwebten himmlisch schöne weiße Gestalten um sie her. Der hl. Aloysius und mancher andere Heilige haben darum, als sie starben, vor Freude noch jubilirt und Gott in Psalmen gepriesen. Und wenn man dabeisteht, wo ein solcher guter Mensch stirbt, da wird es einem selber wohl und weh im Gemüth; es kommt einem wie ein leises Heimweh. Man möchte nicht über den Todten weinen, sondern über sich selbst, daß man nicht auch mit ihm kann und bei ihm ist, den Leib im Tod, die Seele dort oben im Sternensaal des Himmels. — Und wenn mir Gott anböte in der einen Hand die Sünde und ein lustiges Leben ewig auf Erden dazu, und in der andern Hand Sündenlosigkeit und den Tod dabei, so würde mir die Wahl nicht weh thun: gern und dankbar würde ich ben Tod ohne Sünde wählen, und hätte gewiß eine gute Wahl getroffen. — Was thätest du? Aber ach, an eine solche Wahl ist nicht zu denken. Es heißt: Sterben mußt du auf jeden Fall, du magst sündigen, oder nicht. Mit den Jahren kommen aber auch die Sünden; freilich mit Unterschied. Wie geht's aber, wenn man es mit dem Sündigen nicht so genau genommen hat, und der Tod klopft an? Wenn dieser Gerichtsbote des Herrn zur Thüre hereinschreitet, wenn der Mensch merkt: Das ist meine letzte Krankheit, da wird es manchem, wie wenn er einen gewaltigen Schlag auf den Kopf bekommen: er wird ganz betäubt, und es zittert das Herz, sonst so übermüthig und frech. Es ist nicht sowohl der Schrecken vor dem Tod, als vor dem Gericht und der endlichen Vergeltung. Da winselt mancher: „Hol mir den Herrn, ich will beichten; betet, betet für mich; die Kinder sollen auf die Wall--fahrt gehen; Frau, zünd die geweihte Kerze an; gib Almosen für mich; hol mir den Notar, ich will etwas in die Armenkasse oder ins Spital vermachen. " Aber was soll der Priester bei dir, du alte Todsünde? Weißt du nicht mehr, daß du über nichts lieber im Wirtshaus gespottet hast als über Religion und Pfaffen — und du weißt ja kaum mehr, wie man es macht, wenn man beichten will? Das Kerzenlicht mag dich erinnern an ein böses, böses Feuer. Und wo ist das Geld her, das du den Armen geben willst lassen? Sticht nicht ein neuer Vorwurf wie ein Dolch durch die Seele? Es ist vielleicht Sündengeld, erschlichen in List und Betrug, in Läugnen und Verhehlen sündhaft erworben, und Thränen von Waisen kleben daran. Denn (merk es wohl) auch was du im Spiel ihrem leichtsinnigen Vater abgenommen, was du im Handel den Einfältigen überredet oder getäuscht hast, was du dem Schuldner in seiner Noth abgedrüdt hast: die armen Kinder müssen es leiden und sein kummervolles Eheweib. Weh! das einzige, was dich recht trösten könnte, wäre, wenn du noch einmal gesund würdest und dann die Sünde und ihre Schuld ganz von dir thätest. Wird aber der barmherzige Gott dir noch einmal Leben und Gesundheit schenken, damit du Zeit habest, dich zu bekehren, zu bessern, den Schaden gutzumachen, den du in der Welt angerichtet hast? Gar wohl mag es sein, daß dir Gott diesmal keine neue Frist gibt. Denn Gott weiß wohl, daß du nur aus Angst das versprichst, und wenn du gesund wärest, wieder in deinem alten breitgetretenen Hohlweg der Sünde behaglich forttaumeln würdest. Gott hat es ja vielleicht schon einmal oder einigemal mit dir probirt; hat dich ernstlich krank und dann wieder gesund werden lassen. Was ist dabei herausgekommen? Wetter nichts, als daß du in der Krank-heit alle guten Vorsätze gemacht hast, als wolltest du in Zukunft leben wie ein Heiliger; und dann, da die Gesundheit wieder die Glieder durchstoß, hast du es in wenigen Wochen fast ärger gemacht als vor der Krankheit. Es ist also nichts dabei herausgekommen, als daß du jetzt selber siehst, daß alle deine Versprechungen auf dem Krankenbett pure Lüge und Heuchelei sind. Und will denn Gott nur alte, kranke, verwelkte Menschen zu seinem Dienste? Meinst du, der elendeste Rest deines Lebens, der Bodensatz, die paar Tage deiner letzten Krankheit seien gut genug, um sie noch Gott zuzuwenden — und durch ein paar Seufzer: „Gott sei mir armen Sünder gnädig! Jesus, erbarme dich meiner u. s. w. " werde deine Seele schon in den Himmel fliegen ohne Anstoß ? Da müßte der Himmel ein gar wohlfeiles Ding sein, und der Heiland hätte nicht recht gehabt, daß er sagte: „Viele werden suchen in das Reich Gottes einzugehen, werden aber nicht dahin gelangen, weil sie nicht Kraft genug anwenden. "

Bedenk es wohl: Gott hat viel um dich gethan, da du noch gesund warst; aber du hast nicht gewollt, Gott hat dir gerufen, du mögest umkehren, durch den Mund deines Seelsorgers. Aber du hast sein Wort nicht anhören wollen; oder wenn du es hörtest und es war nicht nach deinem Sinn, so hast du darüber gespottet oder geschimpft. — Gott hatt dir gerufen durch besondere Schicksale, durch Leid und Freud, ob dein Herz nicht erweiche. Aber du hast im Leid nur gemurrt und gemeint, Gott thue dir unrecht; und die Freude hast du gierig verzehrt, und darüber Gott noch mehr vergessen, und dich in die Welt und ihre Lust verliebt. — Gott hat dich gewarnt und erschreckt durch Schicksale anderer Menschen um dich her. Der eine wurde von einem schnellen Tod unversehens weggerissen; ein anderer mußte, hingeworfen auf ein Krankenbett von Stroh, in Armut, Krankheit und Elend lange, lange Wochen und Monate dahinsiechen und büßen für Sünden, die nicht so schwer waren, als wie du schon verübt hast; oder einer deiner Kameraden kam in das Zuchthaus, oder (bist du ein Weibsbild) eine deiner Gespielinnen kam in Schande vor der Welt und hat es doch auch nicht arger getrieben als du. Du aber hast gemeint, das gehe dich nichts an. — Gott hat dich gemahnt, gerufen, gewarnt durch die Stimme des Gewissens. Jahrelang ist er dir nachgegangen und hat dir gerufen, bald sanft, bald ernst; bald bittend, bald drohend, um Mittag und um Mitternacht: du mögest doch anders werden. Du hast aber nicht gewollt; du hast einmal gesagt: Jetzt habe ich keine Zeit, mit meinem Seelenzustande mich abzugeben; ein andermal hast du gesagt: Was thue ich denn? ich bin auch nicht schlechter als andere, und wolltest den Ruf Gottes nicht verstehen. Und ließ es dir gar keine Ruhe, daß du doch nachdenkend wurdest, so haben bald die leichtfertigen Reden und lustiges Gelächter am Wirtstisch die ernsteren Gedanken verscheucht, und du bist froh gewesen, daß dein Gewissen zuletzt müde geworden ist, dich zur Umkehr zu ermahnen, Wie ein liederlicher Sohn froh ist, wenn er nicht mehr seinen ernsten Vater um sich hat, damit ihn der Alte mit seinen Zureden nicht mehr plage. — Jetzt ist dein Maß voll, deine Frist abgelaufen; die verlorenen Gnaden alle werden von dir gefordert; du mußt Rechenschaft geben, genaue, strenge Rechenschaft über jeden Pfennig, jedes Wort, jeden Tag — weh!

Wohl bist du, lieber Mensch, jetzt nicht krank, und vielleicht muß dein Herz noch vielmal schlagen, bis der letzte Herzschlag auf der Uhr deines Lebens ausgeschlagen hat. Es wäre auch ein schlechter Trost, wenn dir einer, da du einen Ansatz zum Sterben nimmst, so etwas vorbeten wollte, wie du jetzt gelesen hast. Das wäre ungefähr so ein Trost, wie der Teufel dem Judas und auch sonst schon manchem, der gerade röchelte, d. h. am Sterben war, in die Ohren geflüstert hat; ein Trost, der mit anderen Worten heißt: „Verzweifle, für dich ist keine Gnade bei Gott!" Aber das, was der Teufel zum Schaden einem zuletzt sagt, das kann sehr gedeihlich werden, wenn man es einige Jahre früher zu Herzen nimmt. Der Mensch kann zwar auch in den letzten Stunden des Lebens noch Gnade finden, wenn er sich noch bekehrt, dies bleibt gewiß. Aber ob ein Mensch, der in gefunden Tagen genug vergeblich gemahnt worden, sich dann noch bekehrt, ist eine andere Frage.

Es ist allerdings ein unbeschreiblich großes Glück, vor dem End noch die Sterbsacramente zu empfangen; denn selbst der gute Christ braucht noch für viele Sünden Vergebung und den Heiland zum Beistand in der Sterbstunde. Allein wer in gesunden Tagen tausendmal lieber zum Tanz oder ins Wirtshaus gegangen ist, als zu den heiligen Sacramenten, was sollten diese ihm zuletzt helfen? Wenn du auch noch einen Geistlichen willst und bekommst, ja, was ist dann? Hast du noch nie Kopfweh oder Fieber gehabt, oder bist du nie schläfrig gewesen? Und wenn du in einem solchen Umstand, nämlich beim Kopfweh oder Fieber oder in der Schläfrigkeit, hast beten wollen, wie ist es von statten gegangen? Nicht wahr, so oft du auch angesetzt hast, so haben die Gedanken nicht aufwärts gewollt und war ein gar mühseliges Stückwerk von Gebet. Sterbenskrank sein ist aber ein ärgerer Zustand, als wenn man, nur schläfrig ist: es ist eine schwere Schläfrigkeit zum Tod hinunter. Wie willst du in solcher Noth, wo die Seele von allen Seiten geängstigt und geplagt ist, im Augenblick, wo ihr Schifflein, der Leib, Schiffbruch leidet, wie willst du da dein ganzes Leben und die Eingeweide deiner Seele erforschen und ergründen? Wie willst du da auf einmal bereuen und hassen die Sünden, welche du deiner Lebtag geliebt und getrieben hast, die deine Schoßhündlein und Herzkäfer gewesen sind? Wie willst du da auf einmal Gott, der dir nie die Hauptsache gewesen ist, lieben von ganzem Herzen, ganzer Seele, ganzem Gemüthe und aus allen Kräften, da du keine Kräfte mehr hast? Und doch muß das in der Seele sein oder so werden, wenn die Sterbsacramente den Sünder noch erretten sollen. Und wird denn Gott einem Menschen, der wissentlich und vorsätzlich ein Sündenleben geführt hat, zuletzt noch die Gnade verleihen, daß er nicht nur versehen wird, sondern auch so starke übernatürliche Reue und Hoffnung bekomme, wie es nothwendig ist zur Vergebung der Sünden?

Darum bleibt die Regel fest stehen: Wie man lebt, so stirbt man. Und wer leichtsinnig lebt, weil er meint, eine Beicht vor dem Tode werde die Sache noch geschwind in Ordnung bringen, der ist so unsinnig und richtet sich so gewiß zu Grund, wie wenn einer sein Sach alles versauft, weil er in die Lotterie gesetzt hat und meint, er werde  ganz gewiß das große Los gewinnen. Wohl liest man in der Schrift von dem Schacher, daß er in seinen letzten paar Stündlein noch Generalpardon bekommen hat und ein Unterkommen im Paradies; und steht weiter in der Schrift, daß die Arbeiter im Weinberg, welche erst zur Abendstunde gedungen wurden, doch noch den vollen Lohn bekamen. Aber da der Herr sie abends antraf und zu ihnen sprach: „Was steht ihr müßig da?" — was gaben sie zur Antwort?   Sie gaben zur Antwort: „Herr, es hat uns niemand gedungen. „ Du Christenseele aber kannst nicht so sagen; der Herr hat dich schon lange gedungen und eingeladen. Er hat dich gedungen durch die heilige Taufe, durch christlichen Unterricht und Erziehung, welche dir Gott in der Jugend angedeihen ließ, durch das Wort Gottes in der Predigt, alle Ostern durch die Aufforderung der Kirche zur Buße, durch fromme Menschen, die dir schon Zuspruch gaben, durch ein rechtschaffenes Buch, das dir Gottes Fürsehung in die Hände spielte, durch mannigfache Schicksale, durch viele innerliche Etnsprechungen und Unruhe des Gewissens, und gerade jetzt auch durch das, was du da liesest. Du kannst nimmermehr sagen: Ich bin nicht gerufen und gedungen worden. Und wenn dich Gott in der Kindheit, in den Jünglingsjahren, im Mannesalter vielfältig dringend eingeladen hat, und du niemals kommen und für Gott leben und arbeiten wolltest: wird er dich auf dem Todbett noch einladen, wo die Zeit des Lebens und der Arbeit vorüber ist? Tröste dich auch nicht mit dem Schächer; denn dieser kam erst zur Erkenntniß am Kreuz und fand so noch Gnade. Wäre er im Christenthum aufgewachsen wie du, dann wäre er entweder kein Schächer geworden, oder hätte in der letzten Stunde sich schwerlich bekehrt, Der Apostel Judas ist verzweifelt und hat sich gehenkt; denn er war belehrt und gewarnt worden vor der Sünde.

Sei gescheit und bedenk: Wer sich umsonst rufen und warnen läßt wie der Judas, wird sicherlich nicht sterben wie der Schächer rechts. Und wenn du in gesunden Tagen keine Anstalt machst, um einmal gut zu sterben, und erst auf dem Todbett geschwind ein wenig Gott dienen und dich geschwind in den Himmel hineinbeten und beichten willst, so geb' ich dir um die himmlischen Freuden, welche du nach deinem Tod zu schmecken bekommst, keinen rothen Koburger Sechser. Zwar lehrt die Kirche, daß, solange der Mensch lebt und sich wahrhaftig bekehrt, er noch Gnade finden könne. Aber unchristlich leben und sich mit Bekehrung auf dem Todbett vertrösten heißt vermessentlich gegen Gottes Barmherzigkeit sündigen: das wird aber zu den Sünden gegen den Heiligen Geist gezählt, welche nicht vergeben werden in diesem Leben und nicht in jenem.

Darum nimm guten Rath an. — Wir wollen jetzt sehen wie man zu rechter Zeit die gröbsten Steine aus dem Weg wälzen und sich das Todbett weich betten muß. Zuerst gehen wir an einen ganz groben Block.

 

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März.

Du sollst nicht stehlen

Ein  uraltes  Gesetz

Wenn einer das erste Mal seiner Lebtage stiehlt, so ist es ihm, wie wenn ihn einer hinten am Rock zupfte, er solle es bleiben lassen. Und wenn er dann doch das Ding genommen hat, so ist es ihm nicht recht wohl dabei, und ist schon passiert,

daß einer ben andern Tag das Gestohlene von selber wieder zurückgetragen hat, weil es ihm in der Nacht keine Ruhe gelassen hat, als wäre es eine lebendige Rattmaus. Hat man aber das erste paarmal die Scrupel überwunden und sich nichts daraus gemacht, dann stiehlt man ohne Angst vor Gott, so oft es Gelegenheit gibt, und sorgt höchstens noch, daß niemand dazukommt und man dem Schandarm nicht in die Hände fällt. So kann einer lang fortmachen und beichtet es nicht einmal, weil er keine Lust hat, etwas zurückzugeben und es bleiben zu lassen. Wenn aber der Mensch von einer schweren Krankheit ins Bett gelegt wird, und die Krankheit macht ein Gesicht, wie wenn sie dir das Loschement auf Erden aufkünden oder dich gar gröblich zur Thür deines eigenen Hauses hinauswerfen wollte, wie der Franzos den Louis Philipp zu Paris hinausgetrieben hat Anno 48: da ängstigt einen keine Sünde ärger und drückt schwerer auf dem Gewissen, als ungerechtes Gut. Auf einmal ist es dem alten Dieb da wieder, wie damals, wo er das erste Mal gestohlen hat, oder wie wenn er alles erst heute oder gestern genommen hätte; es ist curios, aber doch wahr. Einem Manne von etwa 50 Jahren, da er tödtlich krank war, fiel es ein, dass er als kleiner Knabe eine Semmel für sechs Pfennig gestohlen habe, und begehrte ernstlich Rath, wie er es gutmachen könne, da er den Bäcker nicht mehr kenne. Während 40 Jahren der Gesundheit hatte er nie daran gedacht, viel weniger Unruhe gefühlt.

Es geht mit dem ungerechten Gut, wie wenn einem etwas in das Aug gekommen ist: es plagt dich so lang, bis du es aus dem Aug herausbringst; oder das Äug entzündet sich zu brennendem Schmerz und muß zu Grunde gehen. Ebenso liegt alles, wozu du nicht aus rechtmäßige Art gekommen bist, in deinem Gewissen. Das Geld, oder was es sonst sein mag, muß heraus, oder es laßt dir keine Ruhe; es brennt dich im Gewissen, besonders zuletzt, und die Seele fahrt dorthin, wo der letzte ungerechte Heller gebüßt muß werden, oder wenn die Ungerechtigkeit groß ist, in die Hölle. Denn Gott hat es zu einem ewigen Gesetz gemacht: Du sollst jedem geben und lassen, was ihm gehört. Wegen dir schafft Gott dieses Gesetz nicht ab, und Dispens gibt es da auch keine: du mußt

dich nach ihm richten, er richtet sich nicht nach dir.

Du denkst aber vielleicht: „Gottlob, von wegen des ungerechten Gutes kann ich ruhig sterben; ich habe nicht geraubt und nicht gestohlen; ich ließe mir das gar nicht nachsagen, da that ich mir ein Gewissen daraus machen." Ja, das wäre schon recht, aber es ist nicht alles Gold, was glänzt; und es ist nicht alles Ehrlichkeit, was gern so aussehen möchte. Ich will dir schon glauben, daß du niemanden eine Geldkiste aufgebrochen oder eine neumelkige Kuh aus dem Stall fortgeführt hast. Auch wirst du keinem auf den Weg gestanden sein und ihm mit Gewalt und bösen Worten sein Geld und seine Sackuhr abgenommen haben; dazu hättest du viel zu viel Religion und Respect vor den Schandarmen. Denn mancher Mensch hat viele Rechtschaffenheit und Gottesfurcht in Sachen, wo man Ungelegenheiten mit der hohen Obrigkeit bekommen und in Unkosten oder andere Strafen verfallen könnte.   Allein, wenn einer käme mit einer Wünschelruthe, welche die Tugend hat, daß sie anfangt sich zu regen und zu wedeln, so oft man sie über ungerechtes Gut ansetzt, und man thät  diese Wünschelruthe  an deinen Habseligkeiten  probiren — wer weiß, vielleicht thät  sie gar arg und wie närrisch anfangen zu wedeln und um sich zu schlagen, weil da und dort dies und das kein ehrliches Herkommen hat.   Sei es viel (mit Menschenzahlen gezählt) oder wenig: vor Gott sind 200 Mark nichts, und ein Zehnpfennigstück ist nichts, aber die Ungerechtigkeit ist vor Gott etwas, und etwas sehr Böses. Die Himmelsthüre ist schmal; wenn du darum nur ein paar ungerechte Pfennig bei dir stecken hast. so kommst du nicht hindurch und mußt draußen bleiben; ist es nicht viel, so bleibst du draußen im Fegfeuer, bis du den letzten Heller bezahlt hast; ist es aber recht viel, und du hast in Lebzeiten kein Verlangen gehabt, es zurückzugeben, so kommst du dorthin, wo es keine Thür zur Rückkehr mehr gibt: in die Hölle. Und ungerecht! vor Gott ist alles, wobei du nicht nach dem Gesetz gehandelt hast,  welches  heißt.   „Was   du   nicht  willst, daß dir geschehe, das thue auch keinem andern." Da kann man   an  einem  Markt-   oder  Amtstag   im  Wirtshaus manchmal einen habsüchtigen Bauersmann oder einen pfiffigen Handwerksmann sich auflassen und prahlen hören,  wie  er  den und den drangekriegt und überlistet habe.   Der Esel merkt nicht, daß ihn der Teufel noch viel ärger drangekriegt hat, und  daß nicht der Betrogene am schlimmsten dran ist; denn  der verliert nur ein paar Zwanziger oder Thaler — sondern der Betrüger; denn der verschachert und verliert die Seele und das ewige Leben. Mögen die Leute sagen: „Das und das ist keine Sünde"; und mag die halbe Welt lügen und betrügen und die als dumm verlachen welche gewissenhaft sind so hilft dir das nichts vor dem Gericht Gottes. Denn die Welt vergeht, aber ewig gilt das Gesetz Gottes: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!" Hast du es gern, wenn dir der Krämer zu gering Gewicht gibt, oder unter das Allerhandgewürz Staub von der Ladenbank schüttet, oder das Salz feucht macht, damit es mehr wäge? -Hast du es gern, wenn dir einer ein Stück Vieh verkauft und sagt, es trage, oder es sei jünger, oder es sei gesund, oder es gebe über 20 Liter Milch, da es doch nicht tragt und schon ein altes Thier ist, oder nur kümmerlich Milch gibt, oder sonst einen Schaden hat? — Hast du es gern, wenn der Wirt, bei dem du geherbergt oder sonst gezehrt hast, dir sauern Wein und aufgewärmtes Rindfleisch aufstellt, und eine strenge Rechnung dafür macht? — oder wenn dir der Dienstbote, der Taglöhner, so du sie nicht unter den Augen hast, schlecht und faul arbeiten? — oder wenn andere durch den Rebberg, an deinen Obstbäumen vorübergehen und lassen es sich nach Herzenslust geschmecken, wie die Vögel des Himmels, gleichgiltig, wem der Rebstock oder der Baum gehöre? — oder wenn sie dir ins Fruchtfeld oder in die Wiesen hineintappen mit ihren breiten Elefantenfüßen, damit sie im schlechten Weg durch den Koth keine vergoldeten Schuhe bekommen? — Hast du es gern, wenn du ein Stück Geld verloren hast, oder aus Uebersehen zu viel ausbezahlt hast, und der es gefunden und der es bekommen, gibt dir's nicht mehr zurück? — Oder hast du es gern, wenn dir einer sein Vieh in dein Feld laufen laßt, oder die Eier behalten, die dein Huhn aus Unbesonnenheit in seinem Haus oder Hof gelegt hat? Hast du nichts dagegen, wenn dir einer etwas verbrochen oder sonst beschädigt hat, und er gesteht es nicht und zahlt nichts dafür? — Oder wenn du eine Hausfrau bist, wie wär's dir, wenn der Nachbar deinem Manne, dem Säufer, oder deinem liederlichen Sohn um das halbe Geld ein Hausgeräth oder sonst etwas ab-kaufen thät, das jener verschleppt, um wieder Geld zum Saufen zu bekommen? — Oder hast du es gern, wenn du ein Stücklein Wald hast, oder eine Holzbeige irgend wo sitzen, und andere Leute holen dir nachts von deinem Eigenthume? — Oder wie gebärdet sich dein Herz und was machst du für ein Gesicht dazu, wenn dir einer wegläugnet, was er dir schuldig ist, oder dich alleweil vertröstet auf später und niemals zahlt, während er doch alleweil Geld fürs Wirtshaus hat?

So gibt es noch vielerlei Ungeziefer von Ungerechtigkeiten, die unser Herrgott nicht leiden kann, weil er deinem Nebenmenschen so wohl will als dir, und weil er ein heiliger und gerechter Gott ist, der selbst dann streng und scharf die Unehrlichkeit anrechnet, wenn es der Nächste nicht einmal spürt. Willst du darum keinen schweren Angstschweiß; beim Sterben bekommen, so bring keinen um sein Sach, auch nicht um eine Kleinigkeit, und wo du schon einmal geschadet hast, so zahl und gib es zurück. Wenn auch das Amt den abgewiesen hat, der dich verklagt, so liegt der Proceß noch bei Gott; und dort könnte leichtlich ein anderer Spruch ergehen, als bei Amt oder beim Hofgericht. Denn beim Gericht nach dem Tod gibt's kein Läugnen und auch keine Advocaten, und ist überhaupt mehr Einsicht dort drüben. Wenn du aber nicht willens bist, alles zu ersetzen, was du auf unrechtem Weg an dich gebracht hast, so magst du hundertmal durch heuchlerisches Verschweigen der ärgsten Verschuldungen und falsche Versprechungen die Lossprechung erschleichen: es nützt dir nichts; du hast aber nicht den Beichtvater für einen Narren gehabt, sondern deine eigene elende, arme Seele: Gott laßt die Lossprechung nicht gelten und du bleibst schwer in seinem Schuldbuch angeschrieben. Denn Gott ist es Ernst damit: wer seinen Willen nicht in allen Stücken thun will, der bekommt von keiner einzigen Sünde Vergebung. Aber das ist ganz besonders Gottes Wille, daß du alles zurückgibst, was du nicht recht und ehrlich erworben hast.

Dies ist aber von mir nicht erst in übertriebener Strengigkeit ersonnen. Ein uralter Prediger, der vor 600 Jahren in Deutschland umhergezogen und allenthalben das Wort Gottes verkündet hat (der Franziskaner Berthold von Regensburg), spricht also: „Nimm das Kreuz und fahre übers Meer, und streite gegen die Heiden, und gewinne das heilige Grab wieder in der Christenheit Gewalt, und bezwinge die Heidenschaft fern und nah, auf und nieder mit deiner Tapferkeit und mit deinem Schwerte, und werde erschlagen im Dienste unseres Herrn des allmächtigen Gottes; und laß dich legen in das heilige Grab, darin der Heiland lag, und lege das Kreuz auf dich, daran Gott selber den Tod nahm für alles menschliche Geschlecht, und wäre auch das möglich, daß Gott selber zu deinen Häupten stünde und unsere Frau Sanct Maria bei ihm, und alle Heiligen Gottes auf der einen Seite, und alle Engel Gottes auf der andern Seite, und nimm du den heiligen Gottes-Leid in deinen Mund: die Teufel kommen doch her und brechen dir die Seele aus dem Leib und führen sie hinab in den Grund der Hölle, daß ihr nimmermehr Rath wird, — wenn du wissentlich nur ein paar Pfennig ungerechtes Gut besäßest und es nicht herausgeben willst. "

Die Sache kann nicht anders sein. Denn wer ungerecht Gut nicht von sich thun will, dem gilt das Geld mehr als Gott; und wer sich bekehrt, der liebt Gott mehr als alle Güter der Welt und thut deswegen von sich, was ihn von Gott scheidet, nämlich die Ungerechtigkeit. Als sich z. B. der Oberzollverwalter Zachäus durch die Menschenfreundlichkeit des Herrn Jesus zur Bekehrung erweichen ließ, so stand er ungeheißen vor den Herrn hin und sprach: „Herr, sieh, mein halbes Vermögen gebe ich jetzt den Armen, und was ich ungerechtes Gut habe, das ersetze ich vierfach. " Sei darum auch du gescheit und verrammle dir nicht den Weg in den Himmel. Wenn du betrogen hast, oder wenn dein Erb nicht ganz gerecht ist, oder du Gestohlenes gekauft hast, so thue es zeitlich von dir; es bekommt dir sonst ge-wiß nicht gut. Ist es nur wenig, desto besser; dann kommt dich das Zurückgeben nicht so hart an. Aber zurück muß es; denn Gott zählt nicht, wieviel das Ding nach unserem Geld oder nach dem Marktpreis Werth ist, sondern er zählt den ungerechten, betrügerischen Sinn, und im kleinsten Silberstücklein kann ein ganzer Centner Ungerechtigkeit stecken. Ist es aber viel, was du vor Gott nicht behalten darfst, und es kommt dich schwer an, alles zurückzugeben, und du denkst: Da käme ich mit meinen Kinderlein an den Bettelstab, wenn ich es gar zu genau nehmen wollte, so denk: Unser Herr Gott ist ein gar reicher und gütiger Herr, der dir eine ganze Welt für einen jeden Groschen schenken kann, den du zurückerstattest; er wird auch auf dich Rücksicht nehmen und es nie am täglichen Brod fehlen lassen, wenn du aus Rücksicht auf ihm hergibst, was nicht rechtmäßig ist in deinem Feld, in deinem Haus oder in der Schublade, wo du dein Geld hast. Wenn du aber dein Herz am ungerechten Gut ganz fest ankleben hast, oder das ungerechte Gut am Herzen, So ist der Herr wohl im stand, daß er dir dafür ein Fieber und einen Doctor schickt, eine Apotheker-Rechnung, einen Notar und den Leichenschauer, und den Schreiner, und ben Todtengräber, und den Herrn Pfarrer, und vier Träger, die alle ihre Bezahlung wollen und zuletzt mehr Geld kosten, als dein ungerechtes Gut werth ist, das du nicht herausgeben wolltest; und deine Frau wird eine Wittwe und deine Kinder Waisen; und du mußt alles hergeben und zurücklassen und bekommst nichts auf den Weg mit, als ein ganz wohlfeiles, enges Schilderhäuschen von sechs Tannenbrettern, ein Todtenhemd und ein Schwarz gezeichnetes Gewissen.

Merk dir das aber nicht nur in Bezug auf Solches Gut, um das du deinen Nebenmenschen lieblos gebracht hast: nicht nur solches Gut ruinirt Glück und Segen im Haus, wie der Schwamm im Gebälk, sondern alles Gut ist Gift für dein Zeitliches und Ewiges, das du auch sonst auf unrechtem Weg zusammenscharrst: z. B. durch Arbeiten auf dem Handwerk Sonntags früh, durch Schmuggeln an der Grenze, durch Verkauf von gefreveltem Holz, durch Betrug am Accis ober anderen Herrschaftsgeldern, durch Winkelwirtschaft, durch hohes Spielen und ganz besonders auch durch Wucher.

Zum Nachdruck will ich jetzt auf das Gesagte noch einen Gewichtstein legen, damit der Wind es nicht so leicht aus dem Herzen und dem Sinn dir wieder hinwegblast. Nämlich in einem alten Buch steht ein altfränkischer Spruch, und mancher, der noch nicht ganz so aufgeklärt ist wie viele Pflastertreter, die überall Zu finden sind, nur nie in einer Kirche, glaubt noch an den Spruch, und meint, wenn er schon alt sei, könne doch etwas dahinter sein Der Spruch heißt: „Was hilft es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, aber an seiner Seele Schaden leidet? Und was will er geben als Lösegeld für seine Seele?"

Verstehst du auch recht, was das heißt? Besinn dich einmal darüber. Manchem ist es schon vorgekommen, als hebe der Spruch warnend und drohend den Zeigefinger gegen ihn auf. Der Spruch ist tief wie ein See, wo man den Boden nicht findet, und kann einen ernsthaft machen wie das Rollen des Donners von einem aufsteigenden Gewitter und das Blitzen im schwarzen Gewölk.

So oft der Markt angeht, sollte der Gemeindediener diesen Spruch mit der Schelle ausrufen zur Nachachtung; und um Mitternacht Sollte der Nachtwächter, wenn er die Stunde angesagt hat, jedesmal auch noch den Spruch hinzusetzen für die, welche nachts um 12 Uhr noch wachen oder wieder aufgewacht sind aus Sorgen wegen dem Zeitlichen. Und der Spruch sollte stehen auf jeder Krämerwage, wenn auch nicht ganz, doch die drei Wörtlein: „Was hilft es?" Mancher Wagbalken be-käme dadurch besser das Gleichgewicht, und der Pfundstein würde schwerer. Und er sollte stehen in jeder Mahlmühle an den Mehlkasten, damit kein Müller in Versuchung komme, für seine Rosse besorgter zu sein, daß sie stark im Fleisch bleiben, als daß der Arme länger ausreiche mit seinem Mehl, Er sollte stehen am Schenktische des Wirts, damit er sich in acht nehme, dem Fremden eine zu herbe Zeche zu machen. Und der Spruch sollte geschrieben sein an den Rathhäusern und Gerichtsstuben für die, welche etwas auszumachen haben, und für die, welche die Sache ausmachen: es würde sich dann doch zuweilen treffen, daß die Sache einen andern Ausgang nähme. Und er sollte gedruckt sein auf jedem Stempelbogen gleich neben dem badischen Wappen, damit es lesen könne der den Proceß führt, und fein Advocat und der Referent beim Hofgericht. — Und der Spruch sollte gestochen sein bei jedem Kartenspiel auf dem Herzas und neben dem Ecksteinkönig. Und auf den Grenzsteinen könnte man wenigstens die Anfangsbuchstaben einhauen; meinethalben auch auf die Wegzeiger; es könnte sich ein nachdenklicher Wandersmann vielleicht doch dabei fragen: Wohin führt der Weg zuletzt, den ich jetzt gehe?

Doch würde man sich eben allgemach auch daran gewöhnen, und würde den Spruch, wenn er einem unter die Augen käme, nicht mehr lesen, viel weniger zu Herzen nehmen. Hat ja auch mancher im Eck seiner Stube ein Crucifix aufgehängt, oder fönst manches heilige Bild mit frommem Spruch darunter; er macht sich aber nichts mehr daraus, er flucht und lästert und stoßt wüste Reden aus und achtet den nicht, an den das Bild erinnert. Darum schreib das Wort des Herrn recht tief in deine Seele; ich will es noch einmal herschreiben: „Was hilft es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, aber an seiner Seele Schaden leidet? Und was will er als Lösegeld geben für seine Seele?" Das behalte in deinem Sinn, setz den Spruch nach deinem Morgengebet an, und denk daran und richte dich danach, wenn es dich gelüstet nach deines Nächsten Weib, oder nach deines Nächsten Haus Acker, Knecht, Magd, Ochs, Esel und allem, was sein ist.

 

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April.

Wisset ihr nicht, daß ihr Tempel Gottes seid?

 Korintherbrief.

 

Feuchtes Heu und dergleichen Zeug kann eine Zeitlang ganz ruhig und unverdächtig in der Scheuer liegen, als hätte es nichts Böses vor; allmählich aber fängt es an zu dampfen, und auf einmal bricht Feuer aus und bringt schreckliches Unglück. So gibt es eine Sünde, worüber in gesunden Tagen viel gelacht und viele Spässe gemacht werden. Wenn aber später die Kränklichkeit und das Alter heranschleichen, und nachts, wo es still und finster ist, Todesgedanken und Bangigkeit vor ewiger Vergeltung wie Gespenster unter der Bettlade hervorkriechen und einen lang und starr anschauen, daß einem fast schwindlig wird: da fängt es in der Seele angstvoll an zu gären. Und wenn die entsetzliche Stunde, die du bis jetzt noch nie erlebt hast, nicht mehr viele Tagreisen zu machen hat, wenn du bald sterben mußt, dann bricht es aus wie eine höllische Flamme, wie ein Feuer, dessen grimmige Gluth nicht mehr zu löschen ist. Weißt du, was deine Seele zu faulem Heu macht, und wodurch Höllenflammen in ihr sich entzünden und hervorbrechen? — Es ist die lustige Sünde der — Unzucht. — Wenn du viel in schlechten Gesellschaften gesessen und mit schlechten Kerlen umgegangen bist, so wirst du manchmal gehört haben, Unzucht fei keine Sünde, es Sei nur eine Weltschande, wenn es herauskommt. Der Apostel sagt: „Prüfet alles, das Gute behaltet.“ Wir wollen auch einmal prüfen, ob diese edlen Seelsorger und Gewissensräthe, welche so sagen, recht haben; Gutes werden wir von ihren Reden schwerlich viel behalten können.

Examinire einmal einen solchen Schandkerl genauer und frag ihn, aus welchem Evangelium er das wisse, daß Unzucht keine Sünde sei. Der Kerl sagt: „Hm, der und der hat's gesagt; und da wär einer ein Narr, wenn er das für eine Sünde hielte; ich glaub's nicht. " Wenn der Mörder, dem das Urtheil verlesen ist, sich doch immer einbildet, man werde ihn begnadigen, und wenn er schon auf das Schafott geführt wird, sich immer noch tröstet, man wolle ihn nur ängstigen, er werde auf dem Schafott noch Pardon bekommen: so fragt der Scharfrichter und das Richtschwert nichts nach seiner Meinung, und haut ihm den Kopf ab samt der Meinung darin. Gerade so ist es mit vielen Dingen und auch mit der liederlichen Meinung: Unzucht sei keine Sünde. Was wahr ist, das ist wahr, ob man daran glaubt oder nicht; und was eine Sünde ist, das ist eine Sünde, ob es der Sünder gelten will lassen oder nicht; und er bekommt eben das volle Maß der Vergeltung dafür nach dem Sterben, und wenn er auch tausendmal gehört und gejagt und sich eingebildet hat, all das sei nichts.

Ich will dir aber jetzt auch sagen, woher ich es weiß, daß Unzucht eine sehr schwere Sünde ist und ein arger Greuel vor dem heiligen Gott. Es ist einmal einer vom Himmel gekommen, und er hat sich darüber ausgewiesen vor dem Volk und vor geistlichen und weltlichen Obrigkeiten, daß er von oben gesendet sei; und er hat einen guten Paß gehabt, von dem Könige Himmels und der Erde eigenhändig gesiegelt und unterschrieben mit vielen Wundern und Zeichen. Dieser hat so gesprochen: „Ich aber sage euch, wer ein Weib mit Begierlichkeit anschaut, der hat in seinem Herzen schon die Ehe gebrochen. " Der Spruch steht aber fest und ist nicht umzustürzen, wenn auch tausend und Millionen Herren und Bauern, Soldaten und Handwerksgesellen, Schreiber und Ladendiener dagegen anrennen in Wort und That; der Spruch steht fest wie ein Felsberg; und die dagegen rennen, die werden sich die Köpfe zerstoßen und sich selber zu Grunde richten.

Wenn einer eine Pilgerschaft ins Morgenland macht und kommt an den Fluß Jordan (du wirst auch schon in der Schule oder in der Predigt von diesem Gewässer gehört haben), und er lauft ihm nach, so kommt er an einen großen See. Der liegt still und schwer, wie ein Gestorbener, zwischen hohen. dürren Felsbergen. Weit und breit wohnt keine menschliche Seele. Ja nicht einmal der Stumme Fisch mag in diesem Wasser baden und Schwimmen, und wäre doch Platz genug dazu da. Das Wasser ist nämlich grimmig bitter und herb, und wollte jeder lieber verdursten, als davon trinken; denn es sticht einen auf der Zunge fast wie eine Wespe; kohlschwarzes Pech (Asphalt) steigt von Zeit zu Zeit aus der Tiefe herauf und schwimmt an dem Uferrand, und man sagt, die See dünste so giftig aus, daß, wenn ein Vogel sich verirre in diese Wasserwüste und darüber hinfliege, so stürze er todt herab ins — Todte Meer. Man will auch schon Gemäuer in der Tiefe gesehen haben, wenn Wetter und Wasser recht hell waren. Das ist der Platz, wo Sodoma und die anderen Städte seinesgleichen untergegangen sind.

Da hat Gottes allmächtiger Finger mit Felsen, Wasser, Salz und Feuer einen Satz hingeschrieben, 20 Stunden lang, und der gar nicht mehr von der Erde ausradirt kann werden, solang sie steht; der heißt: „Du sollst nicht Unzucht treiben.“ Es gedeiht auch daselbst, am Rand des bösen Wassers, ein besonderes Vergißmeinnicht, der sogenannte Sodomsapfel. Das sei eine Frucht, die äußerlich roth und fröhlich aussehe; bekomme aber einer Appetit und beiße hinein, so beiße er in ein ekelhaftes Geknäuel von Asche und Würmern, die versteckt sind unter der falschen Schale. Es braucht einer gerade nicht übermäßig gescheit zu sein, um zu merken, was dieser Vexirapfel bedeuten könnte: nämlich die wüste Sünde gegen das sechste Gebot.

Gott hat aber auch mit feurigen Buchstaben in das Gewissen eingebrannt das Gebot: Hüte dich vor Unzucht. Warum sucht der Unzüchtige Nacht und Verborgenheit, wenn er seine Schandthat ausüben will, wie die Wanze und der Skorpion? Warum schreit das Gewissen nach erster begangener That so qualvoll?

und die Seele sitzt in der Brust, wie die Mutter auf dem Grabe ihres einzigen Kindes, so trostlos und gramvoll ob der verlorenen Unschuld!

Bei dem Tode Jesu, da der Vorhang im Tempel zerriß, soll es oben gerauscht und mit vielen Stimmen gerufen haben: „Lasset uns von dannen ziehen!" Das seien die Engel Gottes gewesen, die sonst im heiligen Tempel Wohnsitz hatten, nun aber denselben für immer verließen. Von jetzt an galt er in den Augen Gottes nicht mehr für einen Tempel: mit dem Riß des Vorhanges war er entweiht; er war nur noch ein großes Gebäude von Stein, bestimmt, bei der Eroberung von Jerusalem im Feuer verbrannt zu werden. So geht es auch, wenn der Mensch den Greuel der Unzucht verübt. Es ruft inwendig mit Geisterstimmen: Lasset uns von dannen ziehen! Es zieht von dannen die Unschuld, der Friede des Herzens, die Freudigkeit zum Gebet, das Vertrauen zu Gott und allen holden Engeln. Du warst auch ein Tempel, hochgeweiht in der heiligen Taufe, hochgeweiht durch das heilige Abendmahl: jetzt hast du diesen heiligen Tempel entweiht und geschändet, frecher und ärger, als je eine Christenkirche verunehrt ist worden. Dafür ist dein Leib jetzt nur noch ein Gemacht von Fleisch und Bein, in welchem eine wüste, unreine Seele haust. Das wird dir vergolten werden; auch deinem unkeuschen Leib ist es beschieden, einst ins Feuer geworfen zu werden.

Darum fürchtet sich der Sterbende ob keiner Sünde angstvoller, als ob der Unzucht, und manchen tröstet kein Zuspruch; er sagt wie Kain: Meine Sünde ist größer, als daß sie vergeben werden könnte; und stirbt in Verzweiflung. Weh! Und wie giftig dieses Laster ist, fast giftiger als jedes andere, läßt sich auch daran abmerken, weil es keine Sünde gibt, von der man sich schwerer mehr losmacht, als von der Unzucht. Einmal ist keinmal! Dies Sprichwort ist ganz erlogen. Wohl aber kann man sagen bezüglich der Unzucht: Einmal ist tausendmal. Das fühlen die Leute wohl wenn sie sich bekehren wollen, daß diese Sünde ein Brandfleck der Seele ist, der sich nicht mehr abwaschen läßt. Selbst das Salzwasser der Thränen reicht nicht zu.

Was ist aber nun zu machen? Vor allem frage ich dich, der du dieses liesest: Zu welcher Art gehörst du? Denn es gibt in Bezug auf dieses Laster dreierlei Klassen von Menschen: 1) solche, die, noch unschuldig, fast nichts davon wissen, oder wenigstens gewissenhaft nie darin eingewilligt haben; 2) solche-, die es früher getrieben, es gegenwärtig aber aufgegeben haben; 3) solche, die es getrieben haben, noch treiben, und ferner treiben werden bis an ihr unseliges End.

Gehörst du in Wahrheit zu den ersten, so freue dich, du liebes Herz. Deine Seele hat noch das himmlische Kleid der Unschuld, schöner strahlend vor Gott, als von Seiden und Silber gewoben, Seiest du auch kränklich und krüppelhaft, oder arm, oder von der Sonne geschwärzt im Gesicht, und habest rauhe Hände und Schwielen von harter Arbeit, ober habest du gar wenig Verstand, und werdest oft ausgelacht und verspottet von den Leuten; und sei auch das Kleid alt und geflickt, das du am Sonntag trägst, so daß hoffartiger Gekleidete nicht mit dir gehen und nicht neben dir in der Kirche sitzen wollen: du bist doch vornehmer, geachteter und reicher vor Gott und seinen heiligen Engeln, als der König auf dem Thron, oder die Königstochter in ihrer Kleiderpracht, wenn sie Unschuld und Reinigkeit des Herzens verspielt und verscherzt haben. Wie nachts aus dem schwarzen Himmel hervor still und klar die wunderbaren Sterne flimmern, als wären sie die ewigen Lichter, die da brennen vor dem Throne Gottes: so leuchten von der trüben sündigen Erde zum Himmel hinauf die Seelen unschuldiger Jünglinge und Jungfrauen, und der Allwissende schaut sie an mit inniger Liebe und Wohlgefallen; und wenn sie so bleiben, werden sie in eigener Schönheit im Himmel strahlen, in größerer Herrlichkeit als die anderen Seligen. Von ihnen heißt es im Prophetenbuch des Neuen Testamentes: „Das Lamm stand auf dem Berge Sion, und mit ihm 144 000, die seinen Namen und seines Vaters Namen auf ihren Stirnen geschrieben trugen. Vom Himmel her hörte ich eine Stimme ertönen, wie das Rauschen vieler Wasser, und wie das Rollen eines heftigen Donners. Auch hörte ich ein Tönen, als wenn Harfenspieler auf ihren Harfen spielten. Sie sangen ein neues Lied vor dem Throne: und niemand konnte das Lied verstehen, als nur die 144000 Erkauften von der Erde. Diese sind es, welche mit Weibern sich nicht befleckten; Jungfrauen sind sie, welche dem Lamme folgen, wohin es geht. Sie sind von den Menschen als Erstlinge Gott und dem Lamme erkauft, In ihrem Munde ward kein Trug gefunden; sie sind ohne Tadel vor dem Throne Gottes. "

Geliebte Seele, möchtest du nicht auch einmal in diese heilige Schar aufgenommen werden? Darum bleibe treu; lauf nicht Lustbarkeiten nach, wo man Unehrenhaftes sieht und hört; bleib im Winter hinweg aus Spinnstuben, denn es spinnt sich gar gern mannigfach Böses dort an durch die Gespräche, die Ge-legenheit und die Nacht. Meide Menschen, die unanständige Reden führen; fang keine Liebeleien und Bekanntschaften an ohne ernstliche Absicht und baldige Aussicht zur Verehe-lichung. Laß den Blick nicht zuchtlos überall umherschweifen; und wie man den Feuerfunken ober ein häßliches giftiges Thier am Kleid schnell abschüttelt und zertritt, so mache es mit jedem unreinen Gedanken, der deine Seele beflecken will. Verehre viel die reinste Jungfrau, besonders wegen ihrer hohen heiligen Un-schuld; und so oft eine Versuchung von außen oder von innen dich anfechten will, so bete zu ihr jedesmal den Englischen Gruß, daß sie für dich um ein reines Herz zu Gott flehe, und damit ihr reines Bild und Andenken in deine Seele leuchte und das Nacht- und Fleckenthier unzüchtiger Gedanken verscheuche. Bleib treu um Gottes willen; sieh, das Leben ist kurz, und am kürzesten ist die schlechte Luft der Sünde; laß nicht ab von Unschuld und keuschem Sinn und Wandel; und am Ende deines Lebens leg einen unbefleckten Leib ins Grab und eine reine Seele in die Hände Gottes. Amen.

Ihr Zweiten, vielleicht habt ihr geheiratet; oder der Schatz hat euch sitzen lassen, und wollte kein anderer mehr kommen; oder ihr seid eben alt geworden, und dem ausgetrockneten Leib fehlt es an Lust oder Gelegenheit. Meint ihr vielleicht, damit sei jetzt alles abgethan, weil ihr nicht mehr es treibt wie in früheren Jahren; und es habe weiter nichts zu sagen, daß ihr damals Leib und Seele im Laster herumgewälzt habt? Wenn Bleibenlassen so viel als Bekehrung wäre, und mit dem Bleiben-lassen auch die Sünde verziehen wäre: da gäbe es keinen Pater auf der Welt, der so geschwind und sicher einen von den ärgsten Sünden bekehrt und absolviert, als der Tod. Denn wenn einer stirbt, so sauft er nicht mehr, stiehlt nicht mehr, treibt keinen Unfug mehr, flucht nicht mehr, drückt und verfolgt den Nebenmenschen nicht mehr und führt sich überhaupt auf dem Kirchhof so ordentlich auf, daß kein Mensch mehr sich über ihn beklagen kann, wenn er auch zu Lebzeiten alles mögliche getrieben hat. Aber Bleibenlassen ist noch keine Bekehrung. Brandflecken bleiben, wenn auch das Feuer ausgelöscht ist; und machst du in Zukunft keine Schulden mehr, so sind darum deine alten Schulden noch nicht ausgetilgt. Wenn du auswanderst von der Erde und in die andere Welt hinüberkommst, da wird gleich über der Brücke beim Eingang in die Ewigkeit das Wanderbüchlein deines Gewissens streng durchgemustert und visirt. Und wenn auf den vordersten Blättern deines Wanderbüchleins steht, du habest da und dort es nicht so streng mit der Keuschheit in Gedanken, Worten oder Werken genommen; und auf den letzten Blättern steht nicht mehr viel davon: so kannst du die vorderen Blätter, worauf das schlechte Zeugniß steht, nicht aus dem Gewissen herausreißen; und sie werden so genau gelesen und in Anschlag genommen wie die letzten Blätter. Oder um es ohne Verzierung, zu sagen: du mußt dich ebenso verantworten beim Gericht über deine früheren Jahre, und wie du es dort gemacht hast, wie über die letzten Jahre deines Lebens. Wenn du deswegen nach einer unzüchtigen Jugend keinen andern Trost hast, als das Bleibenlassen im Alter, so hast du finstere Aussichten über das Grab hinaus, und ich möchte keinem rathen, daß er sich bei deiner Himmelfahrt dir an die Füße hänge.

Aber was ist da zu machen? Ich kann es jetzt nicht mehr ändern, sagst du; kann denn nicht jede Sünde verziehen werden, und auch diese? soll ich denn verzweifeln an der Barmherzigkeit Gottes? — Nein, du armer Sünder oder Sünderin, verzweifeln sollst du und darfst du nicht; aber die schwere Schuld einsehen und  bereuen so schmerzhaft und tief, daß du nicht mehr viele Schritte bis zur Verzweiflung hättest; und sollst nicht etwa jetzt gerade oder morgen, oder wenn du beichtest, oder sonst einmal, wo es dich gerade von selber ankommt, bereuen; nein, deine Lebtage lang, so oft du wieder an deine schlechte Aufführung erinnert wirst. Ob du dabei weinst und heulst und ein jämmerliches Gesicht machst, daran ist auch nicht viel gelegen und kommt nicht darauf an. Denn die Weibsleute und abgelebte Männer und dergleichen Volk, die haben oft einen ganzen Kübel voll Wasser hinter den Augen vorräthig, und man darf nur wenig sagen oder machen, so schwitzen sie an den Augen und lassen das Wasser los und können gar herzbrechend greinen. Da meint dann mancher, das müßten lauter Petrus und Magdalena sein, weil sie so starke Bußthränen laufen lassen; aber diese Thränen sind gar oft nicht echt, sondern nur Glasperlen, und manchmal kann ein ganzer Waschzuber voll Thränen nicht mehr werth sein als ein Zuber voll gebrauchten Waschwassers.

Deine Reue muß eine Reue im Geist und in der Wahrheit sein. Ich will dir jetzt zeigen, wie es eine solche Reue macht und wie sie aussieht. Sieh, wer eine solche Reue hat, der denkt an Morgen beim Aufwachen nicht zuerst an das Gewerb und die Haushaltung, oder an einen Verdruß, den er gestern eingenommen hat, oder an den Kaffee, sondern er sitzt zuweilen vor Tag schon aufrecht im Bett, es bohrt das Andenken an seine Sünden so grimmig in der Seele, daß er sich gern ein Glied um das andere abschneiden ließe, wenn er dadurch seine Sünden ungeschehen machen könnte. Eine reuige Person von der Art mag nicht mehr sinnlichen Lustbarkeiten nachlaufen; wenn sie Musik und Tanz hört, kommt es ihr nicht tanzerig in die Füße, sondern es kommt ihr Schwermuth in das Herz und Thränen in die Augen. Und wenn es Weißer Sonntag ist, und es geht vor dem Gottesdienst ein Kind mit dem Blumenkranz ums Haupt ober dem Röslein vor der Brust an deinem Fenster vorüber, und du siehst Kinder zum Tisch des Herrn gehen und hörst, wie ihr Seelsorger gerührt ihnen ans Herz legt, immer so gut und brav zu bleiben, und ihnen das Taufgelübde abnimmt, und hörst die unschuldigen zitternden Stimmen der laut betenden Kinder und den süßen sanften Gesang des Liedes, das auch dir gesungen worden ist beim ersten Gang zum Tisch des Herrn; und du siehst die Lichter brennen auf den weißen Kerzen, wie sie aufwärts deuten, als sprächen sie still und geisterhaft mit ihren Flammenzungen: Heilig, heilig, heilig! und du siehst den tiefen Ernst und die Andacht auf den kindlichen treuen Engelsgesichtchen, und die aufgehobenen unschuldigen Hände vor den gesenkten Augen, wenn sie zurückkehren vom Tisch des Abendmahles; und du denkst daran, daß auch du einmal so fromm und gut in der Kirche gekniet bist, daß auch du einmal ermahnt worden, und du so ernstlich widersagt, gelobt und gebetet hast; und du denkst daran, wie du dein Versprechen schwer gebrochen hast und aus deiner unschuldigen Kinderseel eine schmählich befleckte Sünderin geworden ist, und du nie mehr zurückkehren kannst zu jener holden Unschuld: wenn du alles das siehst und hörst und denkst, dann ist es mehr als sanfte Wehmuth und Rührung, was im Herzen sich regt; es ist Schmerz und Qual und grimmige Reue, und in deinem Innern wird ein bitteres Anklagen laut, und es schreit auf: „Warum bist du nicht so geblieben?" Und der Weiße Sonntag ist für dich ein Tag des bittern Vorwurfs, ein Tag der Anklage und der tiefen Trauer über dich selbst, trauriger als der Allerseelentag oder der Todestag deines Vaters oder deiner Mutter.

Aber auch das ist allein die Hauptsache noch nicht. Ist deine Reue echt und hat sie eine gesunde Wurzel, so wirst du dich willig und geduldig darein fügen, wenn Gott dich züchtigt mit Schande, Armut, krankem Leib, Verdruß und Mühe mit Kindern, Plage im Ehestand, Verlassenheit von den Deinigen. Es wird dich schier trösten, wenn es dir hinderlich geht; du hoffest, der Herr werde dann glimpflicher mit dir in der andern Welt verfahren, wenn du auf der Erde, wo du gesündigt, vor den Leuten, denen du das Aergerniß gegeben hast, auch gleich gezüchtigt wirst. Wenn du andere auf gleiche Weise sündigen siehst, so wirst du ja nicht mit heimlichem Vergnügen darüber bei anderen schwätzen und lästern, sondern du wirst herzliches Mitleiden über ihren Fall empfinden und schonend darüber schweigen. Wirst du ungerecht gekränkt von anderen, so wirst du sprechen: „Habe ich es in der Sache nicht verdient, so habe ich es sonst schon verdient", und wirst verzeihen von ganzer Seele, eingedenk der schweren Beleidigung, die du Gott zugefügt hast, und der vielen Nachsicht und Verzeihung, die du von ihm willst. Ob du dich äußerlich demüthig gebärdest, daran ist nichts gelegen: wohl aber wirst du demüthig sein, und nie mehr Kleiderhoffart treiben; du wirst Unschuldige, wenn sie Gefahr laufen, warnen und Gefallene zu bekehren suchen.

Du liebe arme Seele, wenn es dir so ums Herz ist und du selber so geworden bist, dann will ich doch nicht von dir scheiden, ohne ein Tröpflein Oel in deinen Schmerz zu gießen; es heißt: „Eint rechte Reue ist eine zweite Unschuld", und es heißt, was noch gewisser wahr ist: „Sei deine Sünde noch so groß, Jesus Christus hat grimmig viel am Kreuz für deine Sünde ausgestanden; in ihm und durch ihn gibt es Vergebung, so du dich von ganzem Herzen bekehrst und für deinen Erlöser lebst. " -Aber freilich, unzüchtige Sünder gibt es allenthalben die Menge; hingegen große Reue für große Sünden ist selten. Und doch ist eine leichte Reue für schwere Schuld eine schlechte Versicherung zum ewigen Leben. Bete darum, wenn es dir noch an einer kräftigen Reue fehlt, täglich zu Gott, daß er dir eine ins Herz lege; und denk auch selber viel nach, wer Gott ist, und was du gethan hast; vielleicht kommt es dir dann mehr. Und die ihr noch unschuldig seid, hütet euch doch recht sorgsam, den edlen göttlichen Ehrenstern der Unschuld zu verlieren; denn Umkehr und Rückweg ist schwer und schmerzlich, und wenige finden Ihn!

Denen aber, die es schon so weit gebracht haben (denn auch so tief kann der Mensch sinken), daß sie sich nicht mehr schämen, nicht mehr bereuen, und das, was den Menschen ganz zum Vieh herabzieht, für ihr Hauptvergnügen ansehen, ohne welches sie gar nicht leben möchten — dieser Rasse von Creaturen mag ich nichts vorpredigen. Denn 1) wenn einem solchen Thier in Menschengestalt (vornehm oder gemein, gilt da gleich) etwa der Kalender in die Hände gefallen ist, so wird er ihn wahrscheinlich schon weggeworfen haben, bevor er bis hierher gelesen hat; denn der Hund heult, wenn er läuten hört, und das Laster flucht oder läuft davon, wo von Gottes Wort etwas verlautet. 2) Wenn es aber einen solch eingerosteten Sünder doch gekitzelt hätte, bis hierher zu lesen, so will ich mich seinetwillen nicht unnöthig ereifern, sondern schreibe für ihn gar nichts in den Kalender und befolge ganz kühl die Worte, welche der Herr seinen Aposteln anbefahl: „Werfet die Perle nicht den Säuen vor, und gebet das Heilige nicht den Hunden. " Sie mögen sich ergötzen in ihrem säuischen Laster, solange es noch geht, was Ersprießliches einmal daraus gedeiht, das wird möglicherweise die Zeit, unfehlbar aber die Ewigkeit aufweisen. Das Schwein wird zu seiner Zeit geschlachtet, und der Schweinmensch wird zu seiner Zeit auch zu einer Schlachtbank geführt werden, freilich von anderer Qualität. — Möchten nur andere, besonders junge Leute, sich nicht durch ihr Thun und Reden irre machen lassen, und sich halten an das Wort des Herrn: „Ihr sollt heilig sein; denn ich, der Herr, euer Gott, bin heilig. "

 

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Mai.

Wer für das Fleisch säet, wird vom Fleisch Verderben ernten.

Heilige Schrift.

 

Der Weg, welcher in den Himmel führt, ist nur ein einziger; in das Verderben führen aber gar vielerlei Landstraßen und Spazierwege. Ich will dir jetzt einen andern zeige, nicht auf daß du ihn gehest, sondern auf daß du ihn nicht gehest; und dieser Artikel, der jetzt kommt, soll dir als Warnungstafel und Schlagbaum davor dienen. — Das Büchlein beginnt mit dem Tod, geht auf den Tod hinaus und endigt mit dem Tod; darum soll auch der Tod in jedem Monat geistern und spuken, und ich führe dich jetzt geraden Weges in eine Todtenkammer, d. h. in eine Kammer, wo ein Todter liegt und auf das Begräbniß wartet. Statt dem Crucifix hat er eine Tabakspfeife auf seiner Brust liegen; statt dem Weihmasserkesselein steht neben dem Bett ein lederner Becher mit Würfeln. Statt dem Gebetbuch liegt da ein Spiel Karten; statt dem Wachslicht leuchtet ein Glas Schnaps; statt einem frommen Bilde hängt über dem Kopf des Leichnams eine Wirtstafel. Die Wände sind leer, die Scheiben zerbrochen, der Ofen umgestürzt. — Wenn du einen Todten mit solchem Handwerksgeschirr umgeben sähest, käm's dich nicht un-heimlich an, und hättest du nicht fast Angst, er werde zwischen den blauen Lippen ein paar „Himmelsakerment" und „Daß dich das Kreuzdonnerwetter" herausfluchen? und schauderte es dich nicht bei der Ahnung, wie es der Seele jetzt sein müsse, welche einmal in diesem Balg gesteckt ist? — Ich will ihm nun noch eine kleine Leichenrede halten, oder nicht ganz so, wie die geistlichen Herren in vornehmen Städten einem eine halten, lang nicht so löblich und wohlgestellt und mit so anmuthigen Redensarten gesalbt. Ich halte sie ja nur unter uns zwei, und die Verwandtschaft weiß nichts davon. Gib acht, die Predigt fängt jetzt an:

Er ist ein Spieler gewesen, ein Säufer und ein vollkommener Lump. Sein Gott waren der Bauch und die Gurgel, seine Kirche das Wirtshaus, sein Gebet das Fluchen und Schwören. Dem Dienste seines Gottes hat er sehr eifrig abgewartet, Tag und Nacht, morgens früh bis abends spät, an Werktagen wie an Sonntagen. Ihm, seinem geliebten Gott, hat er alles aufgeopfert, ihm zulieb hat er alles verlassen.

Erstlich hat er seinem Gotte alles Geld und Gut geopfert, und ist ihm gar nicht Schwer angekommen, Sondern hat es mit Freuden geopfert. Das sieht man seiner Frau und Kindern an: sie kann am Sonntag fast nicht mehr in die Kirche gehen, weil sie kein ehrbares Kleid mehr anzuziehen hat, und die Kinder laufen noch barfuß, wenn es schon lang gefroren ist. Und wenn die Mutter zuweilen einem das Hemdlein flickt oder wascht, so schaut die nackende Haut am zerrissenen Kleid heraus, weil das Kind kein anderes Hemd hat, als das die Mutter wascht, und das Kleidchen viel zerrissen ist. Das Häuslein ist am Zusammenfallen: wenn es regnet, so lauft es oben herein, wie wenn es den Unrath in der Stube hinausschwemmen wollte; und wenn der Jud die Geiß nicht fchon lang geholt hatte, so könnte sie zum Stall hinaus, ohne daß man die Thüre aufmacht, wenn noch eine in den Kloben hängt; denn das Mauerwerk ist zwischen den Balken da und dort herausgefallen.

Zweitens opferte er seinem Gotte die Ehre. Er schlug es nicht an, wenn ihn die Polizei nachts als Uebersitzer aufgeschrieben oder eingesperrt hat; er schämte sich nicht darüber, daß ihn die Kinder auf der Gasse ausgespottet haben, wenn er überzwerche Schritte machte vor Besoffenheit, als wolle er einen neumodischen Tanz aufbringen, oder wenn er in den Koth fiel, wohin er eigentlich gehörte; er machte sich nichts daraus, daß kein ehrbarer Mensch, selbst seine Verwandten nicht, ihm mehr in das Haus gingen, und nur mit Verachtung von ihm sprachen; er achtete es nicht, daß seine Frau ihn mundtodt machen und später sich von ihm scheiden wollte lassen.

Drittens opferte er Leib und Seele seinem Gotte. Durch vieles und jahrelanges Trinken hat er es dahin gebracht, daß er schon in dem besten Mannesalter zittert; es blinzelt ihm vor den Augen, er hat keinen Appetit zum Mittagessen, kann wenig Speisen recht vertragen, bekommt bald Abweichen, bald Verstopfung, und jede Reinigkeit macht ihn krank und wirft ihn um. Wenn er morgens aufwacht nach einem Rausch, da stimmt's inwendig die Geigen zum Höllentanz; und es ist ihm so katzen-jämmerlich und qualvoll um das Herz daß er sich henken möchte, wenn niemand um den Weg wäre, und es keinen Wein oder Schnaps mehr gäbe, womit er den Quälgeist für eine Weile benebelt und schweigen macht.

Das ist nun aber vorbei; und seine Seele ist an einem Ort, wo es vielleicht auch etwas Feuriges zu trinken gibt, aber keinen Wein oder Schnaps. Wie es ihm da ungefähr sein muß, das will ich nur an einem Müsterlein zeigen. Ich weiß von einem solchen Säufer, daß er jede Nacht eine Maß Wein an sein Bett stellte. Das geschah nicht wegen des Durstes, den er etwa in ber Nacht bekommen könnte, sondern aus ganz absonderlichen Ansichten. Nämlich den ganzen Tag lebte er im Rausch; wenn er aber nachts aufwachte, war der Rausch weg, und dafür wimmelte es in seiner Seele von grimmigen Gewissensbissen, wie von feurigem Gewürm. Um nun diese möglichst schnell zu ersäufen und zu tödten, schüttete er den Wein in den Leib, dass er in neuem Rausch und Schlaf seine Ruhe wieder bekäme. Seine Bekannten wollten sich einmal einen Spaß machen und nahmen, während er schlief den Wein hinweg. Nach einiger Zeit hörte man aus seinem Zimmer ein Brüllen, wie von einem wilden Thier oder einem verwundeten Stier: als er nämlich aufwachte und geschwind nach dem Wein griff, war keiner da; also konnte er auch keinen Rausch zuwege bringen, und darum hatten die Gewissensbisse freies Spiel, ihn zu quälen; daher sein höllisches Geheul. In der andern Welt nun gibt es keinen Rausch und keinen Schlaf mehr; wie wird es dort mit einem solchen erst gehen?

Du hast das vielleicht ganz behaglich gelesen und dabei gedacht: so weit ist es mit mir gottlob noch lange nicht gekommen; der Artikel geht mich nichts an, als insoweit es unterhaltlich ist zu lesen, wie manche so arg lasterhaft sind. So denkst du vielleicht; ich aber denke anders. Vielleicht bist du auf dem Weg, ein Lump zu werden, und da kannst du zur rechten Zeit noch gewarnt werden. Für einen vollkommenen Lump habe ich den Artikel nicht geschrieben. Denn die Lumpen aller Farben, sie mögen weingrün oder schnapsblau oder kupferroth oder braun wie Bockbier sein, sind fast nie zu bekehren: höchstens noch durch eine langwierige Krankheit oder eine gewaltthätig rechtschaffene Frau. Am seltensten ist zu helfen durch Zureden oder bloße Einsicht, wie schlimm das Uebel ist. Das will ich dir gleich an einem andern Exempel zeigen.

Ein Geistlicher (unter uns gesagt, es gibt eben auch Geistliche, die nicht viel nutz sind, und es ist ein großes Unglück ein solcher Geistlicher. Dumm, sehr dumm ist es, wenn du deswegen meinst, du dürfest herzhafter drauf los sündigen, weil irgend ein Pfarrer oder Vicar es nicht genau damit nimmt. Ein Pfarrer von der Art, oder was er sonst für einen Rang haben mag, wird nach dem Tod seinen Ort finden, wie ihn der Judas, obgleich er ein Apostel war, gefunden hat; und wem du nachfolgst im Leben, dem wirst du auch nachfolgen im Tod. Es ist aber gar leicht möglich, daß es auch geistliche Herren von verschiedenen Würden in der Hölle gibt. Davon aber später noch. Nur so viel laß dir gesagt sein: Jeder Geistliche ist ein Mensch, folglich kann er auch sündigen. Gibt's doch auch Dokter, die recht wohl wissen, daß übermäßiges Essen und Trinken un-gesund ist, und thun doch selber arg saufen oder fressen. Darum mach nicht gerade alles nach, was du bei einem solchen siehst, wohl aber hör und thue genau nach dem Wort Gottes, das er predigt) — also ein Geistlicher war schon einigemal von seinen oberen Behörden eingesetzt worden, weil er durch sein scharfes Trinken großes Skandal in seiner Gemeinde anrichtete. So oft er Besserung versprochen hatte und von seinem Bischof wieder der Haft entlassen wurde, so überwältigte ihn wieder der Teufel der Völlerei und machte aus ihm ein Unthier. Nun hielt man ihn für unverbesserlich und ließ ihn jahrelang im Gefängnis sitzen. Als er endlich 15 lange Jahre abgesessen hatte, meinte der gutmüthige Bischof, jetzt dürfe er den vielen Bitten  und Versprechungen dieses Gefangenen nachgeben und ihn ohne Gefahr in Freiheit setzen. Der Entlassene kehrte am ersten Abend in einem Wirtshaus ein und ließ sich Wein geben. Dadurch wurde die schlafende, eingetrocknete Leidenschaft aufgeweckt, und mit wüthiger Lust begehrte er eine Flasche um die andere und schüttete sie in sich hinein. Tief betrunken kam er ins Bett; und als man den andern Tag nach ihm sah, so war er — todt. - Sanct Johannes schreibt, es sei nicht nothwendig, daß man für Todsünder bete.

Das war ein Geistlicher; er wußte wohl, was rechts und links ist, und hat vielleicht in jüngeren Jahren selbst gegen die Trunkenheit gepredigt; er sah, nicht nur sein ewiges Verderben voraus, sondern was manchen Menschen noch mehr abschreckt, auch sein zeitliches Unglück, weil er Ehre, Freiheit und behagliches Leben verlor: und dennoch konnte er das unmäßige Trinken nicht lassen. Darum möcht ich dich warnen, bevor es so weit mit dir kommt, daß du nicht mehr anders kannst. Denn mit dieser Leidenschaft geht es, wie wenn einer auf der Elsässer Seite in den Rheinstrom watet. Zuerst geht ihm das Wasser nur bis an die Knöchel; wenn er weiter hineingeht, bis an die Kniee; noch weiter drin bis an den Leib; noch weiter hinein bis unter die Arme, und ist immer noch ein sanftes Wasser. Wohl kann er jetzt noch umkehren; wie er aber noch einen Schritt weiter geht, so tritt er vielleicht in das Fahrwasser, und er kann nicht mehr umkehren: der reißende Strom stürzt ihn um, schwemmt ihn fort und ersäuft ihn.

Du kannst Wein trinken, du kannst Bier trinken, und kannst manchmal auch Kirschenwasser zu dir nehmen; es geschmeckt dir, aber du kannst es immerhin noch lassen ohne große Mühe. Vielleicht geschmeckt es dir aber schon so sehr, daß es dir namhaft weh thut, wenn du einmal zur gewohnten Zeit abgehalten bist, deinen Schoppen zu trinken. Nimm dich in acht, das Wasser geht dir schon bis an die Lenden. Oder du hast Husten und Seitenstechen, und der Dokter sagt, du sollst keinen Wein trinken; du trinkst aber doch und sagst: Ich bin schon daran gewohnt. Oder du hast kein Geld, und im Haus ist kein Brod, und das Kind braucht einen Katechismus, und das Schulgeld ist noch nicht bezahlt; du nimmst Geld auf Borgs und kaufst kein Brod und keinen Katechismus und zahlst auch das Schulgeld nicht. sondern du verzehrst es im Wirtshaus und drohst der Frau mit Schlägen, da sie darüber schimpft und lamentirt. Du hast im Herbst Wein gemacht, oder Zwetschgenwasser gebrannt, und es ist dir schon ein ordentliches Gebot darauf gethan worden. Du gibst es aber nicht her, und sagst, das Gebot sei zu nieder, weil du gar zu gern alle Tage mit dem Häfele in den Keller steigst, um zu sehen, wie sich der Neue macht, oder weil du gern in der Kammer, wo der Branntwein steht, dir zu schaffen machst. - Da stehst du schon weit im Wasser bis an den Hals; vielleicht stehst du nicht einmal mehr, sondern das Wasser zieht dich schon abwärts, und bald gehst du zu Grund. Denn merk dir wohl: Vor Gott bist du jetzt schon ein Lump und ein verwerflicher Mensch - nicht nur, wenn du dich volltrinkst; und nicht nur, wenn du dein Vermögen ins Wirtshaus verschleppst; und nicht nur, wenn die Leute dich als einen Säufer verschreien. Die Leidenschaft hat dich unter den Füßen, und du bist ihr Sklave überhaupt dann schon, wenn du deinem Bauch zulieb Pflicht oder Gesundheit oder Barmherzigkeit gegen die Armen verletzest, wenn du irgend einen Genuß nicht mehr lassen kannst. Darum gehören auch manche honette Leute zur Klasse dieser Bauchdiener, die es für ein großes Unbild ansähen, wenn man sie Lumpen tituliren würde, obgleich sie um keinen Heller besser sind.

Daher gehört z- B. das Weib, welches alle Tage ein paarmal Zucker und Kaffee und Weißbrod geschleckt haben muß, und doch sich nicht schämt, aus der Armenkasse Unterstützung sich zu erheulen als eine sehr arme, unterstützungswürdige Frau. Daher gehört die Madam, welche jede Woche ihre Gesellschaft gibt und besucht, und weil die Besoldung des schwachen Mannes nicht streckt, an den Kindern und Dienstboten sparen will. Daher gehört der Student, welcher sich unglücklich fühlt, wenn er nicht jeden Abend mit Bier sich tränken kann, und es für keine Schande hält, die von seinen armen Eltern sauer erworbenen und sich und den jüngeren Kindern am Munde abgesparten paar Mark zu vertrinken. Daher gehört der Herr welcher ganze Fünfmarkstücke nicht anschlagt in den Gasthäusern, und dem hier das Essen viel besser schmeckt als zu Haus, der an Landesfeierlichkeiten sich in theurem Schampagnerwein volltrinkt, vorgeblich für Fürst und Vaterland, in Wahrheit aber aus purer Begierde zum süßen Wein.  Braucht aber ein Kind ein Kleid, oder die Frau einiges Geld, um einzukaufen auf dem 'Markt, so macht er ein grämliches Gesicht, schimpft und denkt: Wär ich lieber ledig  geblieben! Nach seinem Tod ist aber kein Vermögen da, und er hatte doch ein reichliches Einkommen. Daher gehört — aber es wird gescheiter sein, ich lasse die Herrenleute in Ruhe; ich habe vielleicht mit dem schon in ein Wespennest gegriffen. Denn derlei Personen sind oft schon viel zu schwächlich, als daß sie die Wahrheit verdauen könnten. Will man sie ihnen doch beibringen, so krakeelen sie darüber und bessern sich doch nicht. Ich will darum lieber wieder zum gemeinen Mann mich wenden; der nimmt eher etwas an.

Also wie gesagt: wenn du an Werktagen ins Wirtshaus sitzest, an Sonntagen um keinen Preis mehr wegbleiben kannst; wenn du gern dein Getränk herauswürfelst, und spät bei Licht die Karten noch in den Händen hast; wenn bei dem  ersten oder zweiten Schoppen die Begierde nach dem dritten, desgleichen nach dem vierten noch stärker wird, und der Schnaps dir gut macht: dann sieht es schon schief aus, und es ist Zeit, daß du dafür thuest, sonst mußt du zuletzt ins Wirtshaus und ins Trinken, wenn du auch selber erkennest, daß es dein Verderben ist; und die Leidenschaft wird Meister über dich und reißt dich fort, wohin du nicht willst, sondern wohin sie will, wie ein wildes Roß ohne Zügel den schwachen Knaben, der darauf sitzt.

Wir wollen aber auch den Fall setzen, du werdest nicht von Jahr zu Jahr durstiger und verwöhnter, und werdest kein großer Lump, sondern bleibest nur ein kleiner; oder du gehest überhaupt nur gern ins Wirtshaus: was könntest du aber an Zeit und Geld sparen! Wenn einer wöchentlich nur jeden Sonn- und Feiertag und an den Märkten ins Wirtshaus geht und recht sparsam dabei lebt, so daß er eins ins andere gerechnet etwa nur 40 Pfennig braucht, so macht das in einem Jahr ungefähr 50 Mark; in 10 Jahren 500 Mark; und wenn du deine 50 Jahre so mitmachen kannst, so hast du auf ganz unschuldige Weise mit Kapital und Zinsen gerechnet über 3000 Mark im Wirtshaus verzehrt. Gesetzt aber, du gehst alle Tage, um deinen Schoppen zu trinken, trinkst aber nicht stark, sondern brauchst durchschnittlich nur 25 Pfennig: so macht dieses 90 Mark im Jahr, in 10 Jahren 900 in 50 aber mit Zins mehr als 5000 Mark. In derselben Zeit bringt einer aber über 10 000 Märk durch, welcher täglich 50 Pfennig verthut. Damit hätte er seine Kinder etwas lernen lassen und ehrbar aussteuern können; und das ist viel Geld, was auf  solche Art besonders für einen, der nicht viel hat, verzettelt wird    Vor dem Gericht Gottes wird es aber einem zusammensummirt, daß man sich verantworte über die Verwendung. Denn wir haben das Zeitliche nur im Lehen und sind nur die Verwalter davon. Vor der Obrigkeit dürfen wir damit machen, was wir wollen (nur wenn er es zu arg macht, so wird hie und da einer mundtodt); aber vor Gott dürfen wir damit nicht machen was wir wollen, sondern müssen es so verwenden, wozu er es uns gegeben hat: sonst werden wir für alle Ewigkeit von ihm mundtodt gemacht, und bekommen nichts mehr zu verwalten

Ich wüßte einen Rath, der dir gar wohl bekäme, obgleich er dem Wirt an Absatz und der Herrschaft am Accis schadet, aber auf eine Art, wie man schon schaben darf. Wenn als die Zeit Kommt, wo es im Eingeweide des Leibes sich regt und unruhig wird und fort will zum Trunk und Spiel ins. Wirtshaus, dann zieh den Geldbeutel heraus, oder wenn du keinen füherst, lang in den Hosensack oder das Brusttuch, wo du eben deine paar Zwanziger trägst, und thue so viel Münz heraus, als du ungefähr im Wirtshaus verzehrt hättest. Das leg in eine besondere Sparkasse, in ein Schächtele, wovon aber niemand etwas wissen darf als du und der liebe Herrgott. Was du mit dem Geld darin machen sollst, wenn die Kasse einmal schwerer wird, warte noch, das will ich später sagen. Damit du aber die Zeit auch herumbringst, wo du deine Pläsier im Wirtshaus hättest, so lies im Goffine oder in der Nachfolge Christi oder in der Philothea (wenn du das  Buch nicht hast, so schaff dir eins an; kannst meinetwegen das Geld dazu aus der geheimen, Sparbüchse nehmen; wenn du es bei dem Schwabenkrämer auf Jahrmarkt nicht findest, so sag es dem Pfarrer oder Pfarrverweser, er solle dir eins um dein Geld kommen lassen) oder sonst in einem braven Buch. — Oder wenn in eurem Dorf einer die Auszehrung oder Wassersucht, oder es in den Gliedern hat, so besuch ihn; der arme Tropf ist vielleicht fast den ganzen Tag allein und hat Langeweile, und die graue Trübsal liegt bei ihm im Bett und macht ihm schweren Odem. — Oder hör dein Schulerbüblein oder das kleine Maidele ab, ob es sein Sach auf morgen kann; erzähl ihm ein Exempel; lehr es einen Spruch, oder treib sonst etwas — die Zeit geht auch herum. Was gilt's, wenn es bald Zeit ist zum  Schlafengehen, und die gefährliche Wirtshausstunde  ist glücklich überstanden, so ist es dir ganz wohl? Deine Frau gibt dir viel ordentlichere Reden, du hast mehr Freude an deinen Kindern, und das Essen geschmeckt dir noch so gut; mit dem Nachtgebet geht es leichter von statten, und Gott kommt dir lieber und freundlicher vor. Damit du aber nicht zornig ob der. Zumuthung werdest, so versteh mich recht: ich begehre nicht gerade, du sollest gar nie ins Wirtshaus; wenn du es schwer über das Harz bringen kannst, so geh in Gottes Namen hin, besonders wo du versichert bist, daß du rechtschaffene Männer und rechtschaffene Gespräche antriffst; und bleibe nicht lange, eine Stunde wird genug sein. Aber probir das Wegbleiben noch viel öfter, und zeig deiner sinnlichen Lust alle Woch ein paarmal, wer Meister ist und zu befehlen hat, das Menschenthier oder der Menschengeist.

Wenn du es nun oft so gemacht hast, und die Sparkasse auf die Weise wohlhäbig wird, was jetzt machen mit dem Geld ? — Das gescheiteste ist, du legst es an; nicht beim Kaufmann in der Stadt, oder bei Leuten, tue Guter steigern, oder einem, der ein Haus baut oder ein Gewerb anfangt: es ist nicht rathsam; man bekommt heutigen Tags doch nicht viel  Zins, und ist nicht einmal ganz sicher, ob man nur sein Kapital wieder zurückbekommt (lies als nur das Anzeigeblatt, da stehen jahrein jahraus Ganten ausgeschrieben von allen Aemtern her). Ich will dir einen sagen, der es ganz sicher zurückzahlt und einen so großen Zins dazu, daß man meinen sollte, der Zins sei das Kapital, und das geliehene Kapital nur ein schlechter Zins dagegen. Ja, wenn man ihm Geld leiht, so ist es gerade, wie wenn man in eine Lotterie setzen würde, wo jede Numero ein großes Los gewinnt, und du brauchst gar nicht weit zu gehen, und brauchst keinen Schreiber oder theuern Notar dazu, um die Sache abzumachen. Der Mann, welchen ich meine, und der auf die Art Gelder aufnimmt, wohnt in eurem Dorf, und jede Stunde, wo du kommen willst, kommst du ihm zu gelegener Zeit. Er heißt Jesus Christus. Dieser hat gesagt (und was er verspricht, das ist sicherer als eine dreifache Obligation, vom ganzen Ortsgericht unterschrieben): „Was  ihr dem geringsten meiner Brüder gethan habt, das habt ihr mir gethan. Selbst der Trunk Wasser, den ihr in meinem Namen reicht, wird euch nicht unbelohnt bleiben. " Um es kurz zu sagen: was du den Armen schenkst, das hast du dem Heiland, Gott selbst geliehen. Was haltest du von der Sache? Deine Sinnlichkeit wird freilich ein krummes Gesicht dazu machen, und dein Magen einen Seufzer. Stell dir aber einmal den Unterschied vor beim letzten Stündlein, ob du ein paar hundert oder gar tausend Mark auf diese Art bei Armen angelegt, somit bei dem Vater der Armen zu gut hast, oder ob du sie allmählich im Wirtshaus dahinten gelassen, und in den Leib, der verfaulen muß, geschüttet hast. Bedenk's, und mach es, wie du meinst, daß du zuletzt am besten fahrst. Unser Herrgott hat eine Sparkasse angelegt; was man im Erdenleben in dieselbe legt, das kriegt man nach dem Tod rausgezahlt viel hundertmal, und die Brieflade, wo man das Geld und die Namensunterschrift hineintut, das ist die Hand des Armen.

 

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Juni.

 

Vergib uns unsere Schulden, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. Aus einem alten Volksgebet.

 

Jede Gemeinde besteht aus zwei Ortschaften: in der einen Ortschaft da wohnst du jetzt, und in der anderen Ortschaft da wirst du später wohnen. In dem einen Orte brauchen die Leute viel Platz, in dem andern braucht jeder nur Platz eine Manneslänge und -Breite. In dem ersten Dorf kostet selbst ein geringes Haus mehrere hundert Mark, in dem letzten Dorf kriegt man eine gute grundfeste Wohnung um wenige Mark. In jenem hört man viel Lärm von Fuhrwerken und Menschen, und sieht viel Rauch; in diesem ist es gar zu still, und man sieht keinen Rauch und kein Kamin; aber statt des Kamins ragt ein Kreuz hervor über jede Grabeswohnung. Nur sitzt hie und da einem Bürgermeister oder Krämer oder sonst einem reich gewesenen Mann oder seinem Kind ein schwerer Stein über dem Kopf — das geht mich übrigens nichts an; wenn sie christlich gelebt haben, so wird sie der Stein nicht drücken und werden keine Beschwernisse deshalb beim Auferstehen haben, wenn etwa der Stein am jüngsten Tage noch dort liegt; der Schutzengel wird ihn schon zur rechten Zeit hinwegwälzen. Aber ich will dir jetzt von einem Grabstein etwas erzählen, wie du noch keinen gesehen hast, und der einem im Tod und Gericht zum Stein des Anstoßes gereichen kann.

Stell dir vor einen viereckigen Grabstein auf dem Grab eines schon bestandenen Mannes. Auf der ersten Seite steht von dem Manne: „Er hat nur wenige gute Werke auf Erden ausgeübt; und die wenigen mehr Lobes oder der Schande halber, aus guter Laune oder aus Eigennutz.“ Auf der andern Seite steht: „Er hat in seinem Leben viel tausendmal geflucht, geschimpft, gelogen, unreine Begierden gehabt, dem Neid, der Schadenfreude nachgehängt; seine Standespflichten vernachlässigt und sonst noch viel gesündigt; seine Sünden groß und klein sind zahllos, wie die Blätter am Baum und der Sommerstaub an der Landstraße. " Auf der dritten Seite steht geschrieben: „Wenn er beleidigt wurde, oder meinte, man thue ihm unrecht, hat er gelästert und geflucht: Wenn dich nur der Teufel holen thät und das Donnerwetter verschlagen! hat den Feinden den Schaden gegönnt, ihr Glück mißgönnt; tage- oder wochenlang im Herzen Groll herumgetragen, ihnen keinen Gruß mehr gegeben, wohl aber Böses über sie nachgeredet und sich gefreut, wenn auch andere über seinen Feind verächtlich redeten; manchmal, wenn die Gelegenheit lockte, hat er sich auch sonst gerächt; und erst, wenn Zorn und Groll von selbst müde geworden und verraucht waren, hat er allmählich wieder anders werden können!" Auf der vierten Seite heißt es: „Er hat alle Tage gebetet: Vergib uns unsere Schulden, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. "

Lies jetzt noch einmal mit Bedacht die vier Seiten des Grabsteins und gib mir, oder eigentlich dir, Antwort! Wo wird die Seele desjenigen sein, der einen solchen Grabstein verdient hat? — Das weißt du nicht; aber gewissermaßen könntest du es doch wissen. Du kannst bestimmt wissen, daß seine Seele gewiß nicht bei Dem ist, der, in den brennendsten Qualen am Kreuze verlacht, die Spötter und Mörder bei dem Vater entschuldigte und von ganzem Herzen für sie betete, daß ihnen Gott gnädig sein möge. Denn das wäre curios, wenn so einer, der es gerade conträr gemacht hat, bei dem Heilande im Himmel wäre. Und du kannst so ziemlich sicher wissen, daß es der Seele jenes Mannes ungefähr so gehen werde, wie er alle Tage gebetet hat: daß ihm Gott nämlich auf die Art vergeben werde, wie er es selber gehalten hat mit dem Vergeben, wenn ihn jemand beleidigt hatte.

Die zweite Frage rückt dir näher auf den Leib und greift dich an der Ehre an. Sag einmal aufrichtig: könnte man dir nach deinem Absterben nicht auch einen solchen viereckigen Grab-stein setzen, und das nämliche darauf schreiben? und wäre gar nichts daran gelogen, auf allen vier Seiten nichts gelogen? — Du wirst nun schon merken, wo das hinaus will. Wenn du aber blöden Hauptes und von Natur ein bissele einfältig bist, so will ich es dir ohne Verzierung sagen, nämlich: Wenn du nicht jedesmal, da du von anderen beleidigt wirst, wahrhaft ver-zeihen magst, so wird dir Gott auch nicht eine einzige Sünde verzeihen, nicht einmal eine halbe; sondern du wirst über große und kleine Sünden, selbst über das unnöthige Wort Rechenschaft ablegen müssen.

Solang du Feindschaft hast, verfluchst du dich gerade so vielmal, als du Vaterunser betest während der Zeit der Feindschaft. In jedem Vaterunser forderst du Gott heraus, er solle dir auch feind sein wegen der Beleidigungen, durch die du dich gegen Gott versündigt hast. Ja, wenn du ein ganzes Jahr lang Feindschaft gegen irgend einen Menschen im Herren trägst, und sie nicht herausreißen willst aus dem Herzen, so brauchst du auch ein ganzes Jahr lang nicht mehr in die Kirche zu gehen; und brauchst ein ganzes Jahr lang nicht mehr zu beten: es ist nur verlorene Zeit. (Nur das Gebet um Erlösung von deinem Groll wäre Gott wohlgefällig. ) Denn bist du gegen einen einzigen Menschen feindlich gesinnt, so stehst du auch in Feindschaft mit Gott, der diesen Menschen erschaffen hat und sein Bestes will, und mit dem Erlöser, der für diesen Menschen Blut und Leben aufgeopfert hat. Und dein Gebet und Kirchengehen ist ein Spott gegen den Allerhöchsten, wie wenn du einem Herrn lauter hohle Nüsse zum  Geschenk machtest, und ist so wenig werth als eine ausgestopfte Nachtigall oder eine schlecht gemalte Rose. Die Nachtigall ist nichts werth, weil sie nicht singen kann; und die Rose ist nichts werth, weil sie keinen Geruch hat: so ist auch dein Gebet nichts werth, weil keine Liebe darin ist, und in deinem Herzen kein Gehorsam. Du hast nämlich keine Liebe, denn du hassest einen deiner Nächsten; und hast keinen Gehorsam, denn du befolgst nicht, was der Herr sagt bei seinem Scheiden: „Ich gebe euch ein neues Gebot, daß ihr einander liebet"; und was er schon früher sagte: „Wenn du dein Opfer schon auf dem Altar liegen hast, und du erinnerst dich, daß dein Bruder etwas wider dich habe, so laß das Opfer liegen, versöhne dich vorerst mit deinem Bruder, dann komm und opfere deine Gabe."

Ja, selbst die Kraft des Sacramentes geht an dir verloren, Solange du in Feindschaft bist. Beichte mit Seufzen und Zähren, laß dir die Lossprechung geben, bessere dein Leben, gewinn noch dazu einen vollkommenen Ablaß: du lassest aber ein Tröpflein Feindschaft und Haß in einem Winkel deines Herzens sitzen; oder du hättest auch dieses Tröpflein hinausgefegt und dem Feind aufrichtig die Hand und freundliche Reden gegeben, aber nach wenigen Tagen reut es dich wieder, dem Feind verziehen zu haben, und du machst ihm wieder ein so böses Gesicht wie vor der Beicht, so hat der ausgetriebene Teufel des Hasses wieder sein altes Nest, dein Herz- besetzt.

Ja, das laß ich schon gelten, sagst du, aber man ist eben ein Mensch; was will man machen, wenn eben der Zorn inwendig kocht und dampft, wie wenn man Wasser auf ungelöschten Kalk schüttet! Die Leute machen es einem danach; ich kann eben nicht anders, ich muß schimpfen und fluchen und Zorn haben. — Pfui, schäme dich, daß du so lügst und so gern wüst thuest. Freilich kannst du anders; aber du willst nicht anders, und hast eine matte, gemeine Seele, die sich lieber von Zorn und Haß hin-und herreißen läßt, wie ein halb loses Spinngewebe vom Wind, als daß sie ihm herzhaft und stark Widerstand und Gewalt anthun möchte. Den schlimmsten Feind hast du in dir selbst sitzen, der es übler mit dir meint und dir mehr schadet, als all die Leute, über die du bös bist. Dieser Feind ist das empfindliche, rachsüchtige Wesen, das in dir so leicht wie ein Zündhölzlein entbrennt und dich und durch dich andere plagt.

Dem stell nach, deinem Grollen, und tritt es unter die Füße und wirf es zum Haus hinaus. So oft es anklopft, oder sich hereinschleichen will, wie einen verdächtigen liederlichen Kerl.

Ich will dir einen solchen Handgriff lehren, wie man dem bösen Geist des Hasses und Grollens, diesem verfluchten Asmodi und Beelzebub, beikommen und ihn bannen könne. Es ist ein ganz wohlfeiles Mittel, dessentwegen man nicht einmal über die Gasse zu laufen braucht; es ist so ein Hausmittel, das überall zu Händen ist, in der Küche, in der Stube, im Stall, und auch außer dem Haus, im Feld, im Wald und auf der Wiese, wenn gerade der Nachbar das Wasser dir abgespannt hat. Es ist eigentlich Sympathie; aber Sympathie, wo kein Aberglaube dabei ist, und die man nicht zu beichten braucht, weil unser Herrgott noch gern es sieht, wenn man sie braucht: rath einmal, was das ist? Ich sage dir das Mittel von Herzen gern. Versprich aber vorher — nicht mir; denn ich wüßte es ja nicht —, versprich es dem lieben Gott, der alles weiß und dir ins Herz sieht, und vor dem du auch jetzt gerade stehest, sitzest oder (im Fall du krank bist) liegst, versprich ihm, daß du das Mittel gebrauchen werdest alle Tage deines Lebens; versprich und halte es, du theures Menschenherz, ich bitte dich recht sehr darum. Sieh, es ist so einfach und leicht und so gar zu viel werth und bringt großen Vortheil dir und deiner Familie und deinen Nachbarsleuten und deinen Vettern und der Schwägerschaft, allen zu-sammen. Ich will dir es jetzt sagen:

Wenn der Teufel kommt und zischt dir in den Sinn: „Das ist zu arg, was der und die über dich gesagt haben"; oder: „DaS thät ich nicht leiden, ich thät klagen oder es sonst wett machen"; oder: „Schau, das ist der Dank von dem Lumpenpack; thue nur keinem Menschen mehr etwas zulieb; sie sind alle falsch" u. s. w. — wenn der Teufel mit seinem schwarzen giftigen Pelz so an dir reibt und alte und neue Geschichten aufrüttelt, damit du in Hitz und Haß kommest: so gehe hin und bete ein Vaterunser für den Feind und für dich, daß Gott euch allen zwei gnädig sein und miteinander in den Himmel verhelfen möge, und daß Gott aber vorher (weil es sonst nicht geht mit dem In- den- Himmel-kommen) dir helfen möge, von ganzem, ganzem Herzen zu verzeihen, und dem Feinde Einsicht in den Fehler und Besserung verleihe. Wenn du dann dieses Gebet recht fromm vor deinem Vater und dem Vater deines Feindes gebetet hast, und es rauscht inwendig noch und hat sich noch nicht ganz abgekühlt: so bete noch ein Vaterunser oder sonst ein Gebet von der Art; und bete so lang und laß nicht ab, bis das schwarze Gewölk des Grolls in deinem Gemüth verzogen ist, und es heiterer blauer Himmel wird und die Sonne der Menschenfreundlichkeit und der Regenbogen des Friedens lieblich in der Seele strahlt. Sei es dann, daß du übermorgen oder die andere Woche vom Feind reden hörst, oder an ihm vorübergehst und er ein schiefes Gesicht macht, oder daß es sich von selber inwendig wieder bäumt und der alte Haß im Busen knurren will wie ein böser Hund hinter dem Ofen: so repetir das vorige Mittel und laß dich die kleine Mühe nicht gereuen. Schau, das bewahrt vor gar vielem Verdruß und gibt großen Frieden im Leben und im Sterben. Das bekommt einem besser beim Sterben, als ein Lorettoglöckchen schellen, und ist Kühlung und Weihwasser und ein guter Ablaß, wenn die Seele zum Leib hinausgeängstigt wird.

Thue dem himmlischen Vater und mir und dir und dem Feind miteinander den Gefallen und mach es so bei nächster Ge­legenheit. Für Gelegenheit wird schon gesorgt werden. Wer weiß, vielleicht hast du sie schon vorräthig. Mustere einmal deine gegenwärtige Gemüthsstimmung und deine Verhältnisse, und besinn dich, ob du gegen niemanden in offenbarer Feindschaft lebst, oder ihn heimlich nicht leiden kannst. Wahrscheinlich wird es nicht fehlen, daß du vor noch nicht langer Zeit mit einem etwas gehabt hast, oder einer mit dir, oder daß du etwas gehört hast, was dir Verdruß gegen den oder jenen eingejagt hat; oder du knurrst vielleicht schon lange mit einem Verwandten wegen der Teilung, und geht keiner dem andern mehr ins Haus. Nicht wahr, es ist so etwas an der Sache? Geh, liebe Seele, und mach gleich die Probe und zeig, daß es dir Ernst ist, mit Feindschaft nichts mehr zu thun zu haben. Leg das Büchlein auf die Seite, du kannst ein anderes Mal wieder darin lesen, es entlauft dir nicht, und bet gleich etwas für euch beide, für den Feind und dich, und für dich und den Feind. Noch mehr: tritt dem Teufel auf den Kopf, der an dir hetzen will, und wirf ihn zur Thüre deines Herzens hinaus, und bring's über dich, gerade dem Feinde ins Haus zu gehen, oder wenn sich das gar nicht thun läßt, so grüß ihn zuerst, oder red ihn freundlich an, wenn du ihm begegnest, oder schreibe ihm einen versöhnlichen Brief. Du wirst sehen, wenn du es allemal, wo es Verdruß gegeben hat, so machst: so glaubst du eher daran, daß Gott dir deine Sünden verzeihen und gnädig sein werde, und ist ein geweihtes Amulett gegen Verzweiflung und Anfechtungen des Teufels in der Todesstunde, wenn es schwarz vor den Augen wird.

 

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Julius.

Nichts  thun ist noch kein Verdienst.

 Eine gewisse Wahrheit.

 

Es ließe sich jetzt noch von allerlei Sünden und Lastern, oder wie die Vornehmen sagen, Schwachheiten reden; aber das halbe Jahr ist herum, und es ist noch viel mehr zu thun, als bloß Sünden bleiben lassen. Ich will jetzt ein paar Wegzeiger aufstellen, was man thun muß, wenn man die rechte Thüre in den Himmel finden will. Denn beiläufig gesagt, es gibt auch nur gemalte Himmelsthüren, und ist in manchen Büchern und Herren - Predigten gar anmuthig die Rede von solchen Himmels-thüren: wenn man aber getrost darauf losgeht, so rennt man nur den Kopf an, und hat den Weg verfehlt, und es ist zu spät.

Vielleicht hast du beim Lesen bis daher gedacht: "Wegen dem kann ich ruhig sterben: ich habe nicht gestohlen, habe ehr-

lich meinen ledigen Stand durchgebracht, und habe mit niemand nichts; saufen aber thue ich gar nicht, unsereins hat das Geld nicht dazu; und es kann mir auch kein Mensch etwas Schlechtes nachsagen. " Und wo du so denkst, wird es dir ganz tugendlich um das Herz, daß du schier Gott danken möchtest wie der Pharisäer im Tempel, daß du stets so rechtschaffen und ehrbar auf Erden gewandelt. -- Ei, ei; es ist nur schade, daß du nicht auch einen güldenen Heiligenschein um das Haupt hast, damit die Leute sehen frei, wie arg deine Tugendhaftigkeit sei. Wenn der Papst recht wüßte, wie vollkommentlich du bisher auf Erden gewandelt, er würde dich wider allen Gebrauch schon bei lebendigem Leibe heilig sprechen; meinst du nicht?

Gib einmal acht, ich will dir die Seifenblase deiner Einbildung ausblasen. Wenn  du  einen Knecht hättest    der sauft nicht, er lauft dem Weibsbild nicht nach, er stiehlt nicht, er fangt keine Streithändel an, ja er flucht nicht einmal, was doch gewiß viel von einem Knecht sagen will, kurz, er  treibt  gar nichts. Aber, wie gesagt, er thut gar nichts: er arbeitet auch nichts, sondern legt sich im Winter nach dem Essen auf die Ofenbank und im Sommer auf den Heustall  oder  auf den Grasboden hinter der Scheuer; oder wenn er bisweilen Hand  anlegt, so arbeitet er alles nur für sich selbst, z. B. daß er seine Stiefel schmiert oder einen desertierten Knopf am Kamisol annäht; um dein Geschäft bekümmert er sich aber nicht. Nun, wie würde dir ein solcher Knecht gefallen? Sprächst du nicht ungefähr also zu ihm: „Ei, du guter und getreuer Knecht, bleib immer bei mir; ich will dir noch mehr Lohn geben; von der Art bekomme ich sonst doch keinen mehr, als wie du bist. "   Du lachst vielleicht und denkst: Ja, so einer käme mir recht; den wollt ich jagen — Halt, guter Freund, du bist vielleicht gerade selber ein solcher Knecht. Weil du zu einigen Lastern keine besondere Lust getragen hast, darum meinst du, im  Himmel werde man dir einen Platz gleich neben dem Engel Gabriel zurüsten, und dieser werde noch rücken aus gewaltigem Respect vor deiner übertriebenen Gerechtigkeit und Heiligkeit. Wie bist du doch so gar zu schwachköpfig und glitzerst vor tugendhafter Eitelkeit wie der Kamisolärmel eines Bübleins, das sein Nastüchlein bei sich tragt!

Erstlich, warum lassest du manche Sünde bleiben? Vielleicht weil du keine Gelegenheit dazu hast; oder weil dein Geblüt sachte und langsam in den Adern schleicht vor Alter oder Kränklichkeit oder kühlem Temperament; oder weil man dich von Jugend anders gewöhnt hat; oder weil du das Geld nicht dazu hast; oder weil du die Schande vor den Leuten nicht haben magst und du gern etwas in der Gemeinde werden möchtest, Verrechner oder gar Bürgermeister. Das weiß aber Gott recht gut, noch besser als du selbst, daß du nicht ihm zulieb, sondern nur dir zulieb die Sünde bleiben hast lassen. Aber wenn du noch so viel bleiben lassest, und so wenig Sünden verübst als euer Stubenofen, so kannst du doch recht wohl beim letzten Gericht auf die linke Seite gestellt werden. Das kann ich dir schriftmäßig beweisen. Der Herr wirft den Verfluchten auf der linken Seite nicht vor, sie hätten todtgeschlagen oder einen falschen Eid geschworen oder ein Pferd gestohlen, und die in den Himmel kommen, lobt er nicht, weil sie keine Häuser angezündet, keinen Ehebruch getrieben oder kein falsches Geld gemacht hätten: sondern die Gutes gethan, werden rechts gestellt; und die das Gute unter-lassen, werden links gestellt. Du kannst doch noch ganz sachte ohne Radschuh zum Allerärgsten fahren, wenn du auch gar nichts gethan hast, wofür man in das Zuchthaus oder in Schande kommt, wenn es die Leute erfahren. Ich will dich wie durch das Schlüsselloch ein wenig in die Hölle hinunterblinzeln lassen, auf der Seite, wo die Nichtstuer untergebracht sind, welche lasterlos in die Hölle gefahren. Damit du von allem das rechte Verständniß bekommst, so will ich wie ein Guckkastenmann die Auslegung machen; gib jetzt recht Achtung!

Dem Herrenvolk gehört der Vorrang. Zu oberst sitzt ein dicker, in Karmesin gekleideter Herr Hochwohlgeboren, der Herr Prasser. Er sitzt auf einem rothen Kanapee, es ist aber nicht von Sammet; es ist ihm so schwül und trocken von dem vielen Weintrinken und starken Gewürz, und so grimmig ist sein Durst, daß er selbst den Bettler Lazarus um ein Tröpflein Wasser anbettelt, da er doch von jeher das Wasser und das Betteln nicht hatte leiden können. Er weiß sich gar nicht zu schicken in sein Elend und ächzt und wälzt sich ganz jämmerlich, und meint, es könne nicht sein, daß er, der reiche Mann, der angesehene Mann, der Mann von Bildung, so tractirt werde. Er ist aber deshalb so weit heruntergekommen, weil er sich genau an das Sprichwort gehalten hat: „Selber essen macht fett'', und nur seinen eigenen Leib gemästet hat, und darob den armen Lazarus mit seinem Hunger und seinen Leibschäden übersehen. Dieser reiche Mann hat gar viele Brüder und Kameraden bei sich, denen es ebenso geht, weil sie es ebenso gemacht haben — die heulen vor Hunger  und strecken vor glühendem Durst die schwarze, auf-gesprungene Zunge heraus. Wenn ich sie umständlich aufzählen wollte, wes Standes und woher sie sind, so könnte ich Ungelegenheiten mit ihren Vettern und Basen, die noch auf Erden leben, oder einen Injurie-Proceß bekommen. Die Hauptsache ist: sorge dafür, daß du nicht auch zu ihnen kommst. Es kommt da nicht auf den dicken Bauch und den Lazarus vor der Thüre und die seine Leinwand und den Karmesin bloß an: wer überhaupt wohl helfen könnte in der Noth der Nebenmenschen, und sein Herz verhärtet, der ist ein leiblicher Bruder des Prassers.

Dann ist zu schauen ein H o ch w ü r d e n, ein alter geistlicher Herr mit einem gebrochenen Genick; ein gar guter Herr: und Seelsorger, der nicht gern Verdruß hatte, und es haßte, wenn man ihm mit Klagen kam. Es ist der Judenpfarrer Heli, und sitzt auf einem Lehnstuhl, an dem er zu viel und zu stark angelehnt hat. Wenn seine liederlichen Söhne wegen Gottlosigkeiten und schlechten Streichen ihm angezeigt wurden, so sprach er etwelche Male zu ihnen: „ Ihr müßt nicht so unklug handeln, vorsichtiger sein, die Leute halten sich darüber auf; das gehört sich nicht. " Da aber die Söhne nicht auf den Alten hörten, und die Leute noch mehr klagten, da schalt er die Leute aus: „Laßt mir meine Ruhe! ihr seid nur immer an meinen Söhnen; mit der Jugend muß man es nicht so genau nehmen. " Seine beiden Söhne sind nun in große schwarze Schlangen verwandelt, die unaufhörlich den Vater wild umschlingen und ihn würgen und stechen Tag und Nacht. Um ihn wimmeln unübersehbare Scharen von Eltern, Pflegern, Meistern u. dgl., die es mit ihren Kindern und jungen Leuten ebenso gemacht haben wie der Heli, d. h- die zu allerlei Sünden und Schlechtigkeiten der Ihrigen geschwiegen oder sich doch nicht ernstlich  denselben widersetzt haben. Da kreischen nun die verdammten Kinder mit herausstehenden Augen ihren verdammten Eltern rasend ins Gesicht: „Du bist schuld! du bist schuld! du bist schuld!" und speien Feuer gegen Vater oder Mutter oder Lehrmeister.

Jetzt kommt ein Angestellter mit einem scheuen, unstäten Blick. Curios, er hat eine Schüssel voll Wasser neben sich, nicht zum Trinken, sondern er möchte heftig einige Blutflecken von den Händen wegwaschen. Er wascht und reibt schon mehr als 1800 Jahre, und die Flecken wollen nicht weggehen und nicht bleicher werden. Das macht, daß er ganz verzweifelt und wie unsinnig wird. Kennst du ihn nicht? Er ist aus Welschland gebürtig, und du hast schon vielmal ihn mit Namen genannt: er heißt P o n t i u s P i I a t u s. Er hat auch einmal etwas bleiben lassen, nämlich als Richter einen Gerechten den blutdürstigen Juden zu entreißen; er wollte sich um Jesus nicht kräftig annehmen, um seine Ungelegenheiten bei dem Judenvolk und bei dem Heidenkaiser zu bekommen. — Um ihn herum sitzen Gemeinderäthe, Amtleute, Minister, Deputirte aus verschiedenen Nationen und Zeiten, welche, die einen, um nicht bei ihren Oberen oder Fürsten, die anderen, um nicht bei dem Volk und den liberalen Zeitungsschreibern anzustoßen und deren Lob und Gunst zu verlieren, geschwiegen und nachgegeben haben, wo sie der Gerechtigkeit wegen nicht schweigen und nachgeben hätten sollen. Sie sitzen um den Pilatus herum, sehen ihm mit starren Augen zu, wie er sich wascht und warten, ob die Flecken nicht hinweggehen, und möchten dann einer um den andern seine Schuld, die ihn brennt, wie wenn es feurige Kohlen wären, auch in der Schüssel des Pilatus hinwegwaschen. Aber noch ist Pilatus nicht fertig geworden,

und ist auch keine Hoffnung, daß er je das Blut von den Händen bringt; und jene müssen peinlich harren in Ewigkeit, und die Schuld brennt fort.

Hernach kommen zwei, von denen man auch alle Jahre in der Kirche reden hört, aber nichts Gutes. Sie sehen aus wie Geistliche. Die sind einmal an einem halbtodten Landsmann vorübergegangen und haben ihn liegen lassen. Sie haben ihn zwar angesehen, aber Mitleid haben sie keines gefühlt, und mögen ungefähr folgende löbliche Gedanken gehabt haben: „Es wird nicht der Mühe, werth sein, daß man da Hand anlegt; es ist doch für nichts, er ist schon am Sterben. Kann mich auch nicht aufhalten; Geschäfte, notwendige Dienstgeschäfte erlauben es nicht. Auch kenne ich den Menschen nicht; er wird selber Streithändel angefangen haben; es ist sicherlich ein Lump. Ohnedies könnte man Affären mit der Polizei bekommen, vor Amt laufen, Eide schwören müssen, und kriegt doch nichts dafür. Der Herr geb' ihm eine glückliche Sterbstunde; ich will noch ein Vaterunser für ihn beten. Gottlob, daß mich der Fäll nicht getroffen hat; aber Gott kennt die Seinigen. " So ging einer um den andern an dem Juden vorbei. Als aber ihre eigene Todesstunde kam, da hat sie Gott auch liegen lassen und seinen Trost und Hilfe von ihnen zurückgezogen. In ewige Angst und Noth sind sie hinabgesunken. Sie liegen da und röcheln, wie der geschlagene Jude am Weg nach Jericho; sie können nicht leben und nicht sterben - und leiden ein ewigliches Sterben, ohne todt zu werden. Das sind die höllischen Patrone von allen Pfarrern und Decanen und Vicaren, die es auf gleiche Weise gemacht haben, wie der Priester und der Levit. Diese sind alle im nämlichen Gewölb untergebracht. Ich will einige Sorten davon beschreiben. Es sind allda zu sehen solche, die alle Tage im Kalender gern hatten, nur die rothen nicht, am unliebsten aber die Marientage, wegen dem Beichtsitzen; sie hielten gar nicht gern Predigt oder Christenlehre, wenn es ein wenig kalt oder warm war, aus purer christlicher Liebe, damit die Leute nicht frieren oder im Sommer nicht schläfrig werden. Andere, darunter aber auch von den nämlichen, konnten es gar nicht leiden, wenn ihnen beim Spiel und der Pfeife und dem frischen Lagerbier oder fröhlichen Gelächter ein Versehen angesagt wurde, und machten dabei ein herberes Gesicht als der arme Kranke, und besuchten ihn nach dem Versehen nicht mehr, bis er todt war, um seine Leiche zu halten. Anderen war es recht, wenn einer wenig oder nichts beichtete, damit sie eher aufstehen könnten von dem unlustigen Beichtstuhl, und machten es da nicht kurz und gut, aber kurz und  schlecht; wenn aber das Gewissen oder ein Hirtenbrief sie mahnte, so legten sie den Hirtenbrief auf die Seite, und stopften dem Gewissen mit der Ausrede den Mund: „Es ist doch für nichts. " Gar manche von ihnen haben sich auch gerade von vielem Lesen die Augen nicht verdorben. In jüngeren Jahren, wo sie es noch nicht so los hatten, nahmen sie wohl hie und da ein aufgeklärtes Predigtbuch oder die „Stunden der Andacht" zur Hand, um eine hübsche Rede für den andern Tag für die Bauern daraus zu entnehmen. Später aber brauchte man das nicht: man predigte aus dem Stegreif. Manche hatten zu viel Geschäfte zu Haus oder auf dem Feld, konnten sich darum nicht viel mit der Schule abgeben; in die Filialschule gingen sie fast nie; sie dachten und sagten: „Der Schulmeister soll die Kinder in der Religion unterrichten, er ist dafür bezahlt. " Unter dieser Sippschaft fand ich auch mehrere hübsche Prediger. Diese haben, als sie noch auf Erden wandelten, besonders gern bei den Vornehmen Visiten gemacht, haben gar zu viel auf zierliche Redensarten gehalten, kleideten sich feiner als nothwendig, und wenn man sie sah oder hörte, so meinte man Bisam und Kölnisch Wasser zu riechen. Sie haben nicht nur süß und artig gepredigt, sondern sie haben auch sonst im Gottesdienst alles gar schön gehalten; aber sie sind stumme Hunde gewesen. Sie haben sich nach allen Seiten hingeschmiegt und jedem ins Gesicht geredet, wie er es gern hörte, besonders nach oben, um überall beliebt und belobt zu sein; und haben wackerlos geschwiegen von dicken und breiten Lastern in ihrer Gemeinde; manche schwiegen auch wegen der mea culpa, d. h. weil sie selber wegen dem oder jenem Lästerlein im Geschrei waren.

Aber warum, könntest du nun fragen, sind diese Herren Hochwürden ins nämliche Loch mit dem Priester und Levit von Jericho eingethan? Das will ich dir sagen. Sieh, wenn einer ein Sünder ist, so liegt seine Seele gleichsam schwer verwundet da und geht dem ewigen Tode der Verdammung entgegen. Der Sünder liegt aber nicht am Weg, wo der Pfarrer vorbeigeht, sondern er liegt dem Pfarrer vor der Thüre heute und morgen und jahrelang: nämlich in der Gemeinde, über die der Pfarrer gesetzt ist. Ja, der Pfarrer ist gerade deswegen zum Seelsorger ordinirt, daß er Sünder errette und heile. Wenn nun einer ein fauler Pfaff ist, so hat er es noch viel ärger gemacht, als der Judenpriester: er sitzt mitten unter den halbtodten Seelen, nährt sich von ihnen, und gibt sich doch keine Mühe, sie zu retten. Darum geht es ihnen in der Hölle entsetzlich schlimm. Ich wär's nicht im stand, ein passables Konterfei von einer Priesterhölle abzumalen; allein das kann ich sagen: Es ist alle-weil so ein besonderes, gar bedenkliches Sinnen und Ahnen, was in der Seele aufdünstet, wenn man vor einem Sarg und seinem Eingeweide steht; hingegen wenn ich einen geistlichen Sarg oder ein geistliches Grab sehe, d. h. einen Sarg oder ein Grab, wo der todte Leib, das Handwerksgeschirr eines Geistlichen drin liegt, da weht es mich oft unheimlich, entsetzlich unheimlich an, namentlich wenn ich nicht recht viel Gutes von dem Verstorbenen weiß. Und ich schleiche lieber an Grab und Gericht des Priesters vorbei und sage: „Gott sei seiner Seele dreifach gnädig, auf daß er durchkomme, wenn sich's noch thut. "

Du mußt aber jetzt nicht meinen, du dürfest mit dem Finger auf den und jenen Geistlichen deuten und sagen: „Der gehört auch dazu; er macht es auch so. " Du bist der Richter nicht, sondern Gott wird ihn richten; du aber ehre ihn seines heiligen Standes wegen, denn er ist geweiht, und Gott hat ihn dir gesetzt, und bete für ihn, daß ihn Gott erleuchte und führe, damit er ein guter Seelsorger werde, wenn er es bisher nicht gewesen ist. Das ist christlich.

Auf einem weiten öden Feld, auf dem kein Baum und kein Kräutlein zu sehen war, steht ein breitschulteriger feister Knecht mit einem fetten Kopf, die Hände so weich wie ein Federbett. Er steht da im Hemd, hat kein Werkzeug, die Erde ist hart gefroren, es ist Nacht; da soll er nun graben und pflanzen mit den Händen, wenn er Nahrung und Kleidung will. Die gute Jahreszeit und der Tag ist aber vorüber; und es wird, wo er steht, nie mehr hell und nie mehr warm. Darum hungert und friert er, und scharrt mit den Händen im Grund in alle Ewigkeit, und kommt nichts dabei heraus. Es ist der Knecht, welcher bei Lebzeiten das Talent seines Herrn in ein Schweißtüchlein gewickelt und vergraben hat, weil er niemals mit Arbeit und Schweiß etwas zu thun haben wollte. — Weithin sah ich zahllose Leute stehen, jeder auf seinem Viertel Ackerfeld die gleiches Schicksal haben wie der Knecht, weil sie es auf gleiche Weise gemacht haben. Sie stehen zwar auch nackend oder im Hemd da; aber man sieht es vielen am Ueberrest des Kopfputzes an, z. B. am Hut oder am Zopf, daß sie einmal in guten Umständen auf Erden gelebt hatten. Außerdem, daß viele Leute tractirt werden, wie der genannte Knecht, so bekommt jeder noch ein Extragericht, wie es eben seine Qualität mit sich bringt. Z. B. Kapitalisten, die sonst nichts in der Welt gethan haben, als die Zinsen ihrer Kapitalien gewissenhaft eingezogen und verzehrt: diese haben alle eine Null auf die Stirne eingebrannt, und bekommen alle Tage 25 mit ihrem eigenen Spazierstock auf die Flußsohlen und 25 auf die sammetweichen, mit Fett gepolsterten Hände. Denn, beiläufig gesagt, in der Hölle ist das Abstrafen am Leib noch nicht abgeschafft, wie in Frankreich, im badischen Reich und anderen aufgeklärten Ländern, wo bekanntlich kein Mensch etwas thut, was Schläge verdiente. — Es sind allda zu sehen Bürgermeister, welche alle Geschäfte, die nichts eintrugen, lieber für den Nachfolger aufsparten, wilde Ehen gelten ließen, Sonntag nachts von dem Unfug in Wirtshäusern nichts wissen wollten, Versäumnisse in Schule und Christenlehre unbestraft hängen ließen ec.; ferner Beamte, weil sie der Bequemlichkeit wegen, damit die Sache schneller abgethan wäre, unnöthige Eide dutzendweise wegen Kleinigkeiten anbefahlen, oder auch aus Bequemlichkeit wochenlang Un-schuldige sitzen ließen und die Untersuchung auf gelegenere Zeit hinausschoben; wieder andere waren schlechten, pflichtvergessenen Ortsvorgesetzten ein gar glimpflicher und holdseliger Herr, auf daß sie ihn liebeten und lobeten, wenn er fortkäme, und sein Lob in der Karlsruher und Landes-Zeitung sehr rührend verkündeten. Eine große Schar ließen sich anstellen vorgeblich als Christen (denn nur Christen können in unserem Land zu Aemtern und Würden sich melden1), ließen aber das ganze Jahr kein christliches Zeichen an sich blicken, so daß selbst   zuweilen ein hoffartiger

Schneidergesell oder Barbierer meinte, um einem Herrn gleichzusehen, müsse man nicht nur einen seidengefütterten Rock und gewichste Stiefel tragen, sondern auch nicht mehr in die Kirche gehen; so daß mancher Herr Amtmann in Kleidung und Religion seinem Barbierer oder dem Leipziger und der Babierer und Leipziger seinem Herrn Amtmann am Sonntag vollkommen gleich ist. Diese Menschen, denen die Religion ausgegangen ist, wie dem König Salomon zuletzt die Weisheit, halten nun Tag für Tag lange Procession mit allen denen, welche sie durch ihr schlechtes Beispiel verführt haben, und suchen die Pforten des Himmels. Weil aber der Vorhof, die Kirche ist, und sie die Kirche gemieden haben, so suchen sie, und suchen voll Angstschweiß, und ringen die Hände und klopfen an den glatten Mauern, ob es nirgends aufgeht; und es geht nirgends auf. — Es sind ferner da viele Schulmeister, die sich aber lieber Herr Ober-lehrer oder Professor tituliren ließen. Sie haben viel und hitzig auf Conferenzen gelärmt und Petitionen gemacht, daß der Lehrer des Volks mehr geehrt und gezahlt werden müsse und keinem, wer es auch sei, untergeordnet werden dürfe, dabei sind sie aber in der Schule lahm und schläfrig gewesen; und wenn dann das Kind nicht wußte, als es der Prüfung zuging, was der Präceptor oder meinetwegen Lehrer ungeschickt und undeutlich vorgeschwätzt hatte, so bekam es viele und schwere Streiche. Andere brauchten allerlei Kniffe, damit es der Schulvisitator nicht merke (besonders wenn es einer war, dem es mit dem Essen pressierte), wie mager und schief es mit der Schule aussehe. Die werden von dem großen Pädagog und Kinderfreund Moloch nach einer ganz neuen misanthropischen Methode in den Anschauungsunterricht genommen. — Ferner trifft man viele in der Hölle an, die man zu Lebzeiten oft auf den Promenaden und den Spielhäusern der Badeorte wandeln und stehen sehen konnte: M a d a m e n und Herren aus Rußland, Paris, England und dem Deutschen Reich. Sie sind alle Jahre in das Bad gereist, um ihren kostbaren Leichnam zu baden und sich zu erholen von dem schweren Müßiggang, welchem sie im Winter obgelegen sind. Sie liegen hier stets im Schlamm und Schwefelbädern; das Schlimmste ist nur, daß der Schwefel brennt und die Schmerzen nicht vertreibt. — Mitten unter ihnen, wie wenn sie ihresgleichen wären, bewegen sich Handwerksleute, Gesellen, Taglöhner, Dienstboten, die alles lieber trieben, als arbeiteten. — Doch mag ich mich mit ihnen nicht afhalten und will nur noch von einer besondern Gattung reden. Es sind gar brave, stille Leute, die nie vor Amt gewesen und fast nie in einem Wirtshaus gesehen sind worden, rechtschaffene Leute, was rechtschaffen heißt. Diese sind, jeder apart, in einen engen Käfig gesperrt, und ein schwarzes Tuch ist darüber gehängt. Kein Mensch und kein Teufel bekümmert sich um sie oder sieht nach ihnen. Das sind Leute, die ganz ehrbar und sittsam lebten, jeden Sonntag in die  Frühmesse gingen, jedes Jahr ihre Ostern machten, ihre Sach sorgsamlich zusammenhielten, die Leute gehen ließen, sich mit niemanden abgaben. Sie haben sich um keinen Menschen bekümmert außer dem Haus, haben niemanden geliebt und wohlgethan, als nur sich allein; das haben sie aber, nämlich sich geliebt und gütlich gethan, von ganzem Herzen, ganzer Seele, ganzem Gemüth und aus allen ihren Kräften. Sprach sie jemand um eine Gefälligkeit oder Hilfe an, so hieß es: „Lumpenpack, Bettelvolk, sollen auch hausen wie unsereins!" und kehrten den Rücken, und sparten viel Geld und Gut zusammen, so daß bei ihrem Tod viel über-flüssiger Reichthum da war. — Doch jetzt ist es genug.

Das sind nun freilich nur Schattenbilder, gleichsam Träumereien bei offenen Augen gewesen; aber es sitzt dahinter ein schwerer, gründlicher Ernst, der kein Traum ist, sondern ewig feste Wahrheit, und stehen bleibt wie der Berg, wenn der Nebel und die Wolke von seinem Gipfel weichen. Die Wahrheit ist die: daß alle jene Leute, die ich wie in einem Guckkasten dich sehen habe lassen, vor Gott nicht bestehen werden; und hinter dieser Wahrheit steht noch die andere: daß man zum Nichtsthun und Bleibenlassen überhaupt nicht auf der Welt ist. Wer auf Erden nicht nach Kräften wirkt, oder nur arbeitet für sich und die Leibesverwandten, für sein Pläsir oder seinen Nutzen oder seine Reputation, der ist ein schlechter Knecht; und wenn der große Hausmeister über Himmel und Erde Zahltag hält, so läßt er einen solchen Knecht hinauswerfen in die äußerste Finsternis, wo Heulen und Zähneknirschen ist. Wenn du mir es nicht glauben willst, so schlag nach in der Heiligen Schrift, Lucas, Kapitel 19, Vers 20.

Anmerkung und Warnung. Sei nicht dumm und nicht boshaft. Dumm und boshaft bist du aber, wenn du das Gelesene so auslegst, als seien die Angestellten, die Geistlichen, die Reichen, die Eingezogenen, die Schneidergesellen und Barbierer, die Schulmeister a l l e s a m t nichts nutz, oder doch die meisten. Es gibt in jedem Stand brave und pflichtvergessene Leute, und unser Herr Gott wird sie schon einmal zu sortiren wissen: deine arme Seele wird aber bei der letzten Untersuchung auch nicht vergessen werden; merk dir's.

1 Das ist ganz anders geworben, seitdem man in den sechziger Jahren die Juden vollständig emancipirt hat, anstatt das arme Christenvolk auch nur ein wenig von den Juden zu emancipiren Der Jude kann nicht mehr bloß Advocat ober Arzt  werden, ihm stehen jetzt alle Stellen offen bis hinauf zum Minister.

Anm. d. Herausgeber.

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August.

 

Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe stoßt die Furcht hinaus.

Johannes der Evangelist.

 

Ich möchte nicht, daß du vom vorigen Monat gerade ohne Absetzen in diesen herüberläsest; du möchtest sonst die rechte Stimmung nicht haben. Denn ich komme jetzt an die Liebe Gottes.

Diese ist wunderbar und heilig, und selbst der Tod wird schön und lieb in ihrem Licht. Aber so Schön und himmlisch süß die Liebe Gottes ist, so macht es mich fast schwermüthig, da ich davon Schreiben will. Und es wäre vielleicht besser, ich legte Feder hin und würde selber beten um die hohe Liebe Gottes als daß ich beschriebe, was sie ist. wenn dir die himmlische verklärte Gestalt der heiligen Jungfrau in einem süßen Träume erschienen wäre, oder wenn du die Sonne am blauen Himmel flammen siehst, und man würde dir viele Farben hinlegen, du solltest Maria ober die strahlende Sonne nun malen: würdest du da nicht kleinmütig verzagen und Sprechen: Ich kann nicht? So mag es kaum ein geträumtes Bild sein, was ich für Liebe Gottes ansehe: wie vermag ich sie mit Tinte und Worten auf das Papier hinzumalen? Darum nimm vorlieb, du Leser, einer Schlechten Zeichnung.

Die Liebe Gottes ist kein Geseufze und keine Frommthuerei; sie ist nicht die Einbildung mancher Leute, welche die Zunge voll Liebe und Demuth haben, das Herz  voll Stolz und Haß die gern davon Sprechen, wie Sie ihren Heiland im Herzen tragen, aber  im Herzen nur  sich  selbst und  ihre eingebildete Tugend anbeten und belecken. Ihre Seele ist süßbitterlich und bittersüßlich, wie klebriger Mannasaft vom Apotheker. Wenn einer die rechte Liebe Gottes hat (und es gibt nur eine einzige), wenn dieser schöne Morgenstern in der Seele aufgegangen ist: so steht der Gedanke an Gott, wie ein heiliger Engel, schon früh vor dem Bett und wartet, bis du aufwachst, um deine Seele zu grüßen und zu küssen mit ernstem, edlem Morgenkusse.

Und von diesem Kusse, von diesem Morgengedanken an Gott wird es dir so wohl und so fromm im Gemüth, daß du gleich beim Aufwachen im Bett niederknien, danken und anbeten möchtest, wie wenn dich Gott gerade jetzt erst aus nichts erschaffen hätte zum Sein und Leben wie Adam, da er aufstand von der Erde, mit dem Gotteshauch in der Brust.

Bist du dann aufgestanden, so weißt du kein wichtigeres Geschäft, als daß du betest zu dem, der dir neue Kräfte während des Schlafes in Leib und Seele gelegt hat, und dir jetzt einen neuen Tag Schenken will. Und weil du ganz und von Herzen Gott gehören willst, so fragst du, wie das brave Dienstbot seiner lieben Herrn: „Herr, was willst du, daß ich jetzt thue?“ Und sieh, wenn du redlich und willig so fragst, gibt dir der Herr eine deutliche und bestimmte Antwort durch das Gewissen: es fallt dir ein, was du thun sollst. Weil dir aber die Liebe Gottes in der Seele glüht, darum kommt es dich nicht schwer an, Gottes Gebote treu zu halten und vor seinem Auge alles zu thun, was ihm wohlgefällig ist. Gottes Wille wird von dir so freudig auf Erden gethan, wie im Himmel von den Engeln. Sein Joch ist süß und seine Bürde leicht. Ja, in wem einmal die Liebe Gottes recht hoch flammt, der sagt, wie schon manche Heilige gesagt haben: „Wenn neben mir die Sünde und auf der andern Seite die Hölle wäre, und ich müßte von beiden Wählen, so würde ich lieber mich in die Hölle Stürzen, als Gott beleidigen. " Das heißt mit anderen Worten: Wer Gott recht liebt, dem gilt Gott mehr als der Himmel, und er würde auch Gottes Gebote halten, wenn es nicht einmal einen Himmel oder eine Hölle gäbe. Er spricht aus innerstem Gemüthe: „Mein Gott und mein Alles!" und wenn er so spricht, durchglüht Seine Seele eine heilige Wonne, wie ein Lichtstrahl den reinen Krystall. Wie die Sterne erbleichen, je mehr die Sonne und der Tag am frühen Morgen aufsteigt, so verschwindet alle Liebe zu Geld,  zu Vergnügen, zu Menschenehre u. dgl. mehr und mehr, je stärker und höher die Sonne der Liebe Gottes in der Seele aufgeht. Darum ist bei dem Liebhaber Gottes kein Geiz, kein Betrug kein Lügen, keine Unzucht, keine Völlerei, keine Prahlerei. kein böser  Zorn zu finden. Wohl bleibt der Gottliebende noch ein Mensch und fehlt auch alle Tage; aber seine Sünden gleichen dem Hauch des Mundes auf glänzenden guten Stahl: einen Augenblick trübt der Hauch den Stahl; bald aber Schwindet er und ist nicht im Stand, den Stahl rostend zu machen. So sündigt jener aus Schwachheit, Uebereilung, Unbesonnenheit; aber er sündigt nie schwer, nur augenblicklich, und es reut ihn gleich nachher bitter. Darum mag wohl seine Seele öfters dadurch getrübt werden., aber in Schneller Reue und kräftiger, neu angefachter Liebe stellt sich ihr Glanz wieder her und behält feine Flecken an sich. Ja, es ist ein süßes Leben, in der Liebe Gottes Zu leben. Wie holde Engel, So Schweben um einen Solchen Menschen in Haus und Feld und überall fromme Gedanken, Gedanken an Gott und Gottes Gedanken an ihn, und kommen ihm in den Sinn: heute lieblich, morgen^ ernst; einmal mahnend, zu anderer Zeit tröstend; schön und heilig aber jederzeit.

Wie gern und innig hört er dem Worte Gottes zu; wie viel erinnert er sein Kind an den lieben Gott, und lehrt es Ehrfurcht und Liebe zu ihm haben; und wenn er mit den Kindern betet, wie leuchtet ihm heilige Andacht aus dem Antlitz! Wohl hat auch jede Liebe aus Erden ihren Schmerz. Aber weil die Gottesliebe göttlich ist, So ist auch ihr Schmerz edel und göttlich. Wenn du siehst, daß andere Gott verachten, Böses reden und Böses thun, so schimpfest du nicht über die Gottlosigkeit der Welt; aber es drückt dich und thut dir sehr weh, und wo es sich thun läßt, bittest und mahnest du ab mit Sanftmüthigem Schmerz; und deine Seele weint innerlich und ruft klagend zum Himmel: „zukomme uns dein Reich!"

Aber du hast viele Freuden auch und Trost in der Liebe Gottes. — Beschert dir Gott irgend ein Glück und Freude, und fei eS auch nur eine kleine, So kommt sie dir gar lieblich und hold vor; denn du freuest dich mehr, als über das Gute, das du bekommen, über den Guten, der es dir gegeben hat. Wenn du Z. B. am Mittagessen sitzest, So schmeckt dir nicht das am besten, weil das Kraut gut gekocht ist, und ein Stück Fleisch drin liegt und frischgebacken Brod dabei; sondern das ist dir das rechte Gewürz zu deinem Essen, die Erinnerung: „Das schickt mir jetzt wieder Gott, um mir jeden Tag recht handgreiflich zu zeigen, daß er an mich denkt, für mich sorgt und mich lieb hat. " Die Liebe Gottes ist in dem Brod und Kraut und Fleisch verborgen, und scheint stark durch, wenn einer gute Augen hat. Denn wie das Auge die Farbe nicht sehen könnte, wenn es nicht selber etwas Lichthaftes und Farbiges in sich hätte, so sieht auch nur der die Liebes Gottes überall durchblinken, der selber Liebe in Sich hat. Und du fürchtest nichts, wenn die Leute reden vom Nervenfieber, Hungersnoth, Mord und Brand, Hexereien und Kriegsgerüchten. Wenn du es auch in der Bibel noch nicht gelesen hast, so weißt und fühlst du doch recht bestimmt: „Alle Haare eures Hauptes sind gezählt"; und: „Denen, die Gott lieben, gereicht alles zum besten. " Trifft dich dann wirklich Leid und Ungemach, so bist du wohl noch im stand, daß du unter Thränen lächelst und Gott dafür dankst herzinniglich überzeugt, daß es Gott, auch wenn er Trübsal schickt, ganz gewiß gut mit dir meint. Es hat einmal einer von der Art (Hiob), da ihm gemeldet wurde, seine Herden seien geraubt, das Haus verbrannt, die Kinder ums Leben gekommen, einfach gesprochen: „Der Herr hat es gegeben, der Herr hat es genommen, der Name des Herrn sei gebenedeit. "

Da ich so von der Liebe Gottes schrieb, fiel gerade mein Geburtstag ein. Ich ging abends, vor der Stunde, wo ich geboren worden war, auf den Kirchhof, und wollte daselbst meine Geburtsstunde halten. Es war ein sehr großer Kirchhof, mit zahllos vielen Kreuzen und Grabsteinen besetzte — und ich war der einzig Lebendige auf diesem weiten Todtenfeld. Wie die Dämmerung über die Erde, so senkte sich eine leise Schwermuth über meine Seele. Ach so kam es mir, wieviel Schmerz und Angst und Stöhnen und Todesschweiß hat es gekostet, bis alle diese Gräber angefüllt waren! Und hätte man alle Thränen beisammen, die um die Tausende von Todten hier geweint sind worden bei ihrem Sterben und nach ihrem Sterben, welch eine große, heiße, bittere Fluth wäre dies, ein unendlich trauriger See. Ich ging langsam weiter, und es führte mich an den Grabstein eines Pfarrers. Ich blieb stehen; düster flog mich der Gedanke an: Wie wird dieser die Verantwortung drüben ausgehalten haben, die Verantwortung über so viele, die noch leben und die schon gestorben sind? -- Und ich kam an den Grabstein eines Rechnungsbeamten. Wohl mag der recht gerechnet haben, und weniger bedenklich war sein Amt. Aber könnte er sich nicht verrechnet haben in betreff seiner Seele? Wenn einer gutes Einkommen, Ansehen und behagliches Leben hat, so geschieht es leicht, daß ihm das Leibesleben gar zu lieb wird und seine Seele nur auf der Erde kriecht. Muß er dann sterben, so ist seine Seele nackt und ärmlich, wie die paar Knochen, die von seinem Leichnam zuletzt noch bleiben. Und es muß ihr dort drüben so elendig zu Muth sein, wie wenn man einen feuchten Erdwurm aus dem schwarzen Grund herauszieht und er kann nicht mehr Zurück. -- Und dann erst noch das Gericht über alles, was er auf Erden gethan und nicht gethan hat!

Da wollte es mir sehr schwer und schauderhaft vorkommen, Mensch zu sein, sterben und sich verantworten zu müssen, und ein ewiges Urtheil anzuhören. Aber sieh, — wie wenn in finsterer Nacht die Wolken sich theilen, und durch ihren Riß aus tiefem Himmel ein klares Sternbild herunterstrahlt; und wie in der Christnacht den Hirten ein schöner freundlicher Engel erschien und die frohe Botschaft brachte: so leuchtete auf einmal ein klares himmlisches Licht tröstlich durch die dunkeln Wolken, die meine Seele durchzogen hatten. Es war der Gedanke: In wem die Liebe zu Gott recht entschieden und stark erwacht ist, der hat ein Leben in sich, über das der Tod keine Gewalt hat. Der Tod kann ihm wohl auch, wie den anderen, den Leib abstreifen; es thut ihm aber nicht stark weh; denn seine Seele hält nicht den Leib umklammert als ihr höchstes einziges Gut, sondern ist in Gott gegründet im Leben und im Tod. Heißt es im Hohen Lied Salomonis im Alten Testament: „Die Liebe ist stark wie der Tod", so heißt es im Neuen Testament: „Die Liebe ist stärker als der Tod. " Und auch mit dem Gericht hat es keine Noth mehr; der Heiland sagt von einem solchen Menschen: „Er kommt nicht in das Gericht, sondern ist vom Tod in das Leben hinübergeschritten. " Die Liebe ist ein Harnisch von Stahl gegen den Stachel des Todes und ein sicherer Blitzableiter gegen das Verdammungsurtheil bei dem Gericht. Darum schaudert die liebende Seele nicht vor dem Sterben, und schaut dem Tod kühn in das Antlitz. Ja, wenn die Liebe größer und größer im Herzen flammt, so kommt es ihm zuletzt wie dem Handwerksburschen, der lang und weit in der Fremde umhergeirrt ist. Er sehnt sich, heimzukehren und bei den lieben Eltern Zu sein. Und wenn er auf dem Heimweg nach mühevollem Wandern endlich den letzten Berg erstiegen hat und sieht das Kreuz vom Kirchthurm des Vaterorts, da hat er Mühe und Weg vergessen, und die Blasen an seinen Füßen hören auf zu schmerzen; denn sein Herz jubelt und freut sich in großer, un-endlicher Freude. Der letzte Berg ist die letzte Krankheit: mag diese auch hart mit deinem Leibe verfahren, du schlagst es nicht hoch an, wie Stephanus die Steinwürfe auch nicht mehr viel achtete, als er den Himmel offen sah.

Das wäre nun wohl recht und gut, denkt man dabei; aber wie soll ich zu einem so freudigen Lieben und Leben in Gott kommen, das einen gefeit und fest macht gegen den Tod? — Vielleicht finden wir auch das. Du wirst schon manchmal in der Seelenmesse gewesen sein. Beim Evangelium (die Leute stehen davor auf; denn es sind Worte Gottes) sagt oder singt der Priester den Ausspruch Christi: „Ich bin die Auferstehung und das Leben; wer an mich glaubt, der wird leben, wenn er auch stirbt; und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird in Ewigkeit nicht sterben." Was das Nichtsterben ungefähr heißen will, daran habe ich schon oben herumgerathen. Aber dieses Evangelium sagt auch ganz deutlich, daß ein solches Leben und Lieben zu finden und zu haben ist bei Christus. Dort mußt du es suchen, er kann dieses himmlische Feuer in dir anzünden. Bitte ihn jeden Tag darum: um etwas Herrlicheres, um ein größeres Gut kannst du nicht bitten, als um die Liebe Gottes, oder um den Geist Christi, oder um den Heiligen Geist; ist alles eins. Bitt aber recht zudringlich und ungestüm: du erzwingst es dann sicherlich. Aber noch mehr, bitte nicht nur von weitem, son­dern tritt näher zu ihm, daß vielleicht dein kaltes Herz an seinem von Liebe glühenden Herzen erwärme. Wie ist das gemeint?

Als ich vom Kirchhof zurückkehrte, ging ich durch eine Straße, wo ein altes Kapuzinerkloster steht; ihm gegenüber ist in einer Vertiefung hinter einem Gitter das Abendmahl des Herrn in Lebensgröße von Stein gebildet. Eine Person zündete darin Lichter davor an; und vor dem Gitter knieten zwei Frauen und ein Jüngling und beteten. Hat mancher Traum seine Bedeutung, so haben auch die Begegnisse im Wachen ihre Bedeutung. Besinn dich hier selbst um die Auslegung. Doch will ich dir den ersten Buchstaben davon sagen; nämlich in einer andern Seelenmesse spricht Jesus: „Ich bin das lebendige Brod, das vom Himmel kommt; wer von diesem Brode ißt, der wird ewig leben. Wer mein Fleisch ißt und mein Blut trinkt, der hat das ewige Leben, und ich werde ihn am letzten Tag erwecken." Geh oft und würdig vorbereitet zum heiligen Abendmahl, sonst kann keine lebendige Liebe und kein liebendes Leben in dir gedeihen. Wenn man nach Gold graben will, so muß man von oben langsam; und mühsam einen Schacht graben, und darf sich viel Geld und lange Mühe nicht verdrießen lassen. So muß man umgekehrt, wenn man das Gold der Liebe Gottes finden will, von unten nach oben graben vom Herzen nach Gott, und darf sich die Mühe und Zeit nicht verdrießen lassen. Schaff die Erde und den Schutt der Anhänglichkeit zum Zeitlichen auf die Seite, und ring in gerader Richtung, stets dein Leben nach den Geboten Gottes einzurichten; und gewiß, bald wirst du Lust und Licht über dir erblicken — Gottes schönen blauen Himmel. Hör jetzt auf zu lesen, und erwäg, was du gelesen hast, und was du thun willst; vielleicht haltest du es doch für der Mühe werth, etwas zu thun. Denk an den Schatz im Acker und an die Perle, um die der Kaufmann im Evangelium alles darangesetzt hat. Was sonst noch kommt in den anderen Monaten, ist zwar lauter Auslegung, was die Liebe Gottes außerdem in sich habe., hör aber jetzt doch auf, weiter zu lesen, ob dir etwa noch mehr einfallt, als da geschrieben steht, und dir der Schutzengel etwas darüber ins Ohr sagt. Kannst ja morgen oder sonst einmal weiter lesen.

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September.

 

Wer da sagt: ich liebe Gott,

und hasset seinen Bruder, der ist ein Lügner;

denn wer seinen Bruder nicht liebt,

den er sieht, wie kann er Gott lieben, den er nicht sieht?

                                                                      Der nämliche Johannes.

 

Gibt's auch Betschwestern in eurem Ort? Wenn du noch keine gesehen hast, so will ich dir sagen, was das für ein Ding ist. Vorerst aber Respect vor allen Leuten, die mit Religion und Frömmigkeit es sich Ernst sein lassen, und das nicht als eine Nebensache, sondern als eine Hauptsache ansehen. Heiß mir die nicht Betschwestern, sonst bist du aus dem Weg, auch die Apostel und die Mutter Gottes und den Heiland selbst zu lästern. Eine Betschwester ist eine Person, welche die Frömmigkeit nicht im Herzen hat, sondern nur als Mantel umhängt und wie eine Kapuze über den Kopf zieht. Sie ist viel zu sehen in auswärtigen Kirchen und auf Wallfahrtswegen: da läßt sie fromme Seufzer fahren, daß man es einige Schritte weit hört.

In den Kirchen legt sie es stark an den Tag, wie fromm sie sei: verdreht die Augen, hält das Haupt Sehr krumm, und holt weiter aus, wenn Sie auf daß Herz klopft, als andere katholische Christen. Sie geht sehr oft zur Beicht, und weiß wohl vielerlei, aber nicht viel zu beichten. Zur Uebung der Demuth erzählt sie auch anderen Leuten, was sie gebeichtet habe, zum Exempel: sie habe während des Gebetes eine Anfechtung von Zerstreuung bekommen, aber gleich wieder dagegen gestritten; zweimal habe sie auch, da sie im Wald Holz holte und nicht läuten hörte, den Englischen Gruß vergessen, sie habe es aber später beim Nachtgebet noch verrichtet; sie habe einige Tage fühlbare Trockniß im Gebet verspürt; sie habe Unwillen gehabt über die Sünden und bösen Reden der Nebenmenschen, und sich den Tod gewünscht, um aus der argen Welt hinweg zu kommen und bei den lieben Engelein und Heiligen zu sein; sie habe Gott nicht genugsam gedankt, daß er sie aus so vielen Tausenden, die verloren gehen, Zu einem Gefäß der Auserwählung gemacht habe; man habe ihr von allen Seiten Unbild und Unrecht angethan, sie überlafSe aber Gott die Vergeltung; ob das auch eine Sünde sei: sie habe am letzten Quatembermittwoch mit Gänseschmalz geschmälzt, weil sie nichts anderes gehabt und nicht gewußt habe, daß es Quatember sei u. s. w. — Wenn aber ein Beichtvater sich herausnimmt, ihr auf eine Art zuzureden, als hätte sie nöthig7 sich ernstlich zur Demuth und Liebe zu wenden: so gibt sie ihm grobe Reden, und sucht einen andern auf, der sie und ihre Vollkommenheit versteht und zu schätzen weiß. In ihrer Kammer, da ist die Wand ganz überzogen mit Heiligenbildern, und wenn sie jemand die Stiege heraufkommen hört, greift sie nach dem Rosenkranz oder dem Palmgärtlein, auf daß Sie im Gebet angetroffen werde und gutes Beispiel gebe. Ueber die Geistlichen muß sie größtentheils auch schwere Seufzer ausstoßen: der eine hat eine Weste an, die keinen geistlichen Schnitt hat; des andern Rock ist nicht lang genug; der dritte betet: "Dein Reich komme zu uns", statt; „Zukomme uns dein Reich"; der vierte laßt sich im Beichtstuhl nicht genugsam in Seelenbedrängnisse ein — und gar viele sollten weniger Schullehrer sein und mehr mit heiligmäßigen Personen Umgang pflegen. Da war es doch ganz anders, als sie noch jung war. — Von ihren Geschwistern und Verwandten hat sie sich ganz losgesagt; denn sie wissen doch die Gottseligkeit ihrer Schwester nicht gehörig zu schätzen; und statt ihr nachzuwandeln, haben sie sogar sich herausgenommen, sie zu tadeln. Sie hat nur ein paar Freundinnen im Herrn, bei denen sie ihr volles Herz ausleert — in Schimpfen, Tadeln, Ehrabschneiden und Verdammen aller derer, die nicht zu ihr halten und sie lobpreisen ob ihrer übermäßigen Gottseligkeit. Und ist sie allein in ihrem Kämmerlein, so wimmelt es in ihrer Seele von neidischen, hochmüthigen, schadenfrohen, verfluchenden Gedanken und Wünschen. Das heißt man eine Betschwester.

Jetzt will ich dir auch sagen, was die im September zu schaffen hat. Du könntest die Liebe verspalten wollen, und auf den ungeschickten Gedanken kommen, man könne Gott separat lieben ohne den Nebenmenschen, und meinen, das sei dann hinlänglich. Das sollst du nun lernen von der Betschwester, daß, was sie treibt, so wenig echte Liebe Gottes ist, als ein Affe oder ein Pudelhund, mit einem rothen Röcklein angethan, ein Mensch ist. Gott vermeintlich lieben und den Nebenmenschen hassen, ist eine Religion, die vor dem himmlischen Vater nicht wohl riecht, sondern das Gegentheil thut vom Wohlriechen. Dal hat auch der Herr auf feine Art gesagt, indem er die Bet-Schwesterschaft der Pharisäer übertünchte Gräber nannte, in denen es bekanntlich stinkt. Und daß die Liebe zum Nächsten die Rechnungsprobe ist, ob einer Liebe zu Gott habe, das hat Gottes Secretär oder Geheimschreiber in die Bibel hineingeschrieben für ewige Zeiten zum Andenken, daß es ein jeder lesen könne. Im Vorspruch des September stehen seine Worte; lies sie noch einmal, und dann horch, wie ich dir die Auslegung mache.

Wenn du an einem Crucifix, vorbeigehst und ziehst auch den Hut gerade nicht davor ab, weil dergleichen alte fromme Sitten in eurem Ort ausgegangen find, so wirst du dir doch nicht ge­trauen, Flüche und Lästerworte gegen das Crucifix. abzustoßen, oder gar mit Koth und Steinen danach zu werfen; du müßtest nur schon den lebendigen Teufel und einen höllischen Ingrimm gegen Christus im Leib herumtrugen. Das Crucifix. ist zwar nur von Holz oder Stein; aber es ist doch das Bildniß deines Herrn. Nun weiß ich aber ein viel kostbareres Bildniß des Herrn, nicht von Holz oder Stein, sondern gar sein und kunstreich zusammengesetzt aus Fleisch und Blut, und inwendig aus Odem Gottes; und das Bildniß ist lebendig, sieht und hört und spürt es, ob man gut oder bös mit ihm umgeht. Du wirst merken, was ich meine: es ist der Mensch. „Gott erschuf den Menschen nach seinem Ebenbild, nach seinem Gleich­bild erschuf er ihn. " So heißt es im ersten Buch Mosis. Darum nimmt es Gott hoch auf, wenn du das Bildniß, welches er selbst nach seiner großen Kunst verfertigt hat, hassest und schimpfest, und setzt es dir an für eine schwere Sünde. Das kann man lesen in der Bergpredigt, die unser Herrgott selber gehalten hat; dort spricht er: „Ich aber sage euch: Wer über seinen Bruder zürnt, der ist des Gerichtes schuldig; wer zu ihm sagt: Raka, der ist des Hochgerichtes schuldig, und wer zu ihm sagt: Du Hund, der ist dem höllischen Feuer verfallen. " Achte und ehre darum einen jeden Menschen, Gott zulieb und Gott zu Ehren. Wenn auch das Bildniß Gottes in manchen Leuten arg verzerrt und ver­unstaltet ist durch die Sünden und Dummheiten, so darfst du sie deshalb doch nicht hassen und verachten. Ist ja manches steinerne Crucifix, am Weg auch übel zugerichtet vom Steinhauer; aber man besieht das nicht so genau und hält es doch in Ehren, weil man weiß, was es bedeutet.

Oder auf eine andere Art: Wenn du ein Kind weit weg in der Fremde bei einer Herrschaft in Dienst oder in der Lehre hättest, und dein Kind würde krank, Schwer krank, und die Meisterschaft wären harte Leute, denen ihre Kuh im Stall oder ihr Mops hinter dem Ofen mehr am Herzen liegt als der Nächste, sobald sie keinen Profit von ihm haben, und sie würden darum dein krankes Kind zum Hause hinausschaffen — die Polizei mag es auf dem Schub fortführen in seine Heimat; ob die Krankheit ärger werde auf dem Weg, oder ob es auf dem Weg vor Kälte, Regen und Wind sterbe, was liegt ihnen daran in ihrer warmen Stube! — wie wär's dir? Möchtest du da nicht laut weinen vor Schmerz und Mitleid und Zorn ? — Umgekehrt, wenn dann in der Nachbarschaft ein Mann oder eine Frau oder alle zwei ein Menschenherz in sich trügen, und würden zu einander sagen: „Du, wir haben auch Kinder, und wissen nicht, wie es ihnen einmal gehen wird; wir wollen den armen Tropf zu uns nehmen und an ihm Barmherzigkeit thun, bis er wieder seinem Brod nachgehen kann"; und die Leute thäten so, wie sie zu einander geredet haben: was jagtest du da, wenn du es erführt? Wie würde da deine Seele schwellen vor Rührung, Liebe und Freude, und möchtest diese Leute ans Herz drücken und küssen, und gäbest dein Leben für sie, wenn es darauf ankäme! Sieh, nun ist Gott der große und liebevolle Vater, und auch das Dienstbot und die Wittib und das mutterlose Kind und der Handwerksbursch und der Lehrling und die armen Leute, die bei dir im Hauszins wohnen oder dir schuldig sind und nicht zahlen können, und der Feind, alle diese sind seine Kinder, und Gott hat einen jeden von diesen gerade so lieb, wie wenn das sein einziges Kind wäre. Darum sieht Gott stark darauf, wie du gegen sein Kind, deinen Nächsten, dich aufführst, und hat dir sagen lassen, du sollst ihn, deinen Nächsten, lieben, wie dich selbst. Hast du nun Gott lieb, so zeig's. Ihm kannst du nichts Gutes thun, aber seinem lieben Kind, dem Menschen, dem nächsten besten. Das gefallt Gott gar wohl; und mancher ist arm und krank und traurig um dich herum, damit du Gelegenheit habest, zu zeigen, ob du Gott liebest und wegen Gott auch den Armen, den Kranken und Traurigen, und ob du darauf denkest, ihm seinen Zustand leichter zu machen. Wenn du es aber nicht so machst, d. h. wenn du nicht aus Rücksicht auf den vornehmen Vater des Menschenkindes gut gegen dasselbe bist, so bist du ein unverschämter Lügner vor dem allwissenden Gott, wenn du dir einbildest und herbetest als liebest du ihn. Und wenn du bei der Wandlung sagst: „Jesus, dir leb ich! Jesus, dir sterb ich! Jesus, dein bin ich lebendig und todt!" und klopfst dabei auf dein Herz, das kalt wie eine Schlange und hart wie ein hagebuchener Knorren ist: so lacht der Teufel und Jesus kehrt sich mit Unwillen und Ekel von deinem süßlichen Heuchelgebet hinweg. Denn er hat gejagt: „Daran soll man erkennen, ob ihr meine Jünger seid, daß ihr einander liebet. " Wenn du aber einmal stirbst, so kommst du bei Gott übel an. Denk dir einmal, jene Leute, die so unbarmherzig dein armes krankes Kind zum Haus hinausgeschafft haben, kamen später zu dir auf Besuch, und wie wenn gar nichts geschehen wäre, grinsten sie dich freundlich an, und versicherten (holdselig lächelnd) dich auf ihre Ehre, was sie für große Hochachtung und grenzende Liebe gegen dich hätten, und würden dir die Hand drücken, und wollten sich bei dir einquartieren: würdest du da nicht ein gewaltig finsteres Gesicht machen, und es kam dich an, du wolltest ihnen einen Tritt geben im Zorn und sie zur Thür hinauswerfen? Auf gleiche Weise wird es dir bei Gott gehen, wenn du im Tod vor ihn trittst und vorher auf Erden seinen Kindern lieblos begegnet bist. Gott wird dir freilich keinen Tritt geben, und wird dich auch nicht zur Himmelsthüre hinauswerfen; denn du kommst auf die Art gar nicht hinein. Aber was auf eins hinausgeht: es wird dir vorkommen, als mache dir Gott ein furchtbares Gesicht; es wird dir schrecklich vorkommen, wie den Juden am Berg Sinai, und wird mit folgenden Worten, die ich aus seinem eigenen Munde habe, dich andonnern: „Weg von mir, du Verfluchter, in das höllische Feuer, das dem Teufel und seinen Gesellen bereitet ist! Denn mich hungerte, und du gabst mir nichts zu essen; ich war Fremd, und du nahmst mich nicht auf; ich war krank, und du besuchtest mich nicht; ich war nackt, und du gabst mir keine Kleider. " Dann wirst du sagen: „Herr! wann habe ich dich hungrig oder fremd oder nackt oder krank gesehen, und habe dir nicht beigestanden?" Alsdann wird der Herr dir sagen: „Wahrlich, ich sage dir: Was du dem Geringsten nicht gethan hast, das hast du mir nicht gethan. " Und so bleibt es denn dabei: du mußt an den Ort, der dem Teufel und seinesgleichen bereitet ist. Wenn du mir aber nicht glauben willst, daß beim Gericht so Justiz gehalten wird, so schlag die Schrift auf: Matthäus 25. Kap., 41. Vers mit dem Rest.

Ich gebe dir deshalb den guten Rath: Wenn du das nächste Mal in die heilige Messe gehst, so klopfe bei der Wandlung nur wieder auf die Brust und sprich auch wieder die Worte: „Jesus, dir leb ich, dir sterb ich" u. s. w. Aber sorg vorher dafür, nämlich vor der heiligen Wandlung, daß du diese Worte herzhaft und mit gutem Gewissen sprechen kannst, ohne daß die Seele roth werden sollte ob einer Lüge; sorg dafür, daß du vorher um Jesu willen eine recht herzliche Liebe fassest zu jedem Menschen, auch zu den Verschwägerten und den Nachbarsleuten und dem Feind. Du darfst nur allemal vor der Wandlung die Worte recht zu Herzen nehmen, die Jesus bei der Einsetzung des Meßopfers gesprochen hat: „Ich gebe euch ein neues Gebot, daß ihr einander liebet, wie ich euch geliebet habe. " Und wenn du diese Worte recht erwogen hast, so gib im Geiste allen deinen Bekannten und allen, die mit dir zu thun haben, den Friedenskuß. Thue das allemal in der heiligen Messe, und geh fleißig hinein; es wird dir gewiß wohl bekommen.

Damit dir aber der Glaubenssatz von der Nächstenliebe nicht wieder abhanden komme unter dem Getös des Lebens, so will ich ihn mit einem Nagel, d. h. mit einer kleinen Historie, in deinem Kopf und Herz festnageln. Vorweg, es ist ganz gewiß wahr, was ich jetzt erzähle; man heißt es das Testament des hl. Johannes. Gib jetzt acht: Die Apostel sind alle zu Tod gemartert worden, abgerechnet den Judas, der sich selbst mit einem Strick zu Tod gemartert und ein Märtyrer des Teufels geworden ist, und abgerechnet den Sanct Johannes. Dieser ist sehr alt geworden und war in der Griechenstadt Ephesus so etwas wie ein Bischof. Da er aber schwach auf den Beinen und auf der Brust wurde, so setzte er sich nicht zur Ruhe. Denn wer einen Funken vom Heiligen Geist in sich hat, dem laßt es inwendig selber keine Ruhe: er will das letzte Restlein von Kraft nicht leer verrauchen lassen, sondern noch damit schaffen, und denkt: Zum Ruhen ist im Grab lange Zeit genug. Darum ließ sich der hl. Johannes auf einer Tragbahre an den Sonntagen in die Kirche tragen, um da mit der Gemeinde zu beten und ihr zu predigen. Du kannst dir denken, wie mäuslestill die Leute gehorcht haben werden, da der alte Priester, der heilige Apostel, der treue innige Freund und Liebling Jesu Christi, den Mund aufthat. Nicht wahr, du hattest auch recht aufgehorcht? Weißt du was, ich will dir die ganze Predigt von Wort zu Wort lesen lassen, wie sie der uralte Kirchenvater Hieronymus aufgeschrieben hat. Sie heißt auf deutsch: „Kindlein, liebet einander.“ Jetzt ist die Predigt schon aus. Gelt, eine so kurze hast du noch nie gehört? Nun, die Leute sagten, man kann einem schwachen Greise nicht mehr zumuthen, und sie hatten ein rechtes Wohlgefallen an dieser kurzen Predigt. Das nächste Mal, als wieder Gottesdienst war, predigte er das nämliche, nicht mehr und nicht weniger als die drei Worte: „Kindlein, liebet einander.“ Die Leute dachten: Es schadet gar nichts, wenn man es noch einmal hört. Das dritte Mal, da sie es wieder hören mußten, mag der eine oder der andere gesagt haben: Der alte Mann muß es vergessen haben, daß er dieses schon öfters gepredigt hat. Allein Johannes brachte auch das vierte und siebente und neunte Mal und allemal das nämliche wieder: „Kindlein, liebet einander. " Jetzt werden es alsgemach die meisten satt bekommen haben, immer dasselbe zu hören, und einige, weil sie wußten, daß er kein Fünkchen Hochmuth in sich habe und eine freimütige Frage nicht übel nehme, sagten es ihm geradezu, warum er denn nur einerlei predige, und sie immer zur Liebe ermahne. Da Sprach der heilige Apostel und Evangelist: „Weil das der Herr mir so aufgetragen hat; wenn ihr dieses thut, einander liebet, so ist es hinreichend.“ — Amen.

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O c t o b e r.

Barmherzigkeit überwindet das Gericht.

Der Schäfer.

Hast du recht behalten, was Sanct Johannes in der Stadt Ephesus alle Wochen gepredigt hat? und hast du es auch zu Herzen genommen? Merk dir aber wohl: wie die Liebe Gottes die Nächstenliebe im Herzen trägt, so hat die Nächstenliebe jedesmal auch eine starke Begierde in sich, den Menschen wohlzuthun. Da könnte einer nun kommen und sagen: „Ich habe gegen niemand nichts, es sind mir alle Leute recht; aber ich habe selber Frau und Kinder und Schulden dazu; da muß man sich wehren, daß man sich ehrlich durchbringt; ich kann niemanden was geben. „ Sollte man nicht meinen, man höre einen von den Rechtschaffenen im Käfig unter dem schwarzen Tuch? Wir wollen gleich das Brett anbohren, wo es am dicksten ist, am Geben. Bleib einmal stehen und schau mir klar in die Augen. Hast du denn wirklich gar nichts, was du geben könntest? Ich glaub es nicht recht; und du würdest mich schwerlich gern bei dir visitiren lassen. Hast du aber heute in Wahrheit nichts, so hast du doch vielleicht übermorgen, oder über acht Tage, oder doch im Herbst etwas. Wenn ihr Butter macht, so könnet ihr wohl etwas davon den armen Nachbarsleuten zukommen lassen, die keine Kuh und nichts zu schmalzen haben. Oder  wenn ihr Wein oder Frucht oder ein Schwein verkauft, so würdet ihr ein paar Zehner gar nicht inne werden, wenn ihr sie gleich vom Erlös besonders legen würdet, um damit einem armen Kranken Weißbrod und ein halb Pfund Kalbfleisch hie und da zu kaufen. Die Landstände haben zwar Groß- und Kleinzehnten abgeschafft, den man sonst der Herrschaft oder dem Pfarrherrn geben mußte; aber unser Herr Gott läßt sich in sein Sach nichts von Landständen dreinreden, und hat bis auf den heutigen Tag den Armenzehnten nicht nachgelassen, nämlich daß man einen ansehnlichen Theil den Armen jedesmal schenke, so oft er einen im Feld oder Gewerb oder auch im Erb gesegnet hat. Und Gott ist in diesem Stück genau und sieht stark darauf, wenn da einer seine Schuldigkeit nicht thut. Frag nur den reichen Prasser.

Du wärest auch nicht still dazu, wenn  du deinem Büblein einen Zwanziger gäbest, er solle es der alten Bettelfrau, die nicht mehr gehen kann, bringen, und das Büblein ginge damit zum Krämer und that Zuckerkandel und Rosinen kaufen und das Geld verschlecken. Du machst es aber gerade so, und bist ein Spitzbube wie dein Büblein, wenn dir Gott mehr gegeben hat, als du brauchst, und hat  einen Armen mit  seiner Noth in deine Nähe gesetzt; du aber verschleckst den ganzen Ueberfluß, oder legst ihn auf Zinsen, und besiehst den Armen und seine Noth nicht. Denn wie die Mutter dem Kind, das sich satt gegessen hat, ein Stück Brod gibt, um es dem Bettler vor der Thüre zu bringen, damit der Bettler Brod bekomme und  das  Kind auch Barmherzigkeit ausüben lerne und Theil daran nehme: so hat Gott auch dem Wohlhäbigen den Theil des Armen in die Hand gelegt, damit der Wohlhäbige es dem Armen bringe und so in Gottes Namen   und Auftrag Barmherzigkeit ausübe an dem Armen. Freilich jagt der Teufel des Eigennutzes gleich: „Du hast nichts Ueberflüssiges; was du jetzt nicht brauchst, das kannst du später noch brauchen", und ziehte einem die Hand wieder zurück, daß sie nichts gebe, und legt einem oft das gottlose Wort auf die Zunge: „Helf dir Gott!" Ueberleg's einmal — zupft es dich nicht am Aermel des Gewissens? Du dürftiger, eingeschränkter Mann, der du nichts hergeben kannst, gelt, du hast doch den Wirt zahlen können, wenn du an Fastnacht, Kirchweih, an Sonntagen und in der Stadt auf dem Markt dir auftragen hast lassen nach Herzenslust? Und du arme Magd! wie hast du denn doch das Geld aufbringen können zu deinem seidenen Halstüchlein und deinem taffeten Schurz? Der Krämer wird es dir auch nicht geschenkt haben.

Zur Zeit, wo es noch keine Christen auf der Welt gab, waren in Griechenland zwei Völker, die miteinander in guter Freundschaft standen. Es war aber Theurung über dem Lande, und eines von diesen Völkern litt Hungersnoth. Darum schickte es zu dem andern Volke um Hilfe. Die hatten aber selbst kaum das Nothdürftige. Was machen jetzt ? — Da wurde beschlossen, das ganze Volk, vornehm und gering, solle einen Fasttag halten und den ganzen Tag gar nichts essen. Selbst das Vieh bekam diesen Tag nichts zu fressen. Was nun auf diese Art in einem jeden Haus erspart ist worden, das legten sie zusammen und schickten es dem andern Volk, das Hunger litt. Was sagst du dazu? — Sieh, das waren nur blinde Heiden und wußten nicht, daß das größte Gebot heiße: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst", und haben das Gebot diesmal doch so schön von selber getroffen und ausgeübt. Ich will dir, dem Christen, nicht einmal so viel Menschenliebe zumuthen, daß du um des Nächsten willen hungerst. Aber du hast Bohnen, Kartoffeln, Mehl im Kasten, oder Speck im Kamin, und du würdest doch ausreichen, besonders mit dem Speck, du brauchst nur ein paarmal selber keinen Zu essen, wenn du den Armen davon gibst. Oder es liegt manches in deinem Haus herum, Strümpfe, ein altes Halstuch und dergleichen Zeug, das einem andern wohl und euch nicht weh thät. Such aber nicht allemal gerade das Schlechteste für den Armen heraus; denn du müßtest dich doch gewaltig schämen, wenn der Herr Jesus beim letzten Gericht vor allem Menschenvolk lauter zerrissene Hemder, löcherige Strümpfe u. dgl. zeigen würde und sagen, du habest ihm das geschenkt. — Mach jetzt, was du willst.

Uebrigens das Hergeben ist es nicht allein; man kann ja auch helfen mit der eigenen Person; und oft sieht das Helfen noch lieblicher und freundlicher aus, als das Geben. Ist in dem Nachbarhaus, oder meinetwegen auch ein paar Häuser oder Gassen weiter, jemand krank, so bleibt die nötigste Arbeit oft liegen; Kinder und Vieh sind nicht besorgt; es wird nichts verdient; Dokter und Apotheker kosten viel Geld: darum kann es manche Familie nicht erschwingen, eine eigene Person um das Geld zum Aushelfen zu dingen. Da härmt sich das arme Kranke in seinem Bette noch mehr ab und ist gedrückt von Hitz und Kopfweh und zugleich von Sorgen und Kummer, und der Mann murrt und flucht zuletzt über das lange Krankliegen. Sei du da barmherzig und nimm dich an seiner Armseligkeit. Melk ihm die Kuh und hol ihm das Futter; koch den Kindern die Suppe, damit sie nicht mit nüchternem Magen in die Schule müssen; und es wird viel­leicht am besten sein, wenn du das jüngste Kind mitnimmst und in deinem Hause behaltest, bis die Frau wieder gesund wird. Wenn's nachts pressirt, so lauf für es in die Stadt zum Dokter oder in die Apotheke: brauchst dich gar nicht zu fürchten auf einem solchen Gang, und wenn es auch durch einen Wald oder an einem Platz vorbeigeht, wo es nicht kür sein soll; unser Herr Gott gibt dir eine unsichtbare Leibwache mit, daß dir nichts geschieht und nichts dich ängstigen kann. Sitz auch manchmal zu dem Kranken, tröste ihn, bet mit ihm, lies ihm etwas vor; es ist wahrhaftig kein Müßiggang. Habt ihr über Mittag etwas Gesundes und Gutes, so schick auch dem Kranken davon, ob er es vielleicht ißt. Und wenn es schon so weit mit ihm gekommen ist, daß man bei ihm wachen muß, so lös die eigenen Leute des Kranken auch zuweilen im Wachen ab, damit sie nicht selber zuletzt krank werden. Nimm aber ja nichts für einen solchen Dienst; red auch nicht viel davon; und wenn es später einmal Zank geben sollte, so halt es den Leuten nicht vor, was du ihnen gethan habest; sonst streichst du dein gutes Werk wieder aus.

Ehre und guter Name sind auch viel werth; und es thut den meisten Menschen gar zu weh, wenn man sie an der Ehre angreift. Aber sehr vielen Menschen thut auch nichts wohler, als wenn sie anderen die Ehre abschneiden können. Du aber geh mit deiner Zunge so vorsichtig um, als wie mit einem Rasirmesser, weil man eben so leicht seine eigene Seele wie die Ehre des Nebenmenschen mit der Zunge verwundet. Schweig aber nicht bloß, wenn andere herabgesetzt und durch böse Nachreden verunehrt werden. Fahr den Lästermäulern ernstlich über das Maul und frag sie, ob sie keine Fehler hätten, daß sie so gern auf andere Koth und Steine werfen; und ob das recht sei, Abwesende, die sich nicht verteidigen können, anzuklagen; und nimm dich um den Gelästerten tapfer an, wie wenn es deine eigene Ehre oder die Ehre deiner Mutter beträfe. Es hat ein jeder auch noch einen guten Fleck an sich: diesen kehr am Nebenmenschen liebevoll heraus.

Im Morgenland erzählt eine alte Sage: Es standen einmal mehrere Leute bei einem todten Hund, der auf der Straße lag. Jeder wußte etwas über den Hund zu schelten. Der eine sagte: „Wie das Aas so arg stinkt!" und hob die Nase zu; der andere: „Wie er voll Koth ist!" und spie ihn an; der dritte: „Der Kerl hat fast keine Haare mehr"; ein vierter sagte: „Pfui!" und gab ihm einen Tritt. Da kam auch der Herr Jesus hinzu und sprach nach seiner Herzensmilde: „Die Zähne des Hundes sind schön und glänzend weiß, wie Perlen.“ Da schämten sich die Tadler, daß sie nur das Häßliche betrachteten, wurden roth, und schwiegen. - Mach es auch so, wenn die Leute deinen Nebenmenschen heruntersetzen, als wäre er ein todter Hund. Es ist auch ein schönes, vollgiltiges Almosen vor Gott, den Abwesenden, der es nicht weiß und nicht danken kann, zu vertheidigen, wenn seine Ehre gelästert wird. Denk dir einmal den großen Unterschied, wenn deine Seele vor Gottes Gericht sich stellen muß, je nachdem du jahrelang gewöhnt warst, gegen den Abwesenden Tadelreden, Aburteilen, unehrenhafte Erzählungen vorzubringen; oder je nachdem du jahrelang gewöhnt warst, stets schonlich von dem abwesenden Mitmenschen zu reden, und dich barmherzig um seine Ehre angenommen hast, so oft ihn andere herabsetzen wollten. Das ist ein großer Unterschied! Es erzählte mir einmal eine alte fromme Person, da sie in dem letzten Krankenlager auf den Tod wartete: Es sei ein Geistlicher tödtlich krank gelegen, das sei demselben im Traum der Teufel erschienen mit einem großen Papier, worauf alle Sünden des Geistlichen geschrieben standen; der Teufel habe ihm die Liste vorgehalten und gesagt: „Verzweifle, du bist verloren. " Da habe der Geistliche geantwortet: „Der Herr hat gesagt: Verurteilet nicht, so werdet ihr auch nicht verurteilt; ich habe aber meiner Lebtag über andere Menschen nicht gerichtet und niemand verurtheilt; darum verzweifle ich nicht, der Herr wird mich nicht verdammen. " In der zweiten Nacht sei der Teufel auf gleiche Weise gekommen, und der Geistliche habe auch wieder die gleiche Antwort gegeben: „Ich habe niemanden gerichtet, ich verzweifle nicht. " Da sei ihm dann in der dritten Nacht der Schutzengel erschienen und habe das Sündenverzeichniß des Geistlichen zerrissen, ihm vorgezeigt und gesprochen: „Weil du nicht gerichtet hast, so wirst du auch nicht gerichtet.“ — Wenn du gescheit bist, so mach auch etwas von der Art. Gemeine Menschen schimpfen über einen, wenn man nicht dabei ist; rechtschaffene Christen machen es umgekehrt, halten einem das Böse unter vier Augen vor; ist man aber nicht dabei, so nehmen sie sich um einen an.

Ferner heißt es in der Schrift: „Selig sind die Friedensstifter; denn sie werden Kinder Gottes genannt werden. " Ist auch natürlich; denn Gott ist ein Gott des Friedens und der Liebe selber. Wenn du zwei weißt (und solche Pärlein gibt es in allen Orten nur allzuviel), die miteinander auf stillem Fuß stehen, d. h. miteinander nicht reden mögen aus Groll, oder die beim Zusammenkommen wohl miteinander reden, aber Fluch- und Schimpfworte, da wäre auch ein guter Gewinn zu machen. Such dielen Leuten beizukommen und ihnen den Teufel des Hasses, von dem sie besessen sind, auszutreiben. Red ihnen zu, wehr ihnen ab, und mach es, wie du kannst, daß diese Leute einander wieder offen und gut in das Gesicht sehen, und den alten Streit vergraben in Vergessenheit. Wahrhaftig, Streithändel beschwichtigen ist oft so viel werth, als ein brennendes Haus zu löschen. Darum ist es auch viel werth, wenn man sich dazwischen legt, daß es gar nicht zum Streit kommt. Das kann man am aller-besten, wenn man selber eine von den zwei Personen ist, zwischen welchen sich ein Zank entzünden will: man darf nur nachgeben oder schweigen. Nachgeben ist eine gar schöne Sache, wenn es in guter Absicht geschieht; und was du des Friedens wegen fahren lassest, das wird dir von Gott einmal ebensogut bezahlt und vergolten, oft noch mehr, als was du den Armen gegeben hast. Ueberhaupt Unrecht, das man gethan hat, streut Glasscherben und Nägel in das Todbett; aber Unrecht leiden, damit es keinen Un­frieden gebe, ist gut gegen übermäßigen Angstschweiß beim Sterben. Lies Matth. 5. Kap., 39. -41. Vers.

Wenn du aber keine Heilige Schrift hast, so kannst du zum Geistlichen gehen: er soll dir die Verse vorlesen und auslegen.

Das kostbarste Werk der Barmherzigkeit aber ist, wenn du eine Seele, die am Versinken ist, oder schon versunken, herausziehen würdest und zum Umkehren brachtest. Du kannst z. B. einem Bekannten oder Angehörigen, den der Satan am Seil der Sünde, wie der Metzger das Kälblein, dem Verderben zuführt, so lange herzlich und dringend zureden, bis er in sich geht, den Strick zerreißt und ein anderes Leben probirt. Oder du kannst ein junges Dienstbot, das von Haus aus übel geartet ist, aus Barmherzigkeit mit seiner Seele zu dir nehmen, es nachts nicht auslaufen lassen, zweideutigen Liebschaften den Weg abgraben, ihm das Fluchen und Lästern abgewöhnen, es zum Gebet und zur Ordnung anhalten, fleißig in die Predigt und Christenlehre schicken, es darüber abfragen, ihm am Sonntag ein frommes Buch. in die Hand geben. Da fällt mir aber noch etwas ganz Besonderes ein, was gleichsam der Edelstein unter den guten Werken ist. Bist du noch nie in Walldürn wallfahrten gewesen? Auf dem Weg dahin, z. B. bei Mudau und anderen Orten, trifft man gar viele steinerne Bildstöckchen an; manche davon sind fein und gut ausgehauen, und unter dem Christusbild darauf steht gemeiniglich geschrieben: Dieses Bild hat zur Ehre Gottes errichtet der und der, oder die und die. Ich möchte dich nun bereden, daß du zur Ehre Gottes ihm auch ein solches Bildstöckchen errichten sollest. Aber keines von Stein; denn die von Stein fallen leicht um, oder nehmen sonst Schaden; und wenn sie alt werden, so verderbt das Bild, und man kann nicht mehr lesen, wer es errichten hat lassen. Dann ist auch der Umstand bei den steinernen Bildstöckchen: man kann eben nur so lang, als man auf Erden lebt, daran vorbeigehen und seine Freude daran haben; und man hat sogar noch allerlei Gänge und Schreibereien bei Pfarrer und Amt zu machen, bis man nur die Erlaubniß bekommt, einen ausgehauenen Stein unter freiem Himmel aufzurichten. Ist es nicht so? Mit den Bildstöckchen von Holz geht es auch nicht besser. Darum wollte ich dir ein Bild zur Ehre Gottes von ganz anderer Qualität in Vorschlag bringen. Vorerst will ich dir die Tugenden und Vortheile eines solchen Bildes, dessen Aufrichtung ich anrate, erzählen. Ein solches Bildstöcklein, Wenn es einmal ganz fertig ist, ist so schön, daß Gott selber, vor dem alle Malerei und Steinhauern sonst schlechtes Pfuschwerk ist, seine Freude daran hat und es nicht genug anschauen kann. Ferner ist der Stoff und die Arbeit daran viel kostbarer und gereicht Gott und dir zur größern Ehre, als eine Arbeit von Sandstein. Endlich, was noch das Schönste ist, wenn es eine Zeitlang aus Erden Gott zur Ehre gestanden hat, so wird es im Himmelssaale aufgestellt, nahe beim Thron Gottes; und da fällt es nicht mehr um, verderbt nicht; und die Schrift darauf, daß du dieses Heiligenbild Gott errichtet habest, verwischt nie mehr, und macht dir in Ewigkeit Ehre und Freude. Was ist, hättest du nicht Lust? Die Kosten sind nicht so gar groß, und du brauchst keine Erlaubniß dazu vom Oberamt. Nimm ein Kind auf, erzieh es christlich, mach aus ihm einen gottesfürchtigen, tugendhaften Menschen! — sieh, das ist das Bild, das du zur Ehre Gottes errichten sollst. Es müßte nicht auf jeden Fall ein Waisenkind sein; die Eltern desselben können auch noch leben, aber auf eine Art, daß es dem Kinde besser wäre, es oder seine Eltern stürben bald: weil es nämlich schlecht bei ihnen zugeht, und das Kind zum Betteln, Lügen, Freveln, Schnapstrinken angehalten wird, und weil es bei den Eltern viel Fluchen, Zank, böse Reden und wenig Gebet hört. Halt jetzt ein wenig inne und besinne dich, ob nicht so ein Haus und so ein Kind darin bei euch zu finden ist. - - Vielleicht läßt dir der himmlische Vater des Kindes einfallen, welches du dem Verderben entreißen solltest, und er heißt dich inwendig: „Nimm es zu dir, ich will dir ein gutes Kostgeld zahlen.“ Red mit der Frau, oder wenn du die Frau bist, mit dem Mann; macht nichts, wenn es dir auch ein wenig uncommod ist und es ein Gered im Ort gibt, es ist um so mehr werth. Nimm, liebe Christenseele, wenn es nur möglich ist, ein solches Kind zu dir ins Haus. Sieh, der Heiland klopft bei dir an der Hausthür mit dem armen Kind an der Hand, und bittet dich selber darum, indem er sagt: „Wer ein solches Kind in meinem Namen aufnimmt, der nimmt mich auf.“ Wenn du mir folgst, und stirbst einmal, so laß das Kind nur neben dein Bett sitzen; du wirst dann sehen, dal Sterben geht viel leichter und tröstlicher. Und wenn die Engel beim letzten Gericht die Menschen verlesen, welche sie auf die rechte und welche sie auf die linke Seite stellen sollen, so wird der Schutzengel des Kindes, an dessen Leib und Seele du Barmherzigkeit geübt hast, dich heraussuchen, wenn du voll Angst unter dem großen Haufen schon anfangen willst zu heulen und mit den Zähnen zu klappern, und er wird mit den anderen Engeln reden, daß sie dich auf die rechte Seite stehen lassen: du müßtest nur sonst allenfalls zu schlecht gelebt haben, daß es sich nicht thun ließe, dich auf die rechte Seite zu stellen. Horch nicht auf den Teufel des Geizes und der Herzenshärtigkeit, der dir die Sache abrathen will. Läßt es sich übrigens durchaus nicht machen, daß du ein solches Kind in dein Haus aufnimmst (ich kenne deine Umstände nicht), so trag wenigstens alle Jahre etwas bei für die Anstalt solcher verwahrlosten Kinder; jeder Pfarrer nimmt das Geld an und schickt es an den rechten Ort. Es ist doch besser als gar nichts gethan.

So gibt es noch manche gottgefällige und menschenfreundliche Werke, die einem das Herz von selber zur rechten Zeit eingibt, wenn man ein menschenfreundliches, gottgefälliges Herz besitzt. Und selbst wenn der Eigennutz bei deinem Thun und Lassen größtenteils die Meisterschaft führt, so solltest du dennoch recht bedacht sein, viele Liebeswerke in Gott zu thun, solang du noch auf Erden hantiren kannst; denn es ist eben dein eigener größter Nutzen. Euer Art Leute haben nichts lieber, als wenn man etwas erzählt; ich' will darum wieder ein Exempel erzählen, damit die Lehre kurzweiliger wird, vielleicht daß du habsüchtiger auf viele gute Werke ausgehst, solange es noch Tag ist. Es war einmal ein Mann; zu dem kam der Gerichtsbote und citirte ihn, er müsse vor dem obersten Gericht des Landes, vor dem Hals-und Blutgericht erscheinen. Wie der Mann dies hörte, da ist ihm da» Geblüt in den Kopf geschossen und hat starkes Herzklopfen bekommen und mußte sich niedersetzen vor Schrecken wegen der Citation. Denn er wußte wohl, daß es mit ihm nicht ganz sauber stehe, und daß bort scharf gerichtet werde. Was nun machen? Er überlegte lang und viel, und ging zu seinen liebsten Freunden, mit denen er alle Tage verkehrte, und bat sie mit weinerlicher Stimme, sie möchten doch um Gottes willen mit ihm vor Gericht gehen und sich um ihn annehmen. Als diese aber hörten, daß es so aussehe, kehrten sie ihm den Rücken und thaten, als kennten sie ihn gar nicht. Da wandte sich der erschrockene Mann zu einigen anderen aus der Vetterschaft. Diese sagten zu und begleiteten ihn auch wirklich bis vor die Thüre des Gerichtshauses. Da aber hielten sie es für besser, wieder umzukehren zu Frau und Kind, und ließen den armen Vetter allein hineingehen. Nun meinte er schon Von aller Welt verlassen zu sein; aber unvermuthet boten sich ihm einige Leute von selber an, ihn zu begleiten und ihn zu vertheidigen. Wie gesagt, so gethan. Sie gingen mit ihm vor den Richter, nahmen sich um ihn so sehr an, daß er nicht nur losgesprochen wurde, sondern sogar noch Lohn und Lob davontrug. — Jetzt ist aber die Geschichte noch nicht aus: die Hauptsache kommt erst, nämlich die Auslegung, Du selber bist der Mann; der Gerichtsbote, welcher dich vorladet, ist der Tod; und wer der strenge Richter ist, wirst du auch merken: es ist der allwissende und heilige Gott. Die werthen Freunde, die bei solchen Umständen auf einmal unfreundlich werden und dich im Stich lassen, das ist dein Geld im Kasten, deine Kühe und Rosse im Stall, dein Garten und Feld, dein Haus und Weißzeug, deine Sackuhr und deine Fässer voll Wein. Die gehen nicht mit dir, wenn du stirbst: sie machen einem andern Pläsir, der sie erbt oder steigert. Die zweite Art von Freunden, welche dich nur bis vor die Thür begleiten, das sind die leiblichen Anverwandten, die Schwägerschaft und andere Leute aus eurem Dorf. Die gehen mit deiner Leiche bis auf den Kirchhof, bis zum Grab, weiter aber nicht.

Wenn sie eine Schaufel voll Erde auf deinen Sarg  poltern haben lassen, kehren sie um und lassen dich allein. — Wer aber sind die, welche mit hinüber- und mit heimgehen? Das sind die guten Werke, die Werke der Barmherzigkeit, welche du auf Erden in guter Absicht ausgeübt hast. Diese helfen, daß auch du Barmherzigkeit findest und zu der weißen Thüre eingehen darfst. — Sei gescheit und sammle dir jetzt, wo du noch kannst, einen rechten Vorrath von Werken der Liebe; es kommt einmal die Zeit, wo die Freunde dieser Art, nämlich die guten Werke, um keinen Preis mehr gekauft werden können.

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November.

 

Herr, lehre uns bedenken,

daß wir sterben müssen,

auf daß wir weiser werden.

Psalm.

 

Es ist Allerheiligentag, und heute Abend wird in der Kirche alles schwarz, und fängt Allerseelen an, und man geht mit der Procession auf den Kirchhof, und betet und singt und weint auf den Gräbern. Graue trübe Wolken hängen am Himmel, wie wenn er selber Trauer angelegt hätte und auch weinen möchte über die vielen Kirchhöfe und Todten darin, und über die vielen Lebendigen, die um die Gräber wandeln und darauf knien und selber den Todeskeim im Herzen tragen. Und der Wind weht in den Zweigen der Bäume, als seufze er wehmüthig über das Sterben der Menschen, und streut welke, todte Blätter über die Erde dahin. Ach, es ist ein schwermüthiger Abend, und an keinem Tag im Jahr hängen so viele Thränen an so vieler Menschen Augen. Auch du magst weinen, geliebtes Haupt um den Vater oder die Mutter, um das Kind oder das Gemahl, um das Geschwister ober den Freund; vielleicht hast du um mehr als um eines zu klagen. Wenn du aber niemand drüben hast, das dir eng verbunden war in Liebe und Verwandtschaft, so stell dich in Gedanken an dein eigenes zukünftiges Grab, und weine um dich selbst. Wenn du aber fertig bist mit betrübten Gedanken und mit Trauern und Klagen, und die Leute allmählich still und ernst eines um das andere fortwandeln, und der Kirchhof bald leer ist: so will ich noch einen besonderen Umgang oder eine Privatprocession um die Gräber mit dir halten. Du sollst das Volk, und ich will der Pfarrer sein. Was wir miteinander bei den Gräbern betrachten, gilt für eine Repetirung der zehn vorigen Monate. Zuerst führe ich dich an das Grab eines reichen Mannes. Der ist Bürgermeister geworden, weil er für reich galt und in seinem Ort die Leute den Reichthum für die größte Tugend halten. Reich ist er aber geworden auf allerlei Wegen: er ist schlau und pfiffig gewesen, er hat gespottet über die Dummheit derjenigen, die lieber einen Vortheil fahren ließen oder einen Schaden litten, als eine Sünde zu thun. Vor dem Herrn Amtmann und dem Herrn Assessor hat er stets gewinselt vor Untertänigkeit; und hat immer ja oder nein gesagt, wie er dachte, daß es in den Ohren des wohllöblichen Amtsvorstandes angenehm lauten werde; und hat sich sehr gefürchtet vor den Augen seines Vorgesetzten. Vor dem Herr Gott hat er sich aber gar nicht gefürchtet; doch ging er jedesmal am Geburtstage des Landesfürsten, und wenn die Seelenmesse für einen reichen Anverwandten gehalten wurde, und wegen den Leuten auch an etlichen Festtagen in die Kirche, und hat dadurch Gott hinlänglich Ehre erwiesen. Vielen seiner Bürger hat er auch zu ihrem Recht verholfen und ihnen ihr Sach zugesprochen, besonders wenn die Leute von Erkenntlichkeit und von Ansehen waren, oder wenn sie mit ihm in Blutsverwandtschaft standen. Was er am wenigsten leiden konnte, das waren 1. arme Leute, oder wie er sie titulirte, Lumpenpack, und 2. wenn man vor seinen Ohren vom Sterben redete. Er ist aber reich und dick geworden; und als er doch sterben mußte, soll es ihm vorgekommen sein, der Teufel Stehe vor dem Bett. Ich weiß nicht, was an der Sach ist; man kann auch nicht auf alles Gerede der Leute gehen. Uebrigens, als er dann todt war, hat er eine ganz vornehme Leiche bekommen. Was etwas Rechtes im Ort ist, ging mit der Leiche; und die Gemeinderäthe hatten Kerzen in der Hand und Flöre um den Hut, und alle Schulkinder haben mit gemüßt. Geweint ist nicht viel dabei worden (ist auch nicht nothwendig); mehr zu seinen Lebzeiten von der Wittwe und von dem Hinteraß und dem verschuldeten Bäuerlein, dem der Bürgermeister den Acker versteigern ließ, weil er ihm selber anständig war. Den Acker hat er sehr wohlfeil gekriegt; denn die Leute haben sich gescheut, dem Bürgermeister gegenüber ein Gebot darauf zu thun. Freilich hat er den Acker nicht mitnehmen dürfen, und auch den andern erpreßten oder erschlichenen Wucher nicht; hin' gegen stand seine Seele dafür im Unterpfandsbuch des Teufels mit mehrfacher Versicherung eingeschrieben. Möchtest du bei ihm liegen?

Nicht weit davon liegt ein Wirt. Er ist an der Brustwassersucht gestorben. Der hat die Lumpen des Dorfes auch während des Gottesdienstes und in später Nacht in einem Hinterstübel gastirt, damit sie nicht von der Polizei gestört würden. Und damit sie lieber und länger sitzen und trinken, trieb er stark das Würfel- und Kartenspiel mit ihnen. Ist gerade die Wirtsstube leer gewesen, so ist er unter das Fenster gelegen, ob er nicht eine schwache trockene Gurgel hereinlocken möge. Man sah ihn gar viel vor Amt stehen und allda um Tanzerlaubniß betteln. Manchmal probirte er es und schenkte vom besten Faß dem Bürger­meister ein und auch dem Schandarm, auf daß sie schweigen möchten, wenn er auch zu verbotenen Zeiten das ledige Volk ins Haus verlockte, um bei einer Geige oder dem Gedudel einer Schwarzwälder Uhr mit Tanzen und Trinken sich zu ergötzen. Jungen Burschen war er ein väterlicher Freund und sprach zu ihnen: „Du bist ein Esel, wenn du dein Verdienst den Alten gibst; thue dir selber gut damit. „ Und er that ihnen auch den Freundschaftsdienst, daß, wenn sie den Eltern Korn, Eier u. dgl. stahlen, er es an Zahlungs Statt annahm. War einer übervoll besoffen, so sagte der gutherzige Wirt zu ihm: „Nicht wahr, Sepp, ich soll dir noch einen vom Guten holen?" In den Wein that er allerlei Unrath, damit man weniger merke, wie sauer und schlecht er von Natur aus sei. Mit seinen Stammgästen schimpfte und spottete er über Religion und Pfaffen, besonders über den im Ort, weil er nicht ins Wirtshaus ging, gegen das Lumpen eiferte, und als rechtschaffener Seelsorger die Jugend vom Saufen und Tanzen abzuhalten suchte. Der Wirt ist nun geftorben; seine Töchter haben zwar Kinder, aber niemals Männer bekommen; und die Söhne, der eine ist in Algier, und dem andern wird bald das Wirtshaus versteigert. Der Wirt aber liegt jetzt im Grab. Bei dem Sterben ist es ihm sehr eng geworden und seine Seele muß hintreten vor den Richterstuhl dessen, der so mühevoll und schmerzhaft die Menschenseelen zu retten gesucht hatte, welche der todte Wirt mit Spiel und Tanz und Schmeichelreden dem Teufel zugeführt hat. Der Judas hat unschuldiges Blut verkauft; der Wirt hat Seelen verdorben, um Geld zu gewinnen. Darum mag der Wirt am nämlichen Ort heulen, wo der Judas mit den Zähnen knirscht. Uebrigens lies auch hier die Warnung, die dem Julius angehängt ist; denn es gibt auch brave Wirte und brave Bürgermeister: und nicht ein jeder, der dick und reich ist, ist darum auch an der Seele schadhaft oder gottvergessen.

Wir kommen an ein anderes Grab. Da liegt einer, der hat ein Mädchen verführt. Früher war sie eine brave ordent­liche Person; er aber hat sie bethört durch Spazierenführen und Eheversprechen. Ihr Zustand brachte großes Herzeleid ins Haus; fast alle Tage hörte man von nun an Vorwürfe, Schelten und Heulen. Der Vater verfluchte die Tochter und ihren Verführer, tobte und gewöhnte sich nun aus Verdruß das Saufen an; die Geschwister schämten sich, fast nur zum Haus hinauszugehen, und die Mutier kränkelte vor Kummer zu Tod. Später bekam die Person noch mehr Kinder; er aber ließ sie sitzen und machte sich an eine ändert. Jene war nun verborben und fand keine Versorgung mehr und brachte ein elendes Leben in Schande, Armut und Schlechtigkeit zu. Weil sie aber Gott den Rücken gekehrt hatte, so ließ sie auch ihre Kinder ohne Gott aufwachsen. Die Söhne wurden Verführer, Säufer, und weil das Geld nicht hinreichte, Diebe; einer sitzt im Zuchthaus. Die Mädchen machten es wie die Mutter; nur früher und frecher. — So ist durch den ersten Verführer eine ganze Brut von Verderben, Laster und Aergerniß ins Ort gesetzt, das wie die Wanzen nicht mehr zu vertilgen und herauszubringen ist. Manchmal, wenn er bei seinesgleichen war, trösteten und redeten sie einander zu, nach dem Tode sei alles aus, und es gebe keine Hölle. In seiner letzten Krankheit wollte er sich nicht versehen lassen mit den heiligen Sterbsacramenten; kehrte sich mit dem Gesichte gegen die Wand, als ihm der Geistliche zureden wollte; und die Nacht vor seinem Tod stieß er noch einen schweren Fluch aus, und sagte dazu:, "Wenn ich nur einmal verreckt wäre!" — Wohl mag der Priester, da der Sarg drunten war, gebetet haben: „Herr, gib ihm die ewige Ruhe; das ewige Licht erleuchte ihn; Herr, laß ihn ruhen im Frieden. Amen. " Für den gibt es keinen Frieden und in Ewigkeit keine Ruhe; und ein anderes Feuer, das freilich auch nie erlöscht, mag ihm leuchten als sein ewiges Licht.

Nicht weit davon liegt die Person, die sich ihm zur Lust hingegeben hatte. Sie war getauft und durch die heilige Taufe hoch geweiht zum Tempel Gottes; und diesen Tempel Gottes hat sie im niedrigsten Laster verunreinigt und geschändet: hat ihn zu thierischer Lust und Weise mißbraucht und mißbrauchen lassen. letzt liegen die schändlichen Glieder im Grab und können sich nicht mehr regen; die Fäulniß zehrt am modernden Fleisch, das schon im Leben häßlich geworden ist durch wüsten Wandel, zügel-lose Leidenschaft und frühes Alter. Aber es altert und stirbt nicht der Fluch der Eltern, der Fluch der Geschwister, der Fluch ihrer verdorbenen Kinder, der Fluch Gottes der Sünde und des Aergernisses wegen — und der Wurm verzehrt ihn nicht.

Wir kommen nun an das Grab eines einfachen stillen Mannes. Er war fromm und gottesfürchtig; lebte stets im Frieden mit den Hausgenossen, und im Frieden mit den Leuten in der Nachbarschaft; erzog seine Kinder, daß sie arbeitsame, gesittete und freundliche Menschen wurden; gab den Bettlern vor der Thür nicht viel, suchte aber arme hilflose Leute von selber auf, um sie zu unterstützen. Es war ein lieblicher Anblick für Verlassene, wie wenn ein Engel Gottes hereinträte; mit herzlichem tröstenden Wort und mit gern gegebener Gabe linderte er den Kummer; entbehrte manchmal selbst, um mehr geben zu können; und wo er nichts thun tonnte, bekümmerte er sich in innigem, herzlichem Mitleiden. Es wurde im Ort wenig von ihm gesprochen; und wenn zufällig im Wirtshaus die Rede auf ihn kam, so hieß man ihn einen Betbruder und lachte über ihn, daß er sein Geld an Bettelgesindel hänge, statt sich selber gütlich zu thun. Da er starb, gingen wenige angesehene Leute mit der Leiche; wohl aber weinte in einigen armen Hütten eine Mutter oder ein alter kränklicher Mann bitterlich, als das Scheidzeichen läutete, und klagten: „Wäre ich doch für ihn gestorben; jetzt ist mir das Leben ganz verleidet. " Alle aber sagten: „Es ist ein braver Mann gewesen.“ Und der Nachbar, der sich sonst sehr vor Todten und Gespenstern fürchtet, und viel davon zu erzählen weiß, sprach: „Bei dem seiner Leiche könnte ich die Nacht ganz allein wachen, und würde mich gar nicht fürchten. " Ein weißes Röslein wachst nun auf seinem Grab. Eine Jungfrau hat es gepflanzt, die er ins Haus genommen als zartes Kind. Da es seine Mutter verloren hatte und sich der Vater dem Trunk ergab und die Kinder verdarb und verderben ließ, gedachte der Mann, daß er Taufpathe des Mädchens sei, und was er in der Kirche für es ver-sprochen habe. Darum nahm er das Kind zu sich; erzog es zu Gebet, Arbeit und Sittsamkeit, so daß, wer nun die erwachsene Jungfrau kennt, sie gern in den Dienst nähme. Weil sie schüchtern war und nicht von den Leuten gesehen sein wollte, ging sie einmal in aller Frühe, da es regnete, auf den Kirchhof, um das Rosenstöcklein zu setzen. Und das Pflänzlein wurde dabei naß vom kalten Regen und von ihren heißen Thränen. Nun wächst es bleich und lieblich, von Dornen und grünen Blättern umgeben, am Kreuz hinauf, ein bescheiden Bild von Unschuld, Treue, Dank und Liebe und Schmerz.

Weiterhin liegt eine Wittwe. Ein armseliges Kreuz ohne Namen, damit es weniger koste, steht auf ihrem Grab. Ich will nicht umständlich erzählen, wie es ihr ergangen; wie sie Druck und Ungerechtigkeit ausgestanden, weil sich niemand um sie annahm; wie ihr ältester Sohn zu den Soldaten mußte, und die alte schwache Frau das Feld nicht mehr bestellen konnte; wie ihr das Häuschen versteigert wurde, weil sie die zurückgelassenen Schulden ihres Mannes nicht bezahlen konnte; wie sie zuletzt der Gemeinde zur Last fallen mußte, indem sie langwierig krank wurde; wie sie dabei grobe Begegnung zu tragen hatte und bittere Reden, daß sie der Gemeinde so viel koste und so lang nicht sterbe; wie ihr Sohn, da er bald frei geworden wäre, im Spätjahre bei der Revue die Ruhr bekam und starb; und wie sie endlich im ärgsten Zustand ihrer Krankheit in ein anderes Haus geschleppt wurde, weil bei der neuen Versteigerung ihrer Verpflegung ein anderer sie wohlfeiler übernahm, und wie sie wenige Stunden nach dem Transport in die letzten Züge fiel. Sie aber hat nicht viel dabei geklagt und gejammert, sondern wenn sie durch irgend ein Leid einen neuen Herzstoß bekam, schaute sie still aufwärts und lispelte: „Herr, nicht wie ich will, sondern wie du willst!" Schon viele Jahre lang wußte sie nicht mehr, was eine Freude ist; und gewöhnte sich an Leid und Elend, daß es ihr kaum je in den Sinn kam, wie auch für sie noch freudige Zeiten kommen könnten. Wie muß es ihr gewesen sein, da der Tod die harte Kette des Leibes, durch welche sie an die Erde gefesselt war, zerbrach, und ihre Seele Gott entgegenflog! — So schwebt ein Adler, der gefangen war und losgelassen wird, in gewaltigem hohen Flug freudevoll der Sonne entgegen; so eilt eine Taube, im fremden Orte gebunden, sehnsüchtig der Heimat zu, wenn eine mitleidige Hand ihr die Flügel löst. — Wie muß die Seele, in langem heißen Feuer der Trübsal ein reines Gold geworden vor dem Herrn, überströmt worden sein von himmlischer Seligkeit, da sie schauen durfte Gott in seiner Majestät und in seiner süßesten Freundlichkeit, und alle wiederfand, die ihr auf Erden verdienterweise lieb gewesen waren, ausgelitten, gesund und freudevoll für immer!

Es wären noch viele Gräber da und in diesen Gräbern das Handwerkszeug von Menschenseelen, über deren irdischen Wandel manches zu sagen wäre. Doch will ich dir noch ein frisch aufgeworfenes Grab zeigen, um welches ein Kranz von Epheu und Blumen liegt. Darin ist begraben ein Jungfräulein von 14 oder 15 Jahren. Es bekam das Nervenfieber beim Abwarten der kranken Dienstmagd des Hauses, die zuerst davon befallen wurde. Das Mädchen hatte Bedauerniß mit der Magd und redete den Eltern viel und dringend zu, sie möchten sie doch in ihrer Krankheit nicht aus dem Haus schaffen; es wolle ja gern für die Magd arbeiten. Das that nun auch das fromme Kind und wartete der Magd ab und wachte bei ihr und betete ihr vor aus dem Buch. Die Magd wurde wieder gesund; aber die Tochter bekam dieselbe Krankheit und starb in neun Tagen, wie wenn Gott sie belohnen hätte wollen durch den schönsten Tod, den Tod für andere. — Brich ein Blatt vom welken Kranz auf ihrem Grab und leg es in dein Gebetbuch, oder steck es in deiner Kammer an das Crucifix, vor dem du betest; und so oft du betest, blick das Blatt vom Kranz des Mädchens an, und bete auch um einen so hohen, edlen Sinn der Menschenliebe und Aufopferung für andere.

Geh jetzt noch nicht fort, sondern bleibe noch ein wenig ernst und einsam sitzen, und stütze das Haupt auf die Hand, und laß die Gedanken, wie sie still kommen und gehen, an der Seele vorüberziehen, und schaue sie an, und schaue ihnen nach. Vielleicht will dir jetzt dein Gewissen auch noch inwendig eine Separatpredigt halten, ernst und mahnend und warnend, oder tröstlich, wie du es gerade brauchst. Hör ihm zu, bis es ganz fertig ist; versprich und nimm dir etwas vor, was dir gut bekommt, wenn dein Leib im Grab liegt; und bete noch etwas, daß der Vorsatz zum Werk gedeihe. Wenn dir aber nichts Rechtes einfallen will, so will ich dir noch ein Wort herschreiben, in welches du dich vertiefen kannst. Es steht bei dem Propheten Johannes in seiner Offenbarung und heißt also: „Ich sah die Todten klein und groß, stehend vor dem Thron; Bücher wurden aufgerollt, und die Todten würden gerichtet, so wie es in den Büchern geschrieben war, nach ihren Werken.“ — Ueberleg es nun, was jetzt schon von dir und deinem Leben in diesen Büchern stehen wird, und was du ferner hineinschreiben willst lassen, und was bei der Zusammenrechnung für ein Spruch über dich ergehen wird. Ueberleg das; dein Gewissen wird schwerlich dazu schweigen, sondern allerlei alte Geschichten aufrütteln und dir Vorhalt machen in Sachen, die du lieber in Ewigkeit vergessen möchtest, wenn es sich nur thät. Schadet nichts; laß dich nur geißeln vom Gewissen und nimm Zucht an. Wenn die Seele von Angst und Reue und Verdemüthigung umgezackert und von Thränen angefeuchtet ist, da nimmt sie gern das Wort Gottes an, und es keimt und Sprießt im Glauben zur Liebe, und von Liebe zu einem schönen frommen Christenleben. O Leser, o Mensch, du bist lebendig jetzt; einmal nicht mehr: besinn dich, besinn dich und — sorge vor, daß du dir ein weiches Grab bettest, und eine süße Ruhe und eine glorreiche Auferstehung zurecht richtest wo es noch Tag ist!

 

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D e c e m b e r.

Wen Gott lieb hat, den züchtigt er;

und schlagt einen jeden,

den er als Kind annimmt.

Der Heilige Geist.

 

 

Ein sehr respectabler und grundgelehrter Heide hat schon gesagt, die Seelen derjenigen, die ihr Herz ganz ans Irdische gehängt haben, könnten sich selbst im Tode nicht recht davon trennen, und man sehe deshalb ihre Gespenster um das Grab herumirren. Ich habe zwar noch keinen von diesen Grauen, der eigentlich da hüben kein Bürgerrecht mehr hat und in der andern Welt bleiben sollte, auf seinem Grab oder am Grenzstein oder zwischen den Fässern sitzen sehen. Aber wenn man es recht versteht, so ist die Sache doch nicht ohne allen Grund; denn der Heiland selbst sagt: „Wo dein Schatz ist, da wird deine Seele sein. " Das mag nun einer auslegen, wie er will, so viel bleibt gewiß: die Menschenseele ist wie mit hundert Fäden an die Erde und ihre Lust gebunden. Je dicker nun diese Fäden sind (bei manchem sind es wahre Schiffseile), und je mehr es ihrer sind, desto ärger muß der Tod an ihr reißen und zerren, und desto ärger thut es ihr wehe, bis sie ganz vom Leib und von der Erde losgemacht ist. Darum sieht Gott bei manchem für, und schneidet ihm zu Lebzeiten einen Faden um den andern ab, so daß seine Seele ohne viel Angst und Geschrei im Tode sich von der Erde weg zu Gott erhebt. Wenn dir daher Vater oder Mutter gestorben sind, oder das Ehegemahl, oder das einzige Kind; oder wenn du durch einen Proceß oder anderes Unglück um dein Sach gekommen bist; oder wenn giftige Menschen deine Ehre und guten Namen durch Verleumdung geschändet haben, und du niemanden mehr hast, der es gut mit dir meint; oder wenn du allmählich eine ältliche Person wirst und dir keine Hoffnung mehr machen kannst, durch eine gute Heirat versorgt zu werden: so sind schon viele Fäden losgeschnitten, und die Seele klebt nicht mehr so zäh am Leib und an der Erde. Das kannst du schon in gesunden Tagen merken. Wenn dich das Schicksal oder die Menschen molträtiren, so denkst du wieder mehr an Gott, und gehst du an einem Kirchhof vorbei, so kommt er dir lang nicht so traurig und ungesund vor, wie in lustigen Tagen, und du bist wohl im stand, daß du auch ohne besonderes Geschäft hineingehst, bei den Gräbern stehen bleibst, und es dich anhaucht wie eine Sehnsucht: „Könnt ich auch da liegen und ausruhen im Todesschlaf!"

So wird also dem, der im Leben von Leiden und Unfällen herumgehetzt wird und durch viele Trübsale waten muß, der Tod geschlachter. Aber noch mehr: die Seele verliert dadurch auch den starken Erdgeruch und an Gewicht, und wird zarter und schlanker, daß sie leichter aufwärts sich schwingt und durch die enge Thüre eingeht. Gott ist auf eine Art wie ein Bildhauer, und die Seele ist der Marmelstein. Widerwärtigkeiten sind Meißel und Hammer in der Hand des göttlichen Meisters. Da meißelt nun Gott jahrelang an mancher Menschenseele herum durch zugesandten Schmerz und Kummer, wie wenn er nichts Ganzes mehr an ihr lassen und sie zusammenschmettern wollte. Aber es ist nicht so bös gemeint. Er will nur die Rauheiten und Ecken weghämmern, und ein schönes Heiligenbild daraus machen, würdig, im hohen Tempel des Himmels aufgestellt zu werden für ewige Zeiten. Wenn auch mancher ein gar zu grober harter Klotz ist, als daß gleich etwas Schönes aus ihm gebildet könnte werden: so bekommt er doch allmählich Gestalt, je öfter ein tüchtiger Hammerschlag ihn auf den Kopf und die Lenden trifft.

Wenn ein Mädchen noch so hoffärtig war, auf die Mutter nicht hörte, bei allen Tänzen sein mußte, und sie bekommt einen bösen Mann, der sie alle zwei Tage dreimal schlagt und tritt, und die Kinderlast nimmt überhand, und das Einkommen ist sehr kärglich: da wird sie zahm, gar zahm, und sie ist gering gekleidet, und kommt an Sonntagen nicht mehr zu spät in die Kirche vor langem Haarmachen und Putzen; das Halstuch und die Haube sitzt manchmal schief, daß man wohl sieht, sie steht nicht mehr viel vor dem Spiegel. Die Mutter ist ihr lieb geworden, und sie ist gar froh, wenn sie eine Viertelstunde zu ihr gehen und ihr bekümmertes Herz ausschütten und ausweinen kann. Die Lust, zum Tanz zu gehen, ist ihr vergangen; und wenn am Sonntag-Abend die Kinder in das Bett gelegt sind, so bleibt sie am liebsten allein zu Haus und betet im Buch. Oder wenn ein leichtsinniges Mannsbild übermüthig einhergeht mit Schnauzer, Cigarre, Uhrenbändel, und die Kappe schief auf dem Ohr, und alle Sonntag und Montag sauft und spielt und flucht, und gleich dreinschlagt, wenn ihm einer ein überzwerches Wort gibt, und bei später Heimkehr nachts jodelt und schreit, den Leuten an den Läden poltert, den Nachtwächter schimpft, und schon anfangt, nicht mehr an gebotenen Tagen in die Kirche zu gehen, wie mancher Schreiber oder sonst einer vom Amt. Aber jetzt wird er krank, langwierig krank (der Doctor sagt, er sei an der Lunge faul), es ist ihm so eng, der Husten will nicht mehr gehen, es drückt ihn auf der Brust und thut ihm weh im Hals, in den Beinen sitzt es ihm wie Blei, nachts kann er nicht schlafen und nur auf einer Seite liegen, und bekommt so viel Schweiß, alle Medicin des Doctors, und Lungenkraut und Brunnenkressen, den ihm die Leute angeraten haben, wollen ihm nicht anschlagen, und es wird immer arger. Wie wird der wilde Bursche da so ganz anders! Sitzt traurig zu Haus, wie der einsame Sperling auf dem Dach, denkt an seine Sünden, seufzt und probirt das Beten wieder.

Wohl trifft auch Leute, die ordentliche Sitten von Jugend auf hatten, manches Unglück. Bei diesen muß sich's zeigen, ob ihre Tugend im Feuer vergoldet und echt ist, oder ob ihr äußerliches Thun nur mit schlechter Hausfarbe angestrichen war. So ist es z. B. gerade nicht schwer, ehrlich sein und Gott loben, solang man sein gutes Auskommen hat und einem das Essen schmeckt. Wenn aber die Schulden zunehmen, die Früchte nicht gerathen sind, und der Zins, das Schulgeld und die Herrengelder kaum mehr zu erschwingen sind, und die Frau oft nichts hat, um die Suppe oder Kartoffeln zu schmälzen: da zeig, ob dein Gottvertrauen und deine Ehrlichkeit nagelfest sind. Betrüg und läugne nicht, wenn etwas dabei zu gewinnen wäre; behalt nichts, was ein anderer verloren oder stehen hat lassen; und nimm auch sonst nichts; und sei auch nicht mißgünstig, wenn es dem Nachbar besser geht. Das Johanniswürmchen leuchtet schön, aber nur in der Nacht, und die Ehrlichkeit nur in der Noth.

Dann aber gelten die Leiden vor Gott so viel als die guten Werke; und ein rechter Vorrath davon bekommt einem zuletzt gar wohl. Mancher, der ohne Unglück vielleicht brav gelebt hätte, bekommt doch ein vollgerütteltes Maß von Leiden, damit er desto glorreicher strahle unter den Heerscharen des Himmels. Am Rosenstock kommen die Dornen zuerst, und dann erst die Rosen. Will dich Gott einmal recht herrlich mit himmlischen Rosen bekränzen, so krönt er dich auf Erden mit Dornen. Daher hat es Gott von jeher im Gebrauch gehabt, daß er seinen Geliebtesten und Geehrtesten das Ehrenkreuz der Leiden und den Ordensstern der Schmerzen angehängt hat. Zu Maria sprach der Engel: „Du bist voll der Gnaden, der Herr ist mit dir", und 33 Jahre später stand sie unter dem Kreuz, von welchem das Blut ihres Sohnes herabfloß. Zu den Aposteln sprach der Heiland: „Jhr werdet auf 12 Thronen sitzen", und nach seiner Himmelfahrt machten Juden und Heiden Jagd auf die Apostel und mordeten sie, wie wenn sie wilde Thiere wären. Die Märtyrer wurden von Gott oft durch Wunder vor den Menschen geehrt und verherrlicht, und dennoch mußten sie eines qualvollen Todes sterben. Auf dem Berge Tabor leuchtete Jesus in wundervoller Schönheit, und Gottes Stimme sprach vom Himmel herab: „Dieser ist mein geliebter Sohn, an welchem ich mein innigstes Wohlgefallen habe.“ Und wenige Wochen nachher hing er auf dem Henkerplatz von Jerusalem am Kreuzesgalgen und hatte nicht, was der elendeste Bettler sonst hat: kein Stückchen Kleid, um seine Blöße zu bedecken, und seinen Trunk Wasser, um seinen Durst zu löschen; und rief aus in qualvollen Todesschmerzen: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?"

Murre darum nicht, wenn dich Gott heimsucht, und sprich nicht in heidnischer Verblendung: Wo hab ich das verdient? Vergiß ja nicht, du Menschenherz, wenn dich jetzt etwas drückt, oder wenn es auch später erst kommt: trägst du das Leiden nicht in christlicher Ergebung und Geduld, so nützt es dir nichts, sondern es ist Höllenbrand. Der Verdammte wälzt sich und brüllt vor Qual und Verzweiflung, und lästert Gott in wüthigem, gräßlichem Fluch. Wenn deine Seele im Leiden ein finsteres und trotziges Gesicht gegen Gott macht, und dir das Gebet verleidet, weil du denkst: Es hilft doch nichts, Gott kümmert sich nicht um unser einen; wenn gelbsüchtiger Neid hinter deinen Augen sitzt und scheel den Nachbar ansieht, sein Wohlergehen und seine rotbackigen Kinder, und denkst: Er ist doch schlechter als ich, und hat es so gut; wenn du mit Wein und Schnaps dir die Sorgen vom Herzen wegschwemmen willst; wenn du den Mißmuth deiner Seele in Fluchen, Schimpfen und bösen Reden ausspritzest, und den Deinigen ein Unhold bist: dann wandelst du im Rauch der Hölle; du fängst schon an, die Melodie der Verdammten zu singen; du denkst wie sie, du machst es wie sie, und bist unglücklich und gottlos wie sie. Lösch diese bösen Gluthen in der Seele aus. Das Leiden auf Erden soll keine Hölle sein, sondern ein Fegfeuer. Nimm und trag es wie eine Seele im Fegfeuer; dann kannst auch du durch das Feuer der Trübsal rein und silberweiß in den Himmel eingehen. Trag daher alles still, ohne viel zu klagen, fromm und geduldig.

Das ist freilich bald gesagt, und laßt sich ganz erbaulich sagen und anhören, wenn man gerade in behaglichen Umständen ist; aber wie führt man das aus, wenn es einen schwer drückt? Ich weiß einen, der gar gern Kreuz tragen hilft besonders seit er selbst auf blutigen Schultern ein sehr schweres durch die Straßen einer großen Stadt bergaufwärts geschleppt hat. Der wartet nur auf ein gutes Wort, daß man ihn darum bitte; dann legt er gleich Hand an. — Bete zu Jesus Christus, er möge dir helfen; und ganz gewiß, du darfst dich herzhaft darauf verlassen: wenn du recht zudringlich und eindringlich betest, so nimmt er dir das Kreuz entweder ganz ab, oder er macht, daß es dich nicht so schwer mehr drückt.

Aber sag selber, wenn du heute stürbest, wäre es dir in dem letzten Stündlein nicht lieber, viel auf Erden ausgestanden zu haben, als wenn du da unten stets pläsirliche Tage verlebt hättest? Sei darum nicht unwirsch, wenn der himmlische Vater es veranstaltet, daß es dir kurze Zeit übel und dafür ewig gut gehe: sonst könnte das Gegentheil eintreffen, wie z. B. beim Brodherrn des armen Lazarus: nämlich, daß es dir zuerst gut und hintennach schlecht gehe. Nun könnten dich zwei Zweifel noch plagen, und die möcht ich vorher noch mit ihren Herzwurzeln ausreißen. Erster Zweifel: Wenn Leiden so nothwendig sind zur Seligkeit, warum schickt mir Gott viel mehr als anderen Leuten? Bei manchen sieht man gar keines. — Ich könnte dir auf diese Frage die einfache Antwort geben: Ich weiß es nicht; denn bei Gott ist kein Mensch Hofrath und ebensowenig Geheimrath; wir Menschen sind aber gegen Gott unwissend und dumm, wie ein blödsinniges Büblein gegen seinen einsichtsvollen Vater. Unser Sach ist nur so ein nebelhaftes Rathen, wenn wir von den Fügungen Gottes reden. Ich will auch einmal so ins Blinde hineinrathen. Wenn ein Doctor oder Physikus in einem Spital hundert Kranke liegen hätte, jeder wäre aber auf eine besondere Art krank, wie es fast allemal der Fall ist bei vielen Kranken: so würde der Arzt eben jedem auch seine besondere Medicin und Diät verordnen, wie es gerade sein Umstand mit sich bringt. Da fängt aber einer von den Kranken, ein ganz besonders gescheiter, der als selber sagt, es sei schade für seinen durchtriebenen Kopf, daß er nicht zum Studiren gekommen sei, der fängt ein großes Räsonniren und Lärmen an: „Was ist das für eine Ordnung? Da gibt mir der Eselsdoctor eine ganz bittere und salzige Medicin; sie sieht aus wie junges Bier; und der alte Invalid neben mir bekommt guten alten Wein und gebratenes Kalbfleisch. Mir gehört auch, was einem andern. Der Doctor versteht nichts, ist parteiisch und kann mich nicht leiden, das hab ich schon lang gemerkt. "

Das Spital ist die Erde; wir Menschen sind krank an der Seele; Gott ist der Arzt; die verschiedenen Schicksale sind die Mixturen, und du mit deiner Unzufriedenheit im Leiden bist der spitzfindige, sehr weise Kranke mit dem dummen Geschwätz. Oder aber du murrst und brummst aus einem andern Register, und der Teufel tritt den Blasbalg dazu. Du sagst: „Was mir Gott schickt, das wollt ich noch annehmen; aber was schlechte Menschen mir Unbilden anthun, das wurmt mir am ärgsten, und ich kann es nicht hinunterschlucken und nicht verdauen. Da fährt mir der Verrechner über die Wiese; die Schulkinder werfen mir Obst von meinen Bäumen und vertreten mir dabei das Korn; die Vorgesetzten haben mich zu hoch in der Steuer angelegt, weil sie mich nicht leiden können; meine eigenen Schwäger schimpfen und lästern über mich, seit sie den Proceß verloren haben, und mein ältester Sohn" — aber halt, es ist genug, sonst kämst du an kein End mit deinen Klagen. Wir wollen von etwas anderem anfangen.

Sag mir einmal, hast du schon Blutigel gesehen? Vielleicht hast du schon eine Hirn-, Hals- oder Brustentzündung gehabt, und man hat dir an deinen eigenen Leib solche lebendige Quasten gehängt. Sie beißen ein wenig und saugen einem das Blut aus und meinen es dabei gar nicht gut mit dir; denn sie meinen eben gar nichts, sondern lassen sich dein Blut geschmecken; ob es dir wohl bekomme oder nicht, das gilt ihnen vollkommen gleich. Der Doctor aber hat in guter Absicht den schwarzen Wurm an dich gesetzt, damit du befreit werdest von deinem bösen, ungesunden Geblüt. Wenn es dann genug ist, dann nimmt er den Blutigel wieder hinweg, er mag schon genug gesaugt haben oder nicht. Wenn aber noch viel schlechtes Geblüt in dir steckt, so setzt er dir den andern Tag wieder andere an und laßt sie saugen, solange er es für gut findet. Wenn du ein wenig Verstand hast, so rath jetzt selbst, wer der Arzt ist, welcher Blutigel setzt und wegnimmt zur rechten Zeit und es allweg gut meint dabei. Die Blutigel, welche beißen und saugen, und es dabei nicht gut meinen, dir aber doch nützen müssen wider Wissen und Willen, das sind die Leute, welche dich plagen und dir Verdruß und Unrecht anthun. Und daß deine Seele keine böse Ader an sich habe und kein schlimmes Geblüt, das wirst du auch nicht gerade beweisen können. - Jedoch vielleicht beißen dich die Blutigel manchmal gar zu arg, und lauft viel Blut nach, wo sie angebissen haben. Für diesen Fall weiß ich dir ein Recept zu einem Pflästerlein auf die Wunde; dieses Recept hat zweierlei Tugenden: erstlich leistet es dich keine halbe Mark wie beim Doctor; zweitens bekommt es einem jeden unfehlbar gut, der es recht nach der Verordnung braucht. Das Recept steht beim Evangelisten Matthäus, 5. Kapitel, 44. und 45. Vers. Wenn ihr keine Heilige Schrift im Hause habt, so leihe eine, schlag das Kapitel und den Vers auf, und schreib das Recept ab. So oft nun die Blutigel dir stark zusetzen, und du meinst, jetzt sei es gar nicht mehr zum Aushalten: so such das Recept, lies es mit Verstand und brauche dann alle Species, wie sie darin stehen. Wer es allemal genau nach der Verordnung im Recept macht, der freut sich im Tod über die Blutigel und das englische Pftästerlein miteinander; und es wäre ihm gar nicht recht, wenn ihm von Gott keine Blutigel gesetzt wären worden. Mach nur einmal die Probe: du wirst sehen, daß es so ist.

 

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